Eine Erwiderung: Mozart „Don Giovanni“ – Tierbilder, Metaphern für Figurenkonstellationen
Im Beitrag zum Darmstädter „Don Giovanni“ hat ein Zuschauer versucht, einen Mensch-Tier-Vergleich anzustellen, um das Raubtierhafte, aber auch die Opferrrolle in der Figur von Mozarts Titelhelden zum Ausdruck zu bringen. Darauf nun die Antwort des Kulturbotschafters des UniWehrsEL, der den begonnenen Versuch nutzt, zu ergründen, wie Tierbilder helfen, die Figurenbeziehungen in Mozarts Oper Don Giovanni zu ergründen. Herzlichen Dank dafür!
Liebe Leser des Blog UniWehrsEL,
Die Tierbilder helfen, die Figurenbeziehungen zu entschlüsseln. Don Giovanni tritt auf wie ein
einsamer Wolf, der sein Leben selbst in die Hand nimmt — privilegiert, ohne Rücksicht auf soziale Normen. Er behandelt andere oft wie Schafe: instrumentell, kalt, mit der Arroganz eines Untiers, das seine Bedürfnisse als Gesetz gegen seine Mitmenschen empfindet.
Leporello bildet dazu den Kontrast: sein Diener, sein „Schoßhund“, zugleich Vertrauter und Alter ego. In ihrer Freundschaft zeigt sich ein ambivalentes Band — Leporello ist Begleiter, Zielscheibe und moralisches Echo; er ist sowohl Diener als auch Spiegel, der die Schattenseiten Don Giovannis offenlegt.
Schatten, so erfährt man im Lexikon der Psychologie, „sind in der Analytischen Psychologie nach C. G. Jung diejenigen Teile, Seiten und Eigenschaften von uns, die uns nicht bewußt sind und dem Ich-Ideal widersprechen; die kollektiv-unbewußten Dispositionen, die mit der bewußten Lebensform nicht vereinbar sind und sich deshalb nicht in das Ich integrieren lassen. Den (unbewußten) Schatten bewußt zu machen, ist die Aufgabe einer Jungschen Analyse. Die Integration des Schattens bedeutet dabei, daß wir uns z.B. bei jedem Feindbild fragen, ob wir eigene unliebsame Züge außen bekämpfen – daß wir diese Züge wahrnehmen, sie ertragen, mit ihnen verantwortlich umgehen und sie nicht weiter an unseren Feinden stur bekämpfen“.
Don Giovanni und Masetto bilden im Staatstheater Darmstadt in der Oper „Don Giovanni“ das klassische Verhältnis von Raubtier und Beute ab — exemplarisch zu sehen in der sogenannten „Prügelszene“. Don Giovanni wiegt sein Opfer in Sicherheit und schlägt dann zu: mit kalkulierter Täuschung tritt er in der Verkleidung im Gewand seines Dieners Leporellos auf, vorgebend Vertrautheit und Unterwerfung, nur um seine Überlegenheit zu demonstrieren.
Masetto,der Verlobte Zerlinas, bäuerlich, schlicht und stolz, entspricht in diesem Gefüge der Beute: zunächst beruhigt durch Scheinfreundlichkeit und das Gefühl, verstanden zu werden, verliert er die Wachsamkeit. Don Giovannis Stärke ist nicht nur physisch oder gesellschaftlich (adelig, privilegiert), sondern psychologisch — er spielt Rollen, nutzt Verkleidung und Rattenfänger-Methoden, um Kontrolle zu gewinnen.
Die Verführung Zerlinas ist Teil dieser Dynamik: Don Giovanni benutzt das Machtgefälle, um Zerlina eine neue Möglichkeit vorzugaukeln, während Masetto als gedemütigter Beobachter zurückbleibt. Die Folge ist eine doppelte Demütigung — für Zerlina, die zwischen Verheißung und Betrug zerrieben wird, und für Masetto, dessen territoriale Ansprüche und männliche Ehre verletzt werden. Don Giovanni inszeniert sich als Alphatier; Masetto bleibt das verunsicherte Opfer, das von der List des Raubtiers kurzfristig entmachtet wird.
Don Giovanni, das ist die Figur eines Adligen und Wüstlings, der jede Frau erobern will. So auch gleich zu Beginn Donna Anna, der er eine andere Identität vorgaukelt. Annas Vater, der Komtur, kommt und fordert ihn zu einem Duell heraus. Don Giovanni tötet den alten Mann und flieht mit seinem Diener Leporello. Donna Anna lässt ihren Verlobten Don Ottavio schwören, den Tod ihres Vaters zu rächen
Die Gewalt und Brutalität dieses Charakters lassen sich in Tiermetaphern schärfer fassen: Don Giovanni als Raubtier, das Angst und Schrecken verbreitet; seine Taten verwandeln Menschen in traumatisierte Gestalten — Donna Anna, nach dem Tod ihres Vaters wie von einer Bestie gezeichnet, erlebt eine tiefe Traumatisierung. Der Mörder erscheint als grausame Bestie, furchterregend; Don Ottavio dagegen ist die Stütze, liebvoll, ein Gegenpol, der Schutz und Stabilität bietet.
Ein konkretes Beispiel aus dem Tierreich illustriert Don Giovannis Triebhaftigkeit: Wie ein Pfau, der sein Gefieder spreizt, zeigt er Status und sexuelle Werbekraft — doch kombiniert mit der Jagdstrategie eines Raubtiers: der Pfau beeindruckt die Frauen, das Raubtier ergreift und führt zum Drama. Diese Mischung aus Show und Instinkt macht sein Wesen so gefährlich und zugleich faszinierend.
Sozial betrachtet ist Don Giovanni bewusst privilegiert: adelig, wohlhabend und attraktiv — Eigenschaften, die ihm einen strukturellen Vorteil verschaffen und ihm erlauben, gesellschaftliche Regeln zu überschreiten. Für Zerlina als Bauernmädchen eröffnet sein Werben eine neue Möglichkeit; ein kurzzeitiger Blick auf ein anderes Leben, der jedoch auf Ausbeutung beruht. Seine Stellung als „Leittier“ macht ihn zur Projektionsfläche — ein Katalysator für die Sehnsüchte und die Sinnkrisen der anderen Figuren. Besonders evident wird das nach dem Tod des Komturs, des Vaters Annas; die Konfrontation mit dem Tod rückt Don Giovannis Existenz in eine Krise; das Fantasiegebilde, das er für andere darstellt, wird durch die reale Grenze des Todes angegriffen.
Schlüsselszene Höllenfahrt: Raubtier vor dem Richter
Schlüsselszene dieser Auseinandersetzung ist die Höllenfahrt am Ende — in Karsten Wiegands Inszenierung ein Moment von bedrückender Symbolkraft. Der Komtur sitzt am Tisch mit den Heiligen; seine Präsenz wirkt wie eine stille Abrechnung für Don Giovannis Taten, eine moralische Instanz, die das zivilisierte Wesen gegen das Tierische setzt. Wiegand macht den Tod des Komturs zu einem dunklen Moment: keine voyeuristische Darstellung der Gewalttat, die Tat selbst bleibt verborgen, und gerade hierin liegt ihre dramatische Wucht — sie wird zur unsichtbaren Ursache für die finale Konfrontation. Die Höllenfahrt entfaltet sich als visionäres Gericht: zuckende Körper, Feuer, brennende Seelen, Todesqualen; Bilder von Rache und moralischer Vergeltung, die dem animalischen Ursprung des Handelns entgegenstehen.
Dabei bleibt Don Giovanni seinem Naturell treu: er bereut nicht, er geht für seine Überzeugung in den Tod. Sein Ende ist keine Läuterung, sondern die konsequente Folge eines Lebens nach Trieb und Potenz. Die Inszenierung unterstreicht den Gegensatz zwischen dem Tierreich — Instinkt, Raubtier, Alphatier — und der menschlichen Dimension von Moral und Verantwortung. Don Giovannis Weigerung zur Reue lässt ihn als tragische Figur erscheinen, die bis zuletzt an ihrer animalischen Logik festhält; die Höllenfahrt wird so zur finalen Konfrontation von Anspruch und Konsequenz.
Die Oper bleibt insgesamt ein Kammerspiel zwischen Sterben und Werden: Don Giovanni als Rattenfänger und Untier, als Alphatier, das andere wie Schafe behandelt; Leporello als Schosshund und Spiegel; Donna Anna als traumatisiertes Opfer; Don Ottavio als treue Stütze. Tiere fungieren hier nicht bloß als Metaphern, sondern als Spiegelbilder menschlicher Seelenzustände — sie machen sichtbar, was Sprache oft nur umkreist: Trieb, Macht, Sehnsucht, Angst, Rache und die Suche nach Identität (dazu auch unser Beitrag „Das männliche Lustprinzip„).
Mit herzlichem Dank an die treue Leserschaft des UniWehrsEL
Ihr Kulturbotschafter des UniWehrsEL
Herzlichen Dank für die wunderbaren Tierbilder und das Image des Don Giovanni von Raisa Binte auf Pixabay
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