In Schirn Mag konnte man es 2019 nachlesen „Puppen (wandeln) auf dem schmalen Grat zwischen Gut und Böse“. Besprochen wurde die Figurenwelt des Künstlerduos Djuberg & Berg und ihre Ausstellung in der Schirn in Frankfurt, die „schockierende Realitäten“ zeigte. Die Puppenvarianten sind generell vielfältig, mal verzaubert im Rollenspiel der Kinder, dann wieder als ästhetisches Kunstobjekt, Im zeigt sich im Screen wie im Theater und ermöglicht das Abtauchen in eine neue Realität wie in den Animationen von Nathalie Djurberg und Hans Berg. Als „Vorstellung ihrer Verlebendigung“ diente sie exemplarisch E.T.A. Hoffmanns in der Erzählung „Der Sandmann“ durch Nathanaels Projektion in die Puppe Olimpia. Aktuell zeigt sie sich schockierend bei „Chucky“ der Mörderpuppe und ihrem unheimlichen Spiel, wie in einem Leserbrief berichtet wird.
Liebe Leser des UniWehrsEL,
Die Puppen haben eine wahrhafte Metamorphose durchlebt, von Grabfunden aus der Zeit um 3000 v. Chr., hin zum erzieherischen Mädchenvorbild, als Kult- und Fetischobjekt bis zum skandalösen Videoprojekt der Nathalie Djurberg. Bei ihr werden sie zu Protagonistinnen wilder Fantasien und Alpträumen. Im Werk Hans Bergs spiegeln sie Obsessionen, Tabus und Sexualität wider. Dabei wird die Verantwortung über Moral und Unmoral dem Beobachter und Betrachter übertragen, nicht etwa den Künstlern.
Puppen wurden und sind Metaphern ihrer Zeit, ein Spiegel der gesellschaftlichen Moral und Ethikvorstellungen. Durch Puppen, so beschreibt es SchirnMag, vermitteln sich Menschenbilder, Identitäten, Repräsentationen, Simulationen. Augenscheinlich würde dies bei einer Vielzahl künstlerischer Positionen der Moderne verdeutlicht wie bei Hans Bellmers (SchirnMag Surreale Serie 2011) surrealen fragmentierten Puppenkörpern oder Max Ernsts „Die schwankende Frau“. George Sand bringt es auf den Punkt: „Die Puppe folgt meiner Laune, meiner Eingebung, meiner Begeisterung, all ihre Bewegungen entspringen den Gedanken, die mir einfallen, und den Worten, die ich ihr in den Mund lege…sie ist Ich, mit einem Wort, sie ist ein Wesen, keine Puppe.“ Auch ihr Haus in Nohant ist durch das Thema der Puppe mitbestimmt.
Nicht nur Djuberg & Berg zeigen erschreckende Puppenszenarien, auch die unheimliche Puppe Meghan (vorgestellt im Beitrag zu KI und Ethik) ist ein Beispiel dafür, wie ein scheinbar harmloses Spielzeug zum Träger einer eigenen, bösartigen Identität, erstaunlicher Weise im Kontext starker Muttergefühle werden kann.
Ein weiterer Horrorklassiker, der dieses Motiv auf eindrucksvolle Weise nutzt, ist Chucky die Mörderpuppe aus der Child’s Play‑Reihe.
Der Serienmörder Charles Lee Ray wird von Polizist Mike angeschossen und flieht in einen Spielzeugladen, wo er im Angesicht des Todes nach einem Gefäß für seine Seele sucht. Durch ein magisches Ritual überträgt er seinen Geist auf eine der „Good‑Guy“-Puppen (nette Anspielung auf ein harmloses Spielzeug) und zerbricht dabei das Objekt, das später Andy Barclay erhalten wird.
Sechs Jahre später schenkt Andys alleinerziehende Mutter Karen ihm die begehrte sprechende Puppe – ein Relikt aus dem zerstörten Laden. Unwissend wird Andy zum psychologischen Spiegel für Chucky: die Puppe spricht zu ihm, befiehlt Gewalt und manipuliert seine Wahrnehmung. Andy übernimmt die Schuld für die Morde an seiner Babysitterin und an Eddy, während er gleichzeitig von Chucky als „Vertrauter“ bestärkt wird. Die äußere Realität (Polizei, Mutter) wird von seiner inneren Angst und dem wachsenden Delirium überschattet.
Der psychische Kern liegt in Identitätsverschiebung: Chucky nutzt Andys kindliche Bedürftigkeit nach Schutz und Zugehörigkeit, um seine eigene mörderische Agenda durchzuführen. Andy erlebt eine dissoziative Selbst-Abspaltung – er spricht von „seinem wahren Namen“ und lässt die Puppe die Verantwortung für die Taten übernehmen. Die Mutter erkennt die Anomalie, als die Puppe ohne Batterien spricht, was die Kognitionsdissonanz zwischen rationaler Erklärung und übernatürlicher Erfahrung verstärkt. Das Phänomen der Dissoziaion erklärten wir bereits im Beitrag „Binge Watching – Dystopie einer Marionettenwelt ohne Entkommen).
Polizist Mike, zunächst skeptisch, wird durch Chuckys Angriff selbst zum Opfer. Er beginnt seiner eigenen Wahrnehmung zu misstrauen. Das Geschehene zwingt ihn, an die Existenz einer übernatürlichen Bedrohung zu glauben. Die anschließende Jagd nach dem Mentor John und das Ritual, Chuckys Seele in einen Menschen zu transferieren, spiegeln Andys inneren Kampf wider, seine eigene Menschlichkeit zu bewahren, während er von einer fremden, mörderischen Identität besessen wird.
Der finale Showdown – das Verbrennen der Puppe, das Zerstückeln ihrer Teile und das erneute Auftauchen des „Herzens“ – verdeutlicht das psychologische Motiv: Chucky verkörpert das unauslöschliche Trauma, das sich immer wieder neu manifestiert, solange die zugrundeliegenden Ängste und Schuldgefühle nicht verarbeitet werden. Nur das bewusste Zerstören des „Herzens“ (symbolisch das Anerkennen und Auflösen der eigenen Schuld) kann den Kreislauf beenden.
Dieses Motiv findet sich nicht nur in der Filmwelt. Stephen King nutzt das Bild des besessenen Wesens ebenfalls, etwa in der Geschichte um die totbringende „Christine“ – ein Auto, das von einem mörderischen Geist besessen ist und seine Besitzer zu Gewalt treibt.
Anmerkung: Der Autor Stephen King hat 2024 eine umstrittene „Best‑Marke“ laut PEN erhalten; in 2024 wurde er 206 mal aus US‑Schulbibliotheken verbannt. Das am häufigsten verbotene Werk bleibt jedoch Anthony Burgess’ dystopischer Klassiker Uhrwerk Orange, der „große Roman über Gut und Böse, über Freiheit und Zwang“. Diese Zahlen zeigen, dass Horrorliteratur im Jahr 2025 in Teilen der USA – etwa in Florida, Tennessee und Texas – weiterhin stark umstritten ist. Damit ist unser Puppenseminar hochaktuell, weil es die psychologischen Mechanismen beleuchtet, die hinter solchen kontroversen Erzählungen stehen.
Durch die Analyse von Megan, Chucky und Christine wird deutlich, dass Puppen und andere Gegenstände nicht nur Spielgefährten, sondern potenzielle „Seelenverwandte“ sein können – Spiegel, in denen verdrängte Ängste und Schuldgefühle sichtbar werden. Als grenzwertig können dabei die Reborn-Puppen erscheinen. Menschen, die ganz allein leben, wählen diese Babypuppe als Ersatzobjekt, ähnlich wie ihr Pendent die Sexpuppe (ein Schelm, der dabei an Kokoschka und seine Ersatz-Puppe zu Alma Mahler denkt). Und zwar in dem Sinn, dass sie eine Vermenschlichung dessen ist, was man gerade braucht. Und mit dem man durchaus emotionale Defizite kompensieren kann.
Ich freue mich darauf, mit Ihnen diese Perspektiven im Rahmen unseres Seminars weiter zu vertiefen und die Bedeutung von Objekten für die psychische Entwicklung zu diskutieren.
Danke für Beiträge und Bilder und das Image by Alexa from Pixabay
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