Oper Frankfurt „Die Banditen“ – Identifikationen, Zuschreibungen und Tiereigenschaften
Die Frankfurter Aufführung von Jacques Offenbachs „Die Banditen“ ermöglicht dem Publikum, sich auf unterschiedliche Weise mit den Hauptfiguren zu identifizieren, weil sie in ihrer Grundstruktur tierischen Instinkten folgen, die jedem Zuschauer vertraut sind. Die Frankfurter Produktion „Die Banditen“ liefert neben humoristischer Leichtigkeit auch eine klare psychologische Analyse der Figuren. Angeregt durch die tierische Interpretation bei der Oper Boris Godunow hat eine Leserin versucht, den interessantesten Figuren der Operette die passenden Tiere zuzuordnen.
Sehr geehrte Redaktion des UniWehrsEL,
Wir sind im Räuber-Milieu. Frust herrscht über schwache Ausbeute. Ein neuer Coup muss her. Hauptmann Falsacappa und seine Bande agieren rund um eine Gesandtschaft aus Granada, die am Hof von Mantua Schulden einfordern will. Mittels diverser Verkleidungen beabsicht man, sich anstelle der Spanier das Geld unter den Nagel zu reißen. Das klappt leider nicht, weil die Staatskasse des Herzogs von Mantua leer ist; denn die kriminelle Energie bei Hofe übertrifft die der Räuber.
Die Vorstellung begann mit einem atemberaubenden Bild: Fiorella, die Räubertochter, schwang sich wie ein wilder Tarzan an einer Liane über die Bühne, ihr Blick brannte vor Leidenschaft für den Biobauern Fragoletto. Dieser kühne Auftritt ließ das Publikum sofort das animalische Verlangen spüren, das ihr Handeln bestimmt. Ihr Vater, der Räuberhauptmann Falsacappa, erlebte dabei großen Kummer – die Tochter stellte seine Autorität offen in Frage, indem sie die Bande mit ihrer Liebe zu Fragoletto erschütterte.
Durch Fiorella eigensinnigm Dickschädel wird Fragoletto schließlich in die Räuberbande aufgenommen, weil die anderen Mitglieder ihre Nerven bis zum Zerreißen spannten und ihre Sturheit als nützliches Gegengewicht zu ihrer eigenen Gier erkannten. Fiorella agiert wie ein junges Raubtier, das von einem unbändigen Begehren getrieben wird.
Ihr impulsives Verschonen des Biobauern Fragoletto und später des Prinzen von Mantua entspricht dem typischen Jagd‑ und Schutzverhalten eines Löwenrudels: das Jagdinstinkt‑Verlangen nach Beute (sexuelle Anziehung zu jungen, hübschen Männern) wird plötzlich von einem Schutzinstinkt (Mitleid, Loyalität) überlagert. Das Publikum erkennt in ihr das Spannungsfeld zwischen Begehren und Fürsorge, das jeder Mensch in Konfliktsituationen erlebt.
Falsacappa, der Räuberhauptmann, lässt sich am besten mit einem Bären vergleichen. Er ist stark, autoritär und versucht, die Gruppe zu kontrollieren, doch sein Stolz macht ihn anfällig für interne Rebellionen. Zuschauer, die selbst schon einmal in einer Führungsposition standen oder sich von autoritären Strukturen befreit haben, spüren sofort die Parallele zu diesem dominanten Tier und verstehen seine Schwäche, wenn seine Tochter – das Jungtier Fiorella – die Gruppe destabilisiert.
Der Schatzmeister Antonio wirkt wie ein Rabe, der ständig nach glänzenden Objekten (Geld, Frauen) schnappt. Seine Gier nach den drei Millionen Euro und sein neidischer Blick auf den Prinzen von Mantua, der im Hier‑und‑Jetzt lebt, spiegeln das räuberische Verhalten eines Aasfressers wider, der nichts als sofortige Befriedigung sucht. Das Publikum kann sich in seinem kurzfristigem Denken wiederfinden, wenn es selbst einmal versucht hat, schnelle Gewinne zu erzielen, ohne an langfristige Konsequenzen zu denken.
Der Prinz von Mantua hingegen ist eher ein Kalb: naiv, gutgläubig und völlig im Hier‑und‑Jetzt verhaftet. Er genießt den Luxus des Palastes, liegt in einem Himmelbett voller Frauen und denkt nicht an Heirat oder Verantwortung. Die neidischen Blicke des Schatzmeisters bemerkt der Prinz nicht. Dass der Schatzmeister eine Veruntreuung begehen könnte ist für ihn nicht vorstellbar. Die Antonios Gier‑ und Neidgefühle sind ihm fremd und verliert dadurch die Kontrolle über die drei Millionen. Das Bild des Kalbes verdeutlicht seine Treu- und Naivität, die das Publikum leicht nachvollziehen kann, weil jeder schon einmal in einer Situation war, in der gutgläubige Offenheit ausgenutzt wurde.
Das Bühnenbild, das Etienne Pluss entwarf, unterstützt diese tierischen Metaphern auf eindrucksvolle Weise. Im Vordergrund erstreckt sich ein verschlungener Pfad aus Baumattrappen, die an eine wilde Waldlandschaft erinnern und Fiorellas Löweninstinkt visuell verstärt. Hinter dem Pfad erhebt sich eine massive Beton‑Autobahnbrücke, deren Licht durch einen Gazevorhang schimmert und an die moderne, fast industrielle Umgebung erinnert – ein Symbol für die kapitalistischen Motive der Bande. Die Kulisse wechselt fließend von einer malerischen Gebirgslandschaft zu einer Pizzeria bis hin zum Palast des Prinzen von Mantua, der in einem Himmelbett residiert.
Regisseurin Katharina Thoma nutzt Offenbachs Banditen um für den Zuschauer einen phantasievoll-ironischen Theaterabend zu zaubern. Durch diese tierischen Metaphern wird das Potential der Figuren deutlich: jeder Zuschauer erkennt in FiorellasLöwenherz, Falsacappas Bäreneigenschaften und Antonios Rabenhabgier eigene, tief verwurzelte Triebe. Offenbachs ironischer Ton verstärkt diese Verbindung, weil er die menschlichen Instinkte offenlegt, ohne sie zu verurteilen, und dem Publikum so erlaubt, sich sowohl zu amüsieren als auch zu reflektieren.
Danke für den Beitrag, die Bilder und an die Impression des Räubers von Cristian Ferronato auf Pixabay
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