Du betrachtest gerade „Don Quijote“ – über Aufmerksamkeitsökonomie und „Psychologie der Massen“, ein Leserbrief

Nicht nur im Beitrag zu Don Quijote am Schauspiel Frankfurt taucht der berühmte Name auf. Don Quijote oder Don Quichotte, auch bekannt als «Ritter von der traurigen Gestalt», ist eine Schöpfung des spanischen Renaissance-Dichters Miguel de Cervantes (1547–1616) ist. Wer im Süden zu Gast ist, findet ihn auf Plätzen und Straßen als Skulptur. Der lange, dünne Ritter in seiner Rüstung, begleitet vom dickbauchigen Sancho Panza als seinem Knappen. Gelesen hat kaum einer diesen fast 1000 Seiten starken Wälzer, doch fast jeder kennt die berühmte Episode des genauso verwegenen wie verzweifelten Kampfes gegen die Windmühlen der zentralspanischen Region La Mancha, die er für grimmige Riesen hält.

Das Bild ist ein Mythos von einem imaginären Helden namens Don Quijote, den sein Autor Cervantes als Alter Ego wahrnahm. Deuten lässt sich seine Geschichte als Verhaftung in einer imaginären Welt mittelalterlicher Ritterromane, während die Welt um ihn herum in eine neue Zeit startet. Eine Figur an der Grenze zwischen idealistischer Verzauberung und untergehender Welt. An dieser Grenze trennen sich Wahn und Wirklichkeit: Der ritterliche Held ist ein Trugbild, nichts als ein verarmter Adliger, der auf seinem treuen Ross „Rosinante“ neben Windmühlen auch Weinschläuche und Hammelherden traktiert.

Unter dem Titel „Ich – das Pferd Rosinante“ tourt er 2025 mit der «lautten compagney BERLIN», dem renommierten Berliner Ensemble für Alte Musik. Sie haben das 2016 zu Cervantes’ 400. Todestag entstandenes Hörstück «Die Abenteuer des Don Quichote» 2025 auf die Bühne des Theater Casinos Zug gebracht. Mittendrin die berühmte Schauspielerin Mechthild Großmann lesend aus «Don Quijote» in einer Bearbeitung durch Christian Filips. Die Marketingidee: spanische Renaissance-Musik mit Don Quijote-Motiven zu verbinden, und die Geschichte aus der Perspektive von Quijotes Pferd Rosinante zu erzählen. Mit «ihrer Mähne, ihrer Stimme und dem wiehernden Lachen» ist sie als „Rosinante“ wie geschaffen zur spaßigen Unterhaltung.

Anders Peter Jordan und Leonhard Koppelmann. Sie nutzen am Schauspiel Frankfurt die Figur des „Don Quijote“ samt seines Kleppers „Rosinante“ zur Gesellschaftskritik. Ihnen geht es um die Unfähigkeit staatlicher Institutionen, um die Übertragung der deutschen Bürokratie auf die Bühne, um die Überspitzung dieser Darstellung. Deutlich wird dies durch einen fiktiven deutschen Richter, der Don Quijote zu drei Jahren Haft verurteilt, das Urteil jedoch wegen Personalmangels nicht vollstrecken kann. Provokant ist auch das Pferd Rosinante, das auf der Bühne als Domina in Lack und Leder präsentiert wird, es unterläuft nicht nur die Erwartungen an ein Pferd, sondern zeigt gleichzeitig auf, wie Machtverhältnisse unterwandert werden können.

Ein Leser des UniWehrsEL hat sich darüber hinaus Gedanken gemacht, die er an einigen Szenen verdeutlichen möchte:

Mensch-Tier- und Tier-Tier-Konflikte

Der Konflikt zwischen Don Quijote und seinem Knappen Sancho Panza wird durch das Pferd noch verschärft: Sancho bewundert den Mut seines Herrn, versteht jedoch weder die Visionen des Ritters noch die klaren, aber stummen Proteste Rosinantes, das sich weigert, in die brennende Windmühle zu reiten. Sancho versucht, zwischen den beiden zu vermitteln, doch das Pferd bleibt unnachgiebig und verweigert den Dienst, sobald die Gefahr zu absurd erscheint.

Parallel dazu entbrennt ein eigenständiger Streit zwischen Rosinante und dem Esel Grauohr. Der Esel wirft dem Pferd vor, dass die Menschen ihm ihren Willen aufzwingen und ihn zu einem Werkzeug ihrer eigenen Fantasien machen. Rosinante hingegen empfindet Grauohr als zu aufdringlich und „nicht fein genug“, um ernst genommen zu werden. Dieser Dialog verdeutlicht, dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere unter Missverständnissen und Kommunikationsproblemen leiden – ein Spiegel für die fragmentierten Beziehungen in unserer modernen Gesellschaft.

Aus der Masse herausstechen

In einer Szene beschreibt Don Quijote wie er eine Postkutsche überfällt, in der eine Beerdigungsgesellschaft liegt, und damit erzeugt er ein spektakuläres Bild, das das Publikum sofort fesselt. Dieses Bild erinnert an die Art und Weise, wie moderne „Helden“ – insbesondere in den sozialen Medien – durch extreme, oft provokante Aktionen aus der Masse herausstechen, um die knappe Ressource Aufmerksamkeit zu gewinnen.

(Dazu auch unser Beitrag „Nachdenkliches zum Helden“)

Ein besonders eindringlicher Vergleich entsteht, wenn man den spanischen König Philipp II. als Symbol für echte, etablierte Macht gegenüber Don Quijote stellt, der sich selbst als unverzichtbarer Retter der Welt inszeniert. Dieser Gegensatz erinnert stark an die Figur des heutigen US-Präsidenten Donald Trump. Wie Quijote sucht Trump kontinuierlich nach öffentlichen Blicken, sei es durch provokante Tweets, Auftritte bei Kundgebungen oder medienwirksame Statements. Beide Männer präsentieren sich als unerschrockene Kämpfer gegen ein vermeintliches Unrecht, wobei das eigentliche Ziel – die Sicherung von Sichtbarkeit und Einfluss – im Vordergrund steht, nicht unbedingt die inhaltliche Substanz ihrer Aktionen.

Die Macht der Masse, Machtspiele und Aufmerksmkeitsökonomie

Im Stück steht Quijotes lose Gruppe von fünfzig Anhängern einer königlichen Armee von dreihundertfünfzig Soldaten gegenüber. Die Zahlen verdeutlichen, dass die Macht der Masse, die sich um charismatische Figuren scharen lässt, kaum mit der strukturellen Stärke etablierter Institutionen mithalten kann. Dennoch gelingt es sowohl Quijote als auch Trump, durch geschicktes Spiel mit Medien und Symbolen, die öffentliche Diskussion zu dominieren und damit die Aufmerksamkeit, die in unserer Smartphone‑ und Social‑Media‑geprägten Zeit das wertvollste Gut ist, zu monopolisieren. Die „Macht der Masse“ verdeutlicht Gustave Le Bon (1841-1931) mit der am Anfang so genannten „Massenpsychologie“. Er setzte sich mit Fragen auseinander, wie sich der Einzelne in der Masse verändert. Dabei geht es um Probleme der Konformität, der Entfremdung und der Führung.

Die Darstellung von Rosinante als Domina in Lack und Leder verstärkt diesen Kontrast noch weiter. Das Pferd, das man traditionell als ruhiges Arbeitstier kennt, wird hier zu einem provokanten Symbol für die Machtspiele, die hinter den Kulissen stattfinden. Seine Stimme, die das Publikum in Frankfurts Schauspiel zunächst damt überrascht, dass es sprechen kann, wird zum Spiegel für die Frage, wer wirklich gehört wird: die lauten, aber oft sinnlosen Aktionen der „Revolutionäre“ oder die stillen, aber gewichtigen Stimmen derer, die tatsächlich Entscheidungen treffen können.

Insgesamt zeigt das Stück eindrucksvoll, wie das Streben nach Aufmerksamkeit – sei es im 17. Jahrhundert oder im digitalen Zeitalter – dieselben Mechanismen nutzt: spektakuläre Aktionen, provokante Selbstdarstellung und das Ausnutzen von Medien, um aus der Masse hervorzustechen. Die Parallelen zu Donald Trump verdeutlichen, dass diese Dynamik nicht auf die Literatur beschränkt ist, sondern ein fortwährendes Phänomen unserer Gesellschaft darstellt.

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