Du betrachtest gerade Don Quijotes „Rosinante“ und „Orpheus Hund“ – Was wir von Tieren lernen könnten

Bereits in der Inszenierung von Jules Massenets „Don Quichotte“ am Staatstheater Darmstadt, erfuhren die UniWehrsEL Leser wie klassische Ritterromantik, moderne Bürorealität und popkulturelle Identitäten das Bild über Männlichkeit, Stärke und Kampf formen. Nun legt das Schauspiel Frankfurt bei der Inszenierung von Peter Jordan und Leonhard Koppelmann noch einmal kräftig nach: „Die Sonne brennt, das Pferd hat Hunger, Sancho ist müde – und Don Quijote dreht am Rad“, so der angekündigte Inhalt. Eine Leserin des UniWehrsEL, die schon die Inszenierung in Darmstadt verfolgte, ist auch in Frankfurt für uns zur Stelle. Mit bestem Dank!

Sehr geehrte Lesende des UniWehrsEL,

nach wenigen Minuten der Aufführung von Don Quijote am Schauspiel Frankfurt wurde das Publikum von einer überraschenden Stimme begrüßt:

„Ja, liebes Publikum, da staunst du – wer hätte gedacht, dass ein Pferd sprechen kann?“

Peter Jordan und Leonhard Koppelmann, die bereits mit ihrer satirischen Inszenierung Marie Antoinette (ein Stück, in dem die titelgebende Königin seit über 20 Jahren vergeblich auf ihr Urteil wartet und damit die Absurditäten einer lähmenden Bürokratie anprangert und hier im UniWehrsEL besprochen wurde) und nun die zweite Ebene der Komödie um tierische Perspektiven erweitern, zeigen erneut ihre Vorliebe für gesellschaftskritische Parallelen. Wie in Marie Antoinette wird hier die Unfähigkeit staatlicher Institutionen – hier verkörpert durch einen fiktiven deutschen Richter, der Don Quijote zu drei Jahren Haft verurteilt, das Urteil jedoch wegen Personalmangels nicht vollstrecken kann – auf die deutsche Bürokratie übertragen und überspitzt dargestellt.

Rosinante, das sprechende Ross, erscheint jedoch nicht als das gewöhnliche, geduldige Schlachtpferd, das man aus Cervantes’ Roman kennt. Auf der Bühne wird er als Domina in Lack und Leder präsentiert – ein provokantes Bild, das die Erwartungen an ein Pferd radikal unterläuft und gleichzeitig die Machtverhältnisse zwischen Tier und Mensch visuell thematisiert.

Der Text greift den großen Bezug zum Seminar Animal – Tiere als Spiegelbild menschlicher Seelenzustände auf: Tiere können oft besser erkennen, was schiefläuft, als die menschlichen Akteure, doch ihre Stimme bleibt ungehört. Das belegt die bekannte Schriftstellerin Maxi Obexer, aus deren Buch „Odysseus Hund“ im besagten Seminar drei Geschichten vorgelesen wurden.

Obexer greift in „Odysseus Hund“ auf die bewegende von Homer erzählte Geschichte zurück, in der Odysseus nach langer Irrfahrt nach Hause kommt. Nicht einmal seine Frau erkennt ihn, wohl aber sein Jagdhund Argos. Zu schwach, sich von seinem Misthaufen zu erheben (immerhin ist er weit über 20 Jahre alt), wedelt er mit dem Schwanz und stirbt – und Odysseus darf ihn nicht streicheln, um sich nicht zu verraten.

Weitere Erzählungen „Von der gegenseitigen Zähmung“ zwischen Mensch und Tier zeigen „Die Löwin von Charles Taylor“ und „Haruki – Bericht eines Forschers“, die im Grunde genommen kaum zu ertragen sind, wenn man bedenkt, was wir Menschen zuweilen den Tieren antun.

Charles Taylor, „der Schlächter von Monrovia“, hatte diese Löwin jahrzehntelang in einem Betonkäfig gehalten und profitierte jeden Tag von ihrem Stolz und ihrer Würde. Jetzt lebt sie in einem Gehege für Tiere, die aus Kriegsgebieten gerettet wurden, aus Freizeitparks oder eben aus Bunkern in zertrümmerten Palästen, schreibt Obexer eindringlich. Aber nun als Einzelgängerin, denn die Erfahrung mit den Menschen hat sie zu einem Wesen gemacht, das nicht mehr ’sozialverträglich‘ ist.

Haruki, ein männlicher, Affe, dient der Kognitionsforschung in einem Labor. Seine Schädeldecke wird geöffnet und durch eine Zementhaube ersetzt. Seine Qualen werden durch die Pharmaindustrie legitimiert. „Sein Mensch“, der Versuchsleiter will zeigen, „wie sich Verlangen im Verstand nachzeichnen lässt.“ Immer wieder taucht die Frage auch beim Versuchsleiter auf: ,,War es das wert?“ und weiter ,,Wenn Tiere kein Bewusstsein haben, warum forscht man dann am offenen Hirn, um von ihrem auf das unsere zu schließen?“

Die Klugheit und Treue der Tiere bestätigt Obexer auch in einem Beitrag in der „Welt„, in dem sie über ihr Buch „Unter Tieren“ interviewt wurde: „Jeder Hund spürt Gefahr besser als die beste Alarmanlage. Wir Menschen brauchen ewig, bis wir gehen und sprechen können. Das Wissen der Tiere ist etwas Besonderes. Die minutenschnelle Vertrautheit der Neugeborenen mit der Welt ist phänomenal. Ein Geschenk an uns.“

Zurück zu Rosinante, dem sprechenden Ross. Das sehnt sich nach genug Essen und Ruhe, nachdem ein Jahr mit Don Quijote in der Sierra Nevada verbracht wurde; die Aufbruchsenergie ist verloren, und „wenn es nach ihr ginge, wäre der Frieden jetzt nahe – aber keiner hört das Pferd“. In dieser Gestalt fordert Rosinante nicht nur Don Quijote, sondern das gesamte Publikum heraus, die eigenen Vorurteile gegenüber der Intelligenz und der Empathie eines Tieres zu hinterfragen.

Danke für den Beitrag, die wunderbaren Bilder und das Titelbild von Mohamed Hassan auf Pixabay