In unserem Ausflugstipp nach Meiningen empfahl eine Leserin das Staatstheater Meiningen und empfahl die Operette von Emmerich Kálmán „Die Csáradásfürstin„. Eine Leserin des UniWehrsEL gab diesen Veranstaltungstipp und zeigte sich begeistert! Dies veranlasste eine weitere Leserin des UniWehrsEL uns weitere Informationen und Tipps zu Meiningen zukommen zu lassen. Sie beschreibt, das Staatstheater Meiningen sei zusammen mit dem Museumorchester Frankfurt zum Orchester des Jahres 2025 von der Zeitschrift Opernwelt gewählt worden. Ein Grund für diese Ehrung bestünde sicherlich auch in den außergewöhnlichen Wiederentdeckungen, die das Staatstheater Meiningen seinem Publikum böte. So zum Beispiel die deutsche Erstaufführung von Domenico Sarros Oper „Didone Abbandonata“ – die verlassene Dido. Herzlichen Dank dafür!
Sehr geehrte Redaktion des UniWehrsEL,

Anton Ulrich von Sachsen-Meiningen (1687 -1763), der Urgroßvater des Theaterherzogs Georg II ließ die Oper von Sarros nach Meiningen kommen. Nach der Uraufführung in Neapel wanderte die Oper 20 Jahre lang durch Europa und wurde in vielen Ländern wie z.B. Italien, Tschechien, Österreich, Slowenien und der Slowakai. Im Vorgriff auf 2026, dem Jubiläumsjahr von Georg II, entdeckte der Intendant Jens Neuendorff von Enzberg die Oper in der herzoglichen Musiksammlung wieder. Mit der unglücklichen Liebe von „Dido und Aneas“ hat sich auch die Oper Frankfurt in der berühmten gleichnamigen Oper von Purcell beschäftigt. Zuletzt zu sehen in der vierten Wiederaufnahme der Oper Frankfurt in 2022. In der Inszenierung von Barry Kosky wird das Paar durch einen Zauberer getrennt und Dido ahnt bereits in der Anfangsszene, dass ihre Liebe zu Aneas nicht von langer Dauer sein wird. In Frankfurt stirbt Dido an gebrochenem Herzen. Da setzt die Oper in Meiningen in „Didone Abbandnata“ einen anderen Schwerpunkt. Dido steht zwischen zwei Liebhabern.
Wie verknüpft Dietrich Hilsdorf die Oper mit Sartres Geschlossene Gesellschaft?
Hilsdorf verlegt die Handlung bewusst aus dem antiken Griechenland in das Jahr 1724 und gestaltet die Oper wie ein Kammerspiel. Dabei denkt er an Jean‑Paul Sartres Schauspiel Geschlossene Gesellschaft, in dem „die Hölle immer die anderen“ sind. Das Schauspiel Geschlossene Gesellschaft konnte zuletzt 2019 am Schauspiel Frankfurt in der Inszenierung von Johanna Wehner bewundert werden. Diese Ausführung hatte etwas Puppenhaftes. Die Nerven lagen bei der Gruppe blank. Die Kostüme waren irgendwie ein Mix aus Punk und Rokoko.

Wie in Sartres Stück, in dem sechs Personen für alle Zeiten nicht voneinander loskommen, bleibt in Sarros Oper der Druck auf die sechs Menschen nur für zwölf Stunden erhalten – ein intensiver, konzentrierter Moment, in dem jede Entscheidung das Schicksal aller bestimmt.

In der Vorgeschichte flieht Aeneas nach mehr als zehn Jahren Krieg in Troja über das Mittelmeer, um einen Ort zu finden, an dem er ein neues Troja errichten kann. In seiner Vorstellung liegt dieser Ort in Italien. Auf seiner Suche begegnet er in Tunis der Königin Dido, die ebenfalls auf der Flucht ist: Sie floh vor ihrem eigenen Bruder, der ihren Mann getötet hat, und gründete in der Fremde die Stadt Karthago. Der schöne Aeneas ist jedoch nicht nur Dido ins Auge gefallen, sondern auch ihrer Schwester Selene. Wie der Titel der Oper bereits voraussagt, wird Dido am Ende von Aeneas verlassen, weil ihm die Gründung des neuen Troja wichtiger ist, als seine Liebe zu ihr. Aeneas fürchtet mehr den Geist seines toten Vaters – der im Unterbewusstsein erscheint, im Traum erinnert und ihn an seine Aufgabe, das neue Troja an der heutigen Stelle Roms zu gründen – als eine Beziehungskrise mit Dido.
Neben dem bereits genannten Dreiecksverhältnis Dido, Aeneas und seiner Schwester Selene hat Dido noch einen zweiten Mann, zwischen dem sie sich entscheiden kann: Iarba, Aeneas’ Rivale um die Gunst der schönen Dido. Auch Selene hat neben Aeneas einen zweiten Verehrer, Araspe. Diese Verflechtungen zeigen, dass die Barockoper voller Begehren ist und die Figuren in einem engen Netz aus Liebe, Macht und Pflicht gefangen sind.

