Der Beitrag zum Film „Pakt der Wölfe“ – Der Wolf als Spiegel menschlicher Ängste erinnert an die Lehre von Carl Gustav Jung, die ihre Anwendung in bestimmten Bereichen der Psychotherapie, vor allem in der von ihm begründeten analytischen Psychologie, aber auch in der Gestalttherapie oder auch der Kunsttherapie findet. Jungs Theorie der Archetypen und einem kollektiven Unbewussten kann auf die Frage, angewendet werden, welche der von Jung beschriebenen Archetypen sich in dem Bild des Wolfs und seinen unterschiedlichen Formen finden lassen, wie z. B. eine Anknüpfung an die sogenannte ‚Wahnstörung‘ oder „Lykanthropie“. Liefern Ausführungen nach dem mythologische Ursprung des „Wer-Wolfs“ in Erzählungen dazu Erklärungen?
C. G. Jung versteht die Archetypen als angeborenes Urbild im menschlichen Geist, als in der Menschheitsgeschichte immer wiederkehrend vorzufinden und als „bis zu ihren archaischen Wurzeln“ nachverfolgbar. Solche Urbilder finden sich in historischen Überlieferungen die uns ermöglichen, Bilder und Symbole hervorzubringen, um Zugang zu unseren unbewussten Seelenanteilen zu erlangen, beispielsweise durch künstlerisches Schaffen.
Nach Jung sind Mythen als „nie bewusst ersonnen“ (Jung, 1969, S. 238), sondern bereits vorgegeben und gelangen durch eine Verbindung zu den archetypischen Inhalten ins Bewusste. Archetypischen Bildern begegnen wir in alten Geschichten, Märchenerzählungen, individuellen Traumbildern, die Parallelen untereinander aufweisen können. Sie spiegeln sich in schizophrenen Psychosen. Denn laut Jung soll der kranke, psychotische Geist ähnlich dem Träumenden eine besondere Beziehung zum kollektiven Unbewussten haben (vgl. Jung, 1968, S.272-273).

Verena Kast beschreibt, der bedrohliche Part in einer Geschichte sei ein Aspekt, der mit der eigenen Person in Beziehung stehen könne, zum Beispiel der böse Wolf im Märchen vom Rotkäppchen (Kast, 2002, S. 10-11). Insofern stellt das Märchen den Konflikt zwischen dem unschuldigen naiven Opfer, nämlich Rotkäppchen, und einem listigen, hinterhältigen Aggressor, nämlich dem Wolf, dar. Laut Verena Kast müsste das Rotkäppchen des Grimm-Märchens lernen, sich mit dem Wölfischen auseinander zu setzen, statt sein Augenmerk auf das Sammeln von Blumen zu richten.
2013 inszeniert Hanna Rut Neidhardt in ihrem Künstlerbuch „Rotkäppchen und Herr Wolf“ in Anlehnung an das Grimmsche Märchen Rotkäppchen und der Wolf genau diese Geschichte um ein argloses Mädchen und einen doppelgesichtigen Herrn Wolf, der Rotkäppchen verschlingt. Das durchaus inhaltlich zu diskutierende Thema der gewaltlosen Rettung, erfolgt in der Darstellung einer gemeinsamen Aktion von Mutter und Großmutter. – originell oder eher verstörend? Der Wechsel zwischen der heutigen Realität und einer einstmals magisch märchenhaften Welt wird durch die am Computer erstellten Bildern verstärkt und durch einen Text in Versform begleitet. Dass die Grimm’schen Märchen heute vielfach völlig neu interpretiert und aufbereitet erscheinen, kann man auch in dem Beitrag „Grimms Märchen neu interpretiert“ hier im UniWehrsEL nachlesen.

Das Motiv des sich verwandelten Wolfs, wie dem des Wer-wolfs wird gerne in Filmreihen wie Twilight Werewolf verwendet. Teilweise wird sogar gezielt mit Symbolen gearbeitet, aufgrund ihrer archetypischen Verbindung und der Erkenntnis, dass die Jungsche Archetypenlehre einen positiven Effekt auf Verkaufszahlen in der Film- und Unterhaltungsbranche hat.
Das Bild des Wolfs und des Werwolfs und die klinische Lykanthropie
In den Humanwissenschaften wird das Syndrom der klinischen Lykanthropie dargestellt, und verdeutlicht (vgl. Kimberley Shari Weber, Abschlussarbeit 2023). Es handelt sich um einen psychotischen Zustand, in dem ein Mensch dem Glauben unterliegt, sich in einen Wolf zu verwandeln. Gibt es Gemeinsamkeiten archetypischer Bilder und psychotischer Zustände?

Die Wahnvorstellung unter dem Begriff Lykanthropie, die wir in Bezug auf den Wer-Wolf betrachten wollen, beschreibt ein Erleben, bei dem jegliche Tierform angenommen werden kann, an die sich ein Patient im gesunden Zustand zurück erinnern kann oder die ihm in irgendeiner Form, zum Beispiel im Märchen, schon einmal begegnet ist. Der Wolf bei Rotkäppchen ist nicht nur den meisten Menschen durchs Märchenerzählen bekannt, sondern man weiß, er gilt als böse, gierig und gefräßig.
C. G. Jung versteht die Angst vor bösen Tieren durch seine Deutungen in zahlreichen Träumen bei anderen Völkern. Auch wenn ein erzählter Traum statt von einem Wolf von einem Tiger erzählt (Jung, 1987, S. 408-409): „Ich stehe auf derTerrasse eines Pfahlhauses. Da springt ein Tiger über die Balustrade und will mich anfallen, aber im Sprung bleibt er hängen und zerreißt in zwei Stücke …“ (Jung, 1987, S. 408), zeigt er die gleichen Implikationen. Ob „Wer-Wolf“ oder „Wer-Tiger“ (Jung, 1987, S. 415), immer steht die Angst „verschlungen“ zu werden.
Weitergeführt gelten für Jung das Bild des Wolfes, Wer-Wolfes (analog des Wer-Tigers) als Archetypen des Mutterarchetypus, Schattenarchetypus oder kollektives Unbewusstes – sehr einfach ausgedrückt, eine Urangst überwältigt und „aufgefressen“, im übertragenen Sinne, zu werden. Joland Jacobi, eine enge Mitarbeiterin von C.G. Jung, erwähnt den Archetypus des Wolfes einige Male in ihrem Buch „Complex, Archetypes, Symbol in the Psychology of C.G. Jung“, Bollingen Series, Princeton University Press, 1957. Joland Jacobi schreibt: „Gefressen oder verschluckt zu werden ist auch ein weit verbreitetes archetypisches Motiv … der Wolf, der das Zicklein frisst“ … [Seite 155, 181, 185].
Conclusio
Der Wolf oder Wer-Wolf, erscheint nach Jung als ein archetypisches Bild , das seit Menschengedenken in der menschlichen Mythologie vorkommt und zu den ältesten Überlieferungen gehört. Man denke nur an das Gilgamesch-Epos. Obgleich Wölfe für die Menschen durchaus zu einer realen Bedrohung werden können, ist es realistisch zu verstehen, dass viele von unseren Ängsten aus den im kollektiven Unbewussten und darin gespeicherten archetypischen Strukturen resultieren. Dies würde deutlich machen, warum der Wolf sich als grausame bedrohliche Figur entwickelt hat und warum Filmproduzenten mit diesen archaischen Ängsten so trefflich spielen können.
Mit herzlichem Dank für Ihre Beiträge, die für uns immer anregend sind,
Ihr Team UniWehrsEL
Danke für die ansprechenden Bilder und das Image by Ashley Pham from Pixabay