Dornröschen aufgewacht? Die Wiener „Iolanta“ mit biblischen und mythologischen Bezügen
Tschaikowskys Einakter „Iolanta“ behandelt die Thematik der „Blindheit“ unter physischen und psychischen Aspekten. Bei letzterem können „Machtstrukturen“ eine Rolle spielen. Bei der Inszenierung von Tschaikowskys Oper Iolanta in der Regie von Evgeny Titov wird auf eine traditionelle Interpretation verzichtet und der Fokus auf gesellschaftliche Fragen gelegt. Der Kritiker I. Burn stellt die Frage: Was passiert, wenn eine Gesellschaft mit Scheuklappen durch die Welt läuft?
Liebe Leser des UniWehrsEL,
Die Inszenierung entführt das Publikum in einen unheimlichen Rosengarten, der gleichzeitig als Iolantas Refugium dient. Titov spielt hier geschickt mit biblischen Bezügen, insbesondere dem Bild des Paradiesgartens (dieser war auch bei „L’invisible“ an der Oper Frankfurt ein Thema). Iolanta erscheint nackt als Eva, was ihre fehlende Selbsterkenntnis symbolisiert. Die prachtvollen Dienerinnen, die wie eine Schar Evas gekleidet sind, und der Chor in Gewändern, die an Sandro Botticellis Frauenfiguren erinnern – wie etwa die Venus (auch unser Thema im Beitrag „Venus beobachten„)– verstärken den Eindruck einer surrealen Welt. Doch es wird bald klar, dass dieses Paradies nicht echt ist, sondern eine trügerische Illusion darstellt.
Die Sehnsucht nach Veränderung – Iolantas innere Welt
Im Kern der Inszenierung steht Iolantas Sehnsucht nach Veränderung. Sie hat sich vor ihrer Begegnung mit Vaudmont im Paradies befunden, blind im wörtlichen und metaphorischen Sinne.
Die biblische Analogie, der Baum der Erkenntnis und die Schlange als Sinnbild für ihre Neugier, wird hier eindrucksvoll dargestellt. Diese Neugier führt letztlich zu ihrer Vertreibung aus dem Paradies, ähnlich wie Adam und Eva. Besonders faszinierend ist der Vergleich der Inszenierung mit Gemälden wie Albrecht Dürers „Adam und Eva“, die die Fragilität des Paradieses und die Konsequenzen der Erkenntnis verdeutlichen.
Die Gesellschaft und der tote Stier – Europa zwischen Mythologie und Realität
Eine der prägnantesten Szenen zeigt einen toten Stier in einem Brautkleid, getragen von Mathilde, der Gefährtin von Robert. Der Stier verweist auf die griechische Mythologie, genauer gesagt auf die Figur der „Europa“, die von Zeus in Gestalt eines Stiers entführt wurde. Europa symbolisiert hier doppelte Bedeutungen: einerseits die mythologische Figur, andererseits das heutige Europa, das vermeintlich Frieden genießt, aber von äußeren Aggressoren bedroht wird. Das Bild des toten Stiers lässt sich als Metapher für diesen fragilen Frieden interpretieren.
Das überraschende Schlussbild – Zerstörung und Horror
Die Inszenierung endet mit einem unerwarteten und erschütternden Schlussbild: Der Vorhang des Paradiesgartens wird weggezogen, und dahinter lauert eine andere Welt. Zerstörung, Kriegsszenarien, kaputte Häuser und purer Horror offenbaren sich dem Publikum. Bereits zuvor ließen sich Risse in der idyllischen Dornröschenwelt erkennen – muskelbepackte Männer, die mehr an Actionfiguren aus 1990er Jahre-Filmen erinnern, stehen im starken Gegensatz zur romantischen Atmosphäre. Robert, König René und Vaudmont erscheinen hier nicht als edle Ritter, sondern als Figuren, die ein Geheimnis zwischen sich und Iolanta tragen.
Persönliches Fazit
Evgeny Titovs Interpretation von Iolanta ist ein mutiges und provokantes Werk, das sowohl ästhetisch beeindruckt als auch tiefgründige Fragen aufwirft. Die Verbindung von biblischen und mythologischen Bezügen mit einer kritischen Betrachtung der Gesellschaft ist meisterhaft umgesetzt. Das überraschende Schlussbild hinterlässt ein Gefühl der Beklemmung und regt zum Nachdenken an. Titovs Iolanta ist ein Weckruf, nicht nur für die Hauptfigur, sondern auch für das Publikum.
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