Weihnachten, Inbegriff eines deutschen Familienfestes, ist nicht nur für Tante Milla ein Lebensinhalt. In der Erzählung „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ geht es um extreme Festwut und auch im Juli singende Englein, die zu Kontroversen einladen. Gerade um die Weihnachtszeit herum und auch zwischen den Jahren, wenn Familien und Paare besonders viel Zeit miteinander verbringen können oder müssen, kann der Beobachter verschiedene „Szenen einer Ehe“ erleben. Loriot nahm es mit Humor und fokussierte auf die Zeiten, wenn das Frühstücksei nicht lange genug gekocht hat, der Fernseher kaputt ist oder über Politik gesprochen wird. Eheberatung hilft da auch nicht weiter, weil: »Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen …«. Berühmt sind diese Eheszenen auch durch den schwedischen Filmemacher Ingmar Bergman geworden. Sein 1973 kreiertes Drama »Szenen einer Ehe« schildert den Bruch einer Ehe eines bürgerlichen Muster-Paares. Zu erleben ist das Drama in der Weihnachtszeit im Schauspiel Frankfurt. Der Kulturbotschafter des UniWehrsEL hat es für uns besucht und beschrieben. Vielen Dank!
Liebe UniWehrsEL-Leser,
ich habe das Schauspiel „Szenen einer Ehe“ am Schauspiel Frankfurt am 16. Dezember besucht und war zutiefst beeindruckt von der Inszenierung. Die Aufführung brachte die Intensität und Komplexität einer Ehe auf eine Weise auf die Bühne, die sowohl bewegend als auch nachdenklich stimmend war.
Das Stück basiert auf der schwedischen Mini-Serie. Ab 1972 notierte Ingmar Bergman Überlegungen zu dieser Serie. Dem Autor war es besonders wichtig eine Serie über etwas „Alltägliches“ zu machen. „Ein Alltag, irgendeiner, ein Ausdruck häuslichen Glücks auf Erden.“ Bei der Erstausstrahlung 1973 sieht mehr als die Hälfte der schwedischen Bevölkerung die Serie. Sie ist „Talk of the Town“, meistdiskutiertes Thema der Zeit. Die Serie stößt bei vielen Paaren ein Nachdenken über die eigenen Verhaltensmuster an. Dies führte, laut der damaligen Berichterstattung, zu einer hohen Rate an Scheidungen. Die Serie war so erfolgreich, dass sie aufgrund der weltweiten Nachfrage in gekürzter Fassung in die Kinos kam.
Bergman zeichnet in Szenen einer Ehe die psychologischen Mechanismen einer Beziehung nach. In Beziehungen gibt es ein auseinanderklaffendes Bedürfnis nach Nähe und Distanz, bis sich die unter der Oberfläche verborgenen Konflikte dem Paar offenbaren. So können scheinbar alltägliche Situationen kippen und plötzlich in einer Endlosschleife der Eskalation landen. Aus alltäglichen Situationen, dies zeigt Bergman auf, können Kräfte der Zerstörung freigesetzt werden. In den gemeinsamen Gesprächen können vergiftete Geschlechterrollen auftreten.
Die handelnden Personen Marianne und Johann erscheinen dem Betrachter zunächst wie ein bürgerliches Muster-Paar: beruflich erfolgreich mit zwei Kindern und einer offenen Kommunikation miteinander. Über ein zehnjähriges Eheleben haben sich die Gewohnheiten aufeinander abgestimmt. Dies sind gemeinsame Theaterbesuche, Sonntagessen bei den Eltern, gemeinsamer Urlaub im Sommerhaus am Fjord. Marianne versucht diese gemeinsamen Rituale und Routinen zu durchbrechen. Mit ihrem Versuch setzt sie ungewollt „geheime Wünsche“ von Johann in Gang. Im nächsten Moment gesteht Johann seiner Frau, dass er sich gerade in eine andere Frau verliebt hat. Dieses Geständnis lässt Mariannes Welt zusammenbrechen.
Als er dann beschließt zu gehen und mit der neuen Frau „glücklich“ zu werden, eröffnen sich für Marianne neue Freiheiten. Sie beginnt diese neuen Möglichkeiten zu genießen. Sie entwickelt ein Bewusstsein für ihre eigenen Wünsche und erkennt auch die Zwänge, in denen sie sich vorher befunden hat. Trotz der Trennung kommt es zwischen Marianne und Johann immer wieder zu intensiven Begegnungen. Die Beziehung schwankt zwischen hitzigen Wortgefechten, gegenseitigen Demütigungen und bitterem Streit, aber auch einem leidenschaftlichen Begehren des Anderen. Es treten aber auch Gefühle wie Scham und Reue auf. Die Beiden scheint ein unsichtbares Band zu verbinden. Denn Miteinander können Marianne und Johann nicht, aber ohne einander schon gar nicht.
Die Szenen einer Ehe handelt von einem neuen Lebensabschnitt, etwas Altes verschwindet und nimmt eine neue Gestalt an. Diese Wandlung ist schmerzhaft und für den Zuschauer manchmal auch komisch. Die Struktur des Stücks ist lose. Dennoch scheint das Paar sich in wechselnden Situationen wiederzufinden. Dies wird dadurch dem Zuschauer klargemacht, dass Sahra Grunert, welche die Figur der Marianne verkörpert, im Gespräch andere Kleidung trägt. Mal ist es ein Bademantel, dann ein Cocktailkleid oder ein verführerisches Rotes. Dieser Kleiderwechsel zeigt, wie sich die Figur Marianne im Laufe der Zeit entwickelt und neue Gedanken bekommt. Dagegen bleibt Isaak Dentler als Johann in derselben Kleidung das Stück hindurch. Deutet dies etwa an, dass sich Johann selbst treu bleibt und keine so große Verwandlung „durchlebt“ wie Marianne?
Der Zuschauer kann es bereits im Bühnenbild ablesen. Es zeigt im Hintergrund ein Schiff auf rauer See. Es ist düster, aber im Horizont erscheint auch ein Hoffnungsschimmer. Über den Köpfen von Marianne und Johann ist ein Augenpaar errichtet. Dies kann sowohl als die öffentliche Meinung angesehen werden. Schließlich sind eine Trennung und Scheidung immer öffentlich, und andere Menschen haben eine Meinung zu dem Zustand einer Beziehung. Anderseits kann dieses Augenpaar auch für den Therapieblick stehen. Denn die Szenen einer Ehe wirken wie eine Therapiesitzung um eine „ehrliche Bestandsaufnahme“ einer Ehe zu vollziehen. Um eine intime Atmosphäre zu schaffen, stellt der Bühnenbildner Nico Zielke auf die Bühne des Schauspielhaues Frankfurt eine Miniaturbühne. Auf diesem kleinen Raum agieren die zwei Darsteller. Manchmal verlassen sie aber diesen Raum, z.B. klettert Johann in einer Szene auf den Zuschauersitzen herum.
Begleitet wird das Gespräch mit dauerhafter Live-Musik von Thorsten Drücker. Zunächst mit einer Gitarre, später mit einer Flöte. Dies bringt eine weitere Ebene ins Spiel. Das Unbewusste was zwischen den zwei Menschen abläuft. So ist die Musik mal laut, mal leise. Das hat seinen eigenen Charme. Die Musik ist eine Konstante wie die regelmäßigen Treffen der beiden Figuren. Auf der Bühne zu sehen ist auch ein kleiner Kühlschrank. Dieser enthält wahlweise Wasser oder Whisky und in einer dramatischen Szene sogar Kunstblut. Das Kunstblut soll dem Zuschauer die Verletzungen deutlich machen, die sich das Paar in ihren 20jährigen Beziehung selbst zugefügt hat. Beziehungen sind nun einmal nicht immer schön. So schreibt Ingmar Bergman in sein Arbeitstagebuch über das Konzept zur Serie: “Das Schreiben läuft irre. Der Fehler ist nur, was es soll. Die Figuren machen ganz eigene Sachen, sagen erstaunliche Dinge. Ich frage mich wirklich, was das noch für eine verdammte Suppe wird“.
Das Stück ist hochaktuell, weil es auch die Rollenverteilung der Geschlechter anspricht. Männer und Frauen müssen nach bestimmten Rollenvorstellungen funktionieren. So ist es für den Zuschauer überraschend, wenn Johann in einer Szene in Selbstmitleid zerfließt; genauso, wenn er über den Feminismus als sinnlose Bürde für eine Beziehung ablästert. Interessant ist, dass Marianne nach der Trennung neue Erfahrungen mit Männern macht. Sei es in einer Affäre mit ihrem Therapeuten oder mit einem fremdgehenden, aber sexuell sehr befriedigenden neuen Freund. Sie lernt etwas über ihr eigenes Begehren und ihr Verlangen. Johann entgegnet Marianne: „Ich glaube ganz einfach, dass wir uns lieben. Auf eine irdische und vollkommene Weise.“
In „Szenen einer Ehe“ haben Johann und Marianne keine Skrupel sich wiederzutreffen. Sie folgen ihren Gefühlen füreinander. Manchmal fühlen sie sich gespalten und verwirrt in der Situation, wenn sie sich wieder treffen und erneut ineinander verlieben, obwohl sie neue Partnerschaften eingegangen sind. Sie tun dies mit schlechtem Gewissen. Sie verbindet eine 20jährige Beziehung und ein gemeinsames Leben.
Die Darsteller Isaak Dentler und Sarah Grunert haben es geschafft, die Emotionen und Konflikte der Charaktere authentisch und mitreißend zu vermitteln. Besonders die feinen Nuancen in der Darstellung der Beziehungsdynamik haben die Zuschauer fasziniert und dem Betrachter neue Perspektiven auf das Thema Ehe eröffnet.
Diese Inszenierung von Sebastian Schug zeigt, dass Theater in der Lage ist, tief in die menschliche Psyche einzutauchen und uns als Zuschauer zu berühren und zu reflektieren. Ich hoffe, dass viele weitere Menschen die Gelegenheit haben werden, dieses eindrucksvolle Stück zu erleben.
Ich wünsche Ihnen ein friedliches Weihnachtsfest!
Mit besten Grüßen der Kulturbotschafter des UniWehrsEL
Lieber Kulturbotschafter, danke wieder einmal für die tollen Beiträge! Eine gute Gelegenheit, allen herzlich zu danken, die dem UniWehrsEL die Treue halten. Ich wünsche Ihnen ein Weihnachtsfest im Kreise Ihrer Lieben ohne „Ehe-Szenen“ und „Weihnachts-Feierwut“, die sich durch das ganze Jahr hindurch ziehen. Passen Sie gut auf sich, Ihre Freunde und Familie auf. „Wertschätzung“ heißt das Zauberwort. Es grüßt Sie herzlich, nicht nur zur Weihnachtszeit 2024, Ihre Elke Wehrs alias „UniWehrsEL“
Danke für Image by Sergei Belozerov from Pixabay