Du betrachtest gerade Kritik: „Willkommen um zu bleiben“ – ein Film-Mysterium von Lynch und Kafka inspiriert

Wer Rätselhaftigkeit liebt, der ist hier genau richtig! Im zweiten Film von Tallulah Hazekamp Schwab „Willkommen um zu bleiben“ dominiert eine surreale Mischung aus Drama, Komödie und absurdem Theater, rund um einen Magier (Crispin Glover). Frustriert und enttäuscht sucht dieser nach einem enttäuschenden Auftritt vor einem Publikum, das nur an sich selbst interessiert ist, für eine Nacht ein Hotel auf. Dieses entpuppt sich als Labyrinth aus Korridoren und Fluren, bevölkert mit seltsamen Besuchern, von denen er als „Befreier“ betrachtet wird, aus einer Welt, die für den Magier ohne Ausweg zu sein scheint. Beeindruckend dabei die aufregenden detailverliebten Bilder mit schrägen Charakteren, die auch schon bei Wes Anderson im Blog UniWehrsEL unser Thema waren.

Beginnen wir bei Ähnlichkeiten mit Filmen von David Lynch, der das Kino in surreale Albträume verwandelt hat. Ob in „Mullholland Drive“, der sich als Traumsequenz verstehen lässt, in der Elemente der „wahren“ Geschichte auf übertriebene oder verzerrte Weise erkundet werden, bis die Protagonistin Diane aufwacht. Oder „Twin Peaks“, der Kultserie und dem Film, der mit direkten und indirekten Zitate und Reminiszenzen auf Serien und Filme der 1940er und 1950er Jahre und des Film noir verweist. Lynch präsentiert eine Mischung aus Nostalgie und einer düsteren Zukunftsvision.

Alltägliches kippt in Horror, eine in die Jahre gekommene, einstmals stilvolle Fassade rutscht in pure Gewalt und Wahnsinn ab. Dies trifft auch auf „Willkommen um zu bleiben“ zu. Da scheinen sich die Menschen in einer „Zwischenwelt“ zu befinden, in der sie, wie er Küchenhelfer Anton (Jan Gunnar Røise), seit Ewigkeiten darauf warten, zum „Schaumschläger“ befördert zu werden. Mr. K, so der Name des Magiers – und schon da versteht der Filmversteher, hier ist Kafka im Spiel -, landet auch in der Küche, wird aber wortwörtlich berührt und verführt, bis er voller Schrecken bemerkt, das Hotel schrumpft, die Wände kommen immer dichter auf ihn zu.

Kafkas „Gibs auf!“ scheint nun für mich lebendig geworden zu sein. Im Film „Willkommen um zu bleiben“ entsteht eine neue Version zu dem Ende 1922 entstandenen und 1936 veröffentlichten, parabelartigem kleinen Prosatext von Franz Kafka, dessen Titel von Max Brod stammt. In den Manuskripten Kafkas steht als Überschrift „Ein Kommentar“.

Franz Kafka: Gibs auf!: Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, daß es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: „Von mir willst du den Weg erfahren?“ „Ja“, sagte ich, „da ich ihn selbst nicht finden kann.“ „Gibs auf, gibs auf“, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

Das Grundthema des Herrn K. bei Kafka (Das Schloß, Der Prozeß) und im hier besprochenen Film des Magiers im Hotel, ist das, des verzweifelt suchenden Individuums, das sich Hilfe von einer anonymen Instanz erhofft, der er sich hilflos ausgeliefert fühlt. Statt dieser Hilfe, fühlt er sich lächerlich gemacht und sogar bedroht. Das Motiv scheint einer realen Erfahrungswelt entnommen, trotzdem wird alles unfaßbar und albtraumhaft. Vordergründig bekannte Situationen (wie etwa eine Großküche in einem Hotel)  werden entfremdet. Reale Welt und irreale gehen fließend ineinander über.

Worum geht’s hier eigentlich?

Es gibt Klassenunterschiede. Beispielsweise einen Küchenchef, der nach Sympathie entscheidet, wer „Schaumschläger“ ist (da lacht das Herz der Interpretierenden!) und wer nicht. Der Chef bietet dieses Amt, auf das Anton seit 7 Jahren vergeblich wartet, händeringend Mr. K. an. Weil er sich selbst dadurch Befreiung verspricht? Alles bleibt wage, unbestimmt, verworren, unklar. Klar schwingt da auch Systemkritik mit. Aber niemand scheint am Status Quo rütteln zu wollen, denn irgendwie hat man sich im Hotel eingerichtet. Mr. K. versucht sich in „Willkommen um zu bleiben“ kurze Zeit als „Erlöser“ oder „Erwecker“, der einen Ausbruch (aus seinem eigenen Leben, aus einem immer enger werdenden Umfeld, aus einem einstürzenden Hotel?) wagt, scheint dann am Ende durch einen dunklen Schlund gelangend, eine Erlösung für sich selbst in der Weite des Alls, eng umschlungen von einem Oktopus, gefunden zu haben. Die Lösung liegt wie bei Kafkas „Kleiner Fabel“ scheinbar auf der Hand. Kann aber scheinbar nicht gefunden werden:

Franz Kafka Kleine Fabel:

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so

breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich

rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so

schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im

Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du musst nur die Laufrichtung

ändern“, sagte die Katze und fraß sie.

(Spätherbst 1920/Titel von Max Brod)

Wie bei Franz Kafka scheint es mir, eine Parabel auf die Dialektik der menschlichen Existenz zu sein. Immer wieder fragt einer im Film nach: „Was ist wahr?“ Im Sinne von „Kannst Du mir den Weg (Ausweg) zeigen“. Wohl wissend, dass die Antwort nur frei nach Kafka „Gibs auf“ sein kann (das erinnert mich auch an unser Seminar zu „Halbwahrheiten„).  

Bei aller Verworrenheit, der Film „Willkommen um zu bleiben“ imponiert durch seine effektvolle Inszenierung, durch das detailverliebt dargestellte Grandhotel (ähnlich wie das Overlook Hotel aus Stephen Kings und Stanley Kubricks „Shining“), einem Unort des Tummelns seltsamer plötzlich auftauchender und wieder verschwindender Gestalten. Nicht nur das Gebäude scheint ein Eigenleben zu entwickeln, sein inneres Gedärm scheint herauszuquellen, sobald Herr K. an seiner Oberfläche kratzt. Es scheint aber einigen Bewohnern, wie zwei reizenden alten Damen, wenig auszumachen, wenn die Lampe in Mr. K’s Zimmer herunterkommt und sie durch das entstehende Loch schauen, um ihm Kaffee anzubieten. Irgendwie erinnern sie mich an die Serienmörderinnen aus „Arsen und Spitzenhäubchen“. Schwarzer Humor wird da mit Gruselfaktor, einer Prise Wahnsinn und groteskem Familiensinn gespielt.   

Danke für die Images von Kai Wehrs und by Ben Kerckx from Pixabay

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:27. August 2025
  • Lesedauer:9 min Lesezeit