Du betrachtest gerade Staatstheater Darmstadt: Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ – Mut zur Feminismusdebatte?

Es ist schon erstaunlich, wie Seminarthemen den Blick vorgeben. So werden Stücke, die in Theatern angeboten werden, plötzlich kritisch der potentiellen Anpassung an ein bestimmtes Seminarthema unterzogen. So beschreibt ein Leser, wir hätten in unserem Seminar „Puppen und Menschen“ darüber gesprochen, wie inszenierte Objekte und Figuren menschliche Gefühle spiegeln können. Dieser Gedanke habe ihn begleitet ,während der Aufführung von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ in der Regie von Florian Mahlberg am Staatstheater Darmstadt. Mahlbergs Inszenierung spielt, nach Meinung des Beitragschreibers, mit Artefakten und Bildern, die wie Puppen oder Requisiten als Stellvertreter menschlicher Sehnsüchte, Konventionen und Zwänge wirken würden; so entstehe ein gutes Echo zum Seminarthema.

Liebe Leser des Blog UniWehrsEL,

zuerst möchte ich Jane Austens Roman kurz für Sie zusammenfassen: Die intelligente und kluge Elizabeth Bennet navigiert zusammen mit ihren vier Schwestern durch die gesellschaftlichen Erwartungen des frühen 19. Jahrhunderts. Liebesbeziehungen sind in Austens Welt eng verknüpft mit ökonomischen Zwängen und Rangfragen; Stolz und Vorurteil — die inneren Hürden von Stolz, Missverständnissen und Vorurteilen — müssen überwunden werden, damit echte Zuneigung möglich wird.

Jane Austens Stolz und Vorurteil zeigt das Leben der fünf Bennet-Schwestern im England des frühen 19. Jahrhunderts, hier erzählt durch die Metapher der Puppen: Die Bennets stehen wie aufgereihte Figuren auf einer Bühne, deren Zukunft an Fäden hängt — weil das Familienvermögen an einen entfernten Erben fällt, ist die Heirat für jede Tochter existenziell und wird zur Rolle, die sie zu spielen hat. Jane Bennet (Lisa Eder) erscheint als sanfte, wohlwollende Puppe, um die sich der wohlhabende Mr. Bingley (Niklas Herzberg) gern schart; Elizabeth Bennet (Alexandra Kienitz), dagegen ist die widerspenstige Marionette, die Mr. Darcy (Florian Donaht),  ersten, verschlossenen Auftritt missversteht und ablehnt.

Durch Missverständnisse, die Einmischung Dritter und die strengen Regieanweisungen der Gesellschaft geraten die Figuren aus dem Takt: Bingley und Jane werden auseinandergezogen, Elizabeth erhