Lesung Gedenken an Andrzej Szczypiorski: „Die totalitäre Erfahrung hat mein ganzes Leben ausgefüllt“
Am 22.05.2025 fand im Literaturhaus Darmstadt eine eindrucksvolle Lesung über den Schriftstellers Andrzej Szczypiorski statt, Die Veranstaltung war organisiert von der Elisabeth-Langgässer-Gesellschaft und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Karlheinz Müller und Joachim Keidl präsentierten eigene Texte sowie ausgewählte Auszüge aus den Werken des Schriftstellers. Im Kern drehte sich der Abend um nachfolgende Fragen: Was treibt einen Schriftsteller an, der inmitten von Krieg und Verfolgung lebt? Welche Sehnsucht nach Frieden, Freiheit und menschlicher Würde könnte in einem Menschen aufkeimen, der die Schrecken totalitärer Regime hautnah erlebt? Andrzej Szczypiorski, ein mutiger und konsequenter Schriftsteller, stellte sich diesen Fragen und ließ sie in sein literarisches Schaffen einfließen.
Liebe Leser des Blog UniWehrsEL!
Geboren 1928 in Warschau, wuchs Szczypiorski in einer Zeit auf, die von der ständigen Bedrohung durch die Nazi-Truppen geprägt war. Als Heranwachsender erlebte er den alltäglichen Terror und die schleichende Zerstörung seiner Heimatstadt. Die einst blühende jüdische Gemeinde, zu der er gehörte, wurde systematisch verfolgt und deportiert. Wie konnte man in solch einer düsteren Realität Hoffnung schöpfen? Wie konnte man den Glauben an die Menschlichkeit bewahren, wenn das eigene Leben und das seiner Mitmenschen in ständiger Gefahr schwebte?
Sein mutiger Einsatz während des Warschauer Aufstands 1944, in dem er gegen die deutsche Besatzung kämpfte, führte ihn ins KZ Sachsenhausen. Diese traumatischen Erfahrungen prägten nicht nur seine Biografie, sondern auch seine Entscheidung, wie er es selbst formulierte, zur Literatur zu konvertieren. In seinen Werken thematisierte er die Abgründe der menschlichen Existenz und die schwierigen Bedingungen unter dem totalitären Regime zu leben. Im Jahr 1968 brach Szczypiorski mit dem kommunistischen Regime, als antisemitische Hetzkampagnen und die Vertreibung von zwanzigtausend Juden aus Polen seinen unerschütterlichen Glauben an die Menschlichkeit in Frage stellten.
Szczypiorskis Roman „Eine Messe für die Stadt Arras„, der 1971 erschien, gilt als eines seiner Hauptwerke und behandelt die düsteren Themen von Ketzerprozessen, Hexenjagden, Judenverfolgungen und der Inquisition. Diese eindringliche Parabel über ein Judenpogrom im Mittelalter bietet eine aufrüttelnde, zeitlose Studie über Massenwahn und den Zerfall einer Gesellschaft. Viele Kritiker und Leser sehen in diesem Werk einen bedeutenden Beitrag zur Völkerverständigung zwischen Ost und West, der die universellen Fragen von Gerechtigkeit und Menschlichkeit aufwirft.
Nach der Einführung des Kriegsrechts in Polen 1981 wurde Szczypiorski für mehrere Monate interniert, doch seine Stimme ließ sich nicht zum Schweigen bringen. Im Untergrund veröffentlichte er weiterhin seine Texte und kämpfte unermüdlich für die Freiheit des Wortes. Sein internationaler Bestseller „Die schöne Frau Seidenmann“ aus 1989 machte ihn zu einem der bekanntesten Schriftsteller in Polen.
Im Rahmen der Lesung trug Karlheinz Müller einen Auszug aus Szczypiorskis bekanntestem Roman „Die schöne Frau Seidenman“ vor. Zur Bucheinführung: „Man schreibt das Jahr 1943. Im von Deutschen besetzten Warschau ist die einst größte jüdische Gemeinde Europas bereits fast vollständig deportiert. Einigen gelingt die Flucht aus dem Ghetto, darunter ist auch die schöne Irma Seidenman. Sie hat drei Vorteile um zu überleben: einen gefälschten Ausweis, blonde Haare und blaue Augen. Doch als sie eines Tages von einem Informanten der Nazis erkannt wird, nimmt das Drama seinen Lauf. Wird Irma Seidenman entkommen?“ Diese packende Erzählung ist nicht nur ein eindringliches Zeugnis der Verzweiflung und des Überlebenswillens, sondern auch eine tiefgründige Reflexion über Identität und die Grausamkeiten des Krieges.
Sein Engagement für die Demokratie und die Menschenrechte führte dazu, dass er 1989 von Solidarnosc als Kandidat aufgestellt und vom Volk in den polnischen Senat gewählt wurde. Für seine literarischen Verdienste erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur sowie das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.
Andrzej Szczypiorski starb 2000 in Warschau, doch sein Erbe lebt weiter. Die Lesung im Literaturhaus Darmstadt war eine gelungene Hommage an einen außergewöhnlichen Schriftsteller.
Mit besten Grüßen vom Kulturbotschafter des UniWehrsEL
Wir verwenden Cookies, um unsere Website und unseren Service zu optimieren.
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.