(mehr zu Barockoper im Beitrag „Begehren und Verlangen„)
Hilsdorfs Entscheidung, die Geschichte in das Jahr 1724 zu verlegen, verleiht dem Ganzen eine historische Schärfe, die das Publikum unmittelbar spürt. Die Kostüme, das Bühnenbild und Sarros Musik verschmelzen zu einer dichten Atmosphäre, in der die sechs Protagonisten – wie in Sartres Geschlossene Gesellschaft – nach einem Ausweg aus ihrer Situation suchen. Die Oper bleibt dabei nicht in der mythologischen Ferne, sondern wird zu einem menschlichen Drama, das durch die zeitliche Verlagerung und die konzentrierte Kammerspiel‑Ästhetik besonders eindringlich wirkt.
Welche tierischen Spiegelbilder offenbaren die inneren Konflikte der Figuren?
Im Gedanken an das Seminars „Animal – Tiere als Spiegelbilder menschlicher Seelenzustände“ oder auch

wie im Beitrag „Die Banditen“ habe ich die Figuren der Oper Didone Abbandonata bewusst als Tiere gedeutet – ein Ansatz, der verdeutlicht, dass Tiere in literarischen Darstellungen letztlich nur verkörperte Menschen sind. Durch diese tierische Projektion wird das menschliche Begehren, die Machtspiele und die existenzielle Zerrissenheit greifbarer.

Aeneas, der unerschütterliche Anführer der Trojaner, erscheint mir als mutiger Löwe: majestätisch, kraftvoll und von einem unstillbaren Drang nach Größe getrieben. Sein Rivale Iarba teilt dieses Bild, ein ebenso stolzer Löwe, dessen Konkurrenz den Protagonisten nur noch stärker macht. Dido hingegen strahlt wie ein eitler Pfau – prachtvoll, farbenfroh und von einer stolzen Selbstbehauptung geprägt, deren Schönheit andere in ihren Bann zieht. Ihre innere Zerbrechlichkeit wird jedoch von der äußeren Pracht überdeckt, was ihr Handeln besonders vielschichtig erscheinen lässt. Die Gestalt des Pfaus wähle ich an dieser Stelle bewusst weil Dido eine mächtige Herrscherin ist. Sie könnte Aneas jederzeit vernichten, aber seine Liebe schmeichelt ihr. Selene, die unscheinbare Schwester, ist wie ein Erdmännchen – klein, wendig und scheinbar unbedeutend, doch für Araspe, den zweiten Verehrer, wird sie zu einer reizvollen Partnerin, die seine Aufmerksamkeit fesselt. Araspe selbst wirkt wie ein listenreicher Fuchs: schlau, verführerisch und stets darauf aus, die Schwächen seiner Mitstreiter auszunutzen.
Durch diese tierischen Zuordnungen entsteht ein Bild, das die Barockoper als ein Geflecht aus Begehren, Macht und flüchtigen Allianzen erscheinen lässt. Die Figuren jagen einander wie Raubtiere. Doch mein liebster dramatischer Moment bleibt die innere Zerrissenheit Aeneas’, der mehr Angst vor dem Geist seines verstorbenen Vaters hat als vor Didos Ablehnung. Sein Traum, ein neues Troja zu gründen, wird zum unaufhaltsamen Drang, der alle Beziehungen zerschneidet.
Sind Tiere auch nur Menschen?
Der Kernsatz „Die Hölle sind immer die anderen„

wird in Didone Abbandonata zur Beschreibung des unausweichlichen Drucks, den die sechs Protagonisten aufeinander ausüben. Jeder ist zugleich Täter und Opfer: Aeneas muss seine göttliche Mission über die Liebe zu Dido stellen, Dido verliert ihre erotische Macht auf Männer, weil sie zwischen Aeneas und Iarba wählen muss, Selene wird von Araspe begehrt, und Araspe selbst ist auf die Schwächen der anderen angewiesen, um seine Ziele zu erreichen. In den zwölf Stunden der Handlung wird das Schicksal jedes Einzelnen untrennbar von den Entscheidungen und Erwartungen der übrigen fünf bestimmt – das kollektive Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt, ist die eigentliche Hölle.

Hilsdorfs Entscheidung, die Geschichte in das Jahr 1724 zu verlegen, verleiht der Aufführung eine glanzvolle Seite, die das Publikum unmittelbar spürt. Die Kostüme, das Bühnenbild und die Musik von Domenico Sarro verschmelzen zu einer dichten Atmosphäre, in der die sechs Protagonisten – wie die Tiere im Tierreich – in einem engen, unvermeidlichen Tanz gefangen sind. Die Oper bleibt dabei nicht in der mythologischen Ferne, sondern wird zu einem menschlichen Drama, das durch die tierischen Metaphern für den Leser noch greifbarer wird. In diesem Sinne bestätigt sich für mich der Satz: Tiere sind auch nur Menschen.
Danke Jean Nomadino, umitsolmaztv, rottonara, Elsemargriet from Pixabay
