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Guten Morgen,

die Goethe Universität in Frankfurt bietet zur Zeit in der Rechtswissenschaftlichen Abteilung ein Online-Seminar zum Thema Algorithmus an. In der gestrigen Vorlesung ging es um den sogenannten Empfehlungsalgorithmus, den z.B. Amazon oder auch Netflix den Usern anbietet. Dieser Empfehlungsalgorithmus ist, wenn der User ein Offlinemodell zu Grunde legt, leicht erklärt.

Früher

Früher ist ein Leser in eine Buchhandlung gegangen und hat dort eine Buchhändlerin z.B. nach den neusten Krimiausgaben gefragte. Die Buchhändlerin hatte viel Zeit aufgewendet und sich durch verschiedene Bücher gelesen.

Dann konnte der Kunde, statt selbst sich durch zehn Bücher durch bzw. anzulesen, sich einfach einen Krimi empfehlen lassen. Die gleiche Funktion hatte ein Theaterkritiker im Feuilleton einer Zeitung. Statt in verschiedene Theateraufführungen zu gehen, brauchte sich der gelegentliche Theatergänger nur auf den Kritiker verlassen, der ihm als Experte einen kurzen Abriss über den Inhalt des Stücks gab, und ob sich der Besuch lohnte oder nicht.

Dabei ist für den Leser einer Kritik die Konsistenz der Empfehlung ausschlaggebend. Der Kritiker erwirbt sich einen guten Ruf, wenn die Empfehlung mehrfach den Geschmack des Kunden trifft. Der menschliche Kritiker kann sich sein Wissen nur über viele Jahre hinweg und durch den Besuch von sehr vielen Theaterstücken erwerben und muss deshalb sehr viel (Lebens-)Zeit darin investieren.

Gegenwärtige Entwicklung

Diese Aufgabe der Vertrauensperson, die Empfehlungen abgibt denen der Kunde/Leser/Fernsehzuschauer folgt, übernimmt nun der automatisierte Empfehlungsalgorithmus. Doch dieser Algorithmus ist nicht so tief in der Analyse der Sehgewohnheiten des Zuschauers drin, z.B. bei Netflix, wie ein menschlicher Kritiker. Der Grund, der Algorithmus soll eine möglichst schnelle Antwort liefern und diese soll für das Unternehmen Netflix auch noch kostengünstig sein.

Ein stundenlanges Durchsuchen nach der richtigen Empfehlung für den individuellen Kunden wäre zu langsam. Deshalb bildet der Algorithmus Durchschnittswerte ab. Wenn also ein Kunde am Abend zuvor einen Western geschaut hat, wird der Algorithmus ihm nicht am nächsten Tag einfach einen neuen Film vorschlagen, sondern möglichst verschiedene Westernfilme, die der Anbieter Netflix noch im Programm hat.

Der Empfehlungsalgorithmus ist eine Art Filmwerbung, weil er nur eine Liste mit möglichen Angeboten vorlegt. Fraglich ist auch, ob sich diese Liste der Empfehlungen manipulieren lässt, so dass der Kunde sich einen Film anschaut, welchen er sonst nicht gewählt hätte.

Eine weitere Frage ist jedoch, ob der manipulierte Kunde nicht den Film abbricht, weil er doch nicht seinem Geschmack entspricht. Die passgenaue Empfehlung ist im Moment also nur eine Fiktion, weil der Algorithmus nicht in den Kopf des Zuschauers schauen kann. Er kann nur Angebote machen, die sich dem Wunsch des Kunden annähern.

Da Netflix nur eine begrenzte Auswahl an Filmen- und Filmrechten hat, aber dem Kunden eine möglichst riesige Palette an Filmen simulieren will, bietet der Algorithmus ganz viele Untergenre an, in denen die Filme auch doppelt vorkommen.

Wozu braucht es überhaupt einen Empfehlungsalgorithmus? Im Film und Kultursektor gibt es ein generelles Problem. Bei einem Konsumgut, wie z.B. einer Flasche Cola ist der Inhalt immer gleich und die Qualität ebenso. Eine Cola schmeckt wie eine Cola. Bei einem Kulturgut hingegen weiß der Kunde nicht mit Sicherheit, ob ihm das fertige Produkt der Film oder das Theaterstück gefällt.

Auch der Künstler und das Entwicklungsteam wissen nicht, ob der Film ein Publikum findet und ein Hit wird oder ein Flop wird.  Also ob die Nachfrage nach dem Film hoch sein wird oder nicht. Zwar gibt es Marktforschung, aber die ist nur in begrenztem Maße aussagekräftig. Deshalb produziert Hollywood eine Vielzahl an Filmen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen einen Hit zu landen. Jeder möchte gerne einen Hit produzieren.

 Deshalb werden Ideen oder auch Marken, z.B. Batman, gerne reproduziert, in der Hoffnung wieder einen Erfolg zu landen. Je mehr Filme produziert werden, desto wahrscheinlicher ist es auch einen Hit zu landen. Mittels Abrufzahlen wird dann betriebswirtschaftlich entschieden, ob eine Fortsetzung bei Nachfrage besteht, z.B. ob die Staffel einer Serie verlängert wird oder nicht.

Bei den Empfehlungsalgorithmen gab es vor 10 Jahren die Idee, dass in einer digitalen Kulturwelt alle Produktionen irgendwann ihren speziellen Kunden findet. Diese Idee hat sich nicht bewährt, weil es eine gesellschaftliche Kontrollfunktion gibt. Ein Inhalt der von der Mehrheit als Schrott abgelehnt wird findet nicht seinen Liebhaber, sondern da vertraut der Mensch der Gruppe, die vorgibt, was sehenswert ist und was nicht.

Vorteile

Der Empfehlungsalgorithmus hat für den Kunden drei Vorteile: eine schnelle Suche und die Zeit nach einem Ergebnis wird reduziert. Kein stundenlanges Stöbern in einer Videothek. Die Produktionskosten für Netflix sind niedriger, weil sie oft Filmstudenten beauftragen, Konzepte zu drehen und diese bei Erfolg verlängert werden.

Der Filmschaffende erhält ein größeres Budget ohne Risiko, während er sonst über die Filmförderung an strengere Regeln, z.B. Drehort nur in Bayern, gebunden ist. Dafür kann bei Erfolg Netflix das Produkt maximal selbst verwerten. Die Eintrittsbarrieren der Geldbeschaffung sind für den Kreativen gering. Netflix trägt das Risiko der Verwertung und auch für den Kunden, der sich einfach am Algorithmus orientieren kann.

  • Beitrags-Kategorie:Alltagskultur / Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:22. Mai 2021
  • Lesedauer:6 min Lesezeit