Thomas Manns Radioansprachen: Ein Aufruf zur Menschlichkeit im Schatten des Krieges!
Das Literaturhaus Darmstadt feiert 150 Jahre Thomas Mann. Dazu bietet es Sonderveranstaltungen. Am 22.04.2025 fand im Literaturhaus Darmstadt eine eindrucksvolle Lesung über die Textsammlung „Deutsche Hörer!“ statt, bei der die Darmstädter Schauspielerin Karin Klein ausgewählte Passagen aus den berühmten Radioansprachen von Thomas Mann an die Deutschen Hörer vortrug. Diese sprachgewaltigen Reden, die zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 im Auftrag der BBC ausgestrahlt wurden, sind ein eindringlicher Appell an die deutsche Bevölkerung in einer Zeit der politischen Ungewissheit und des Krieges.
Liebe UniWehrsEL-Leser,
Lassen Sie uns zunächst die Ausgangslage für Thomas Mann klären:
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verließ Thomas Mann seine Heimat Deutschland und emigrierte zunächst in die Schweiz, bevor er nach Amerika zog. Dort, aus der Ferne, hielt er ab 1940 seine Antikriegsreden, die insgesamt 58 verzweifelte und glühende humanistische Ansprachen an die Deutschen umfassten. Diese Reden waren nicht nur ein Ausdruck seines Hasses auf das nationalsozialistische Regime, sondern auch ein Versuch, die deutsche Bevölkerung zum Umdenken zu bewegen. „Ich kann mir nicht helfen: es tut doch wohl, Hitler so recht ins Gesicht hinein einen blödsinnigen Wüterich zu nennen“, sagte Mann und verdeutlichte damit seine Abneigung gegen die Diktatur.
Bedeutung der Radioansprachen
Die Reden, die anfangs auf fünf Minuten beschränkt waren und später auf acht Minuten verlängert wurden, sind ein bedeutendes Dokument der Zeitgeschichte. Sie wurden 15 Jahre lang nicht mehr in einer Neuveröffentlichung des S. Fischer Verlags angeboten, bis nun anlässlich des 150. Geburtstags von Thomas Mann eine Neuausgabe erschien. Diese Neuauflage widerlegt die These, dass Mann kein politischer Autor sei. Sebastian Guggolz, Teamleiter Klassik im S. Fischer Verlag, erläuterte während der Lesung die Gründe für die Neuausgabe und ordnete die Bedeutung der Ansprachen in den Kontext der damaligen politischen Lage ein. Die Neuausgabe enthält ein Vor- und Nachwort der Schriftstellerin Mely Kiyak, die die Relevanz von Manns Reden für die heutige Zeit unterstreicht und auf die Komplexität seiner politischen Position hinweist. Kiyak beschreibt den Thomas Mann der Radioansprachen als „einen über sein Land verbitternden und enttäuschten Schriftsteller. Er hat für die Faschisten, die ‚die Welt in Nacht und Grauen‘ hüllen, nur ein Gefühl übrig: Hass. Ja, er hasst die Nazis aus der Tiefe seines poetischen und politischen Herzens.“
Die Reaktion auf die Reden
Das Abhören feindlicher Sender war den Deutschen unter Todesstrafe verboten, weshalb die Resonanz auf Manns Reden unklar bleibt. Dennoch blieben sie nicht unbemerkt; Goebbels und Hitler wetterten öffentlich gegen die „angefaulten Intellekt-Größen der deutschen Republik“. Thomas Mann, der in seinen Ansprachen einen über sein Land verbitterten und enttäuschten Schriftsteller verkörperte, provozierte mit seiner Weigerung, aus dem amerikanischen Exil in das zerstörte Deutschland zurückzukehren. Seine Kritik an den im nationalsozialistischen Deutschland verbliebenen Schriftstellern und Künstlern führte zu einer öffentlichen Debatte über seine Person und die Frage nach der deutschen Schuld.
Kontroversen und öffentliche Debatten
Manns Position, die deutsche Schuld zu akzeptieren, widersprach dem weit verbreiteten Bewusstsein in der deutschen Gesellschaft, selbst Opfer der Kriegszeit geworden zu sein. Bei der Entgegennahme des Goethepreises in der Paulskirche am 25. Juli 1945 kam es zu Demonstrationen gegen ihn, und er benötigte Polizeischutz für sich und seine Familie. Seine Reden wurden von vielen Deutschen als Störfaktor für den Wiederaufbau einer selbstbewussten Nation angesehen. Kritiker empfanden seine Haltung als despektierlich und ungerechtfertigt.
Ein weiterer umstrittener Aspekt war Manns ambivalente Haltung zum Kommunismus. Während er die faschistische Diktatur scharf kritisierte, wurde ihm vorgeworfen, sich nicht entschieden genug von kommunistischen Idealen zu distanzieren. Diese Kritik führte zu einer weiteren Kontroverse, insbesondere als er einen Auftritt in Weimar absolvierte. Viele seiner Kritiker fragten sich, warum er sich nicht klar von den kommunistischen Strömungen abgrenzte, die in der Nachkriegszeit an Einfluss gewannen. Manns komplexe Positionierung zwischen den politischen Extremen spiegelte die Zerrissenheit der deutschen Gesellschaft wider und verstärkte die Debatte um seine Rolle als Intellektueller und Kritiker.
Fazit
Die Lesung von Karin Klein und das Gespräch mit Sebastian Guggolz unter der Moderation von Sandra Kegel verdeutlichten die anhaltende Relevanz von Thomas Manns Ansprachen. Sie sind nicht nur ein historisches Dokument, sondern auch ein eindringlicher Appell an die Menschlichkeit und die Verantwortung des Einzelnen in Zeiten der Krise. Die Neuausgabe der Reden bietet eine wertvolle Gelegenheit, sich mit den Gedanken eines der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen und die Fragen nach Schuld, Verantwortung und der Rolle der Intellektuellen in der Gesellschaft neu zu beleuchten.
Mit besten Grüßen vom Kulturbotschafter des UniWehrsEL
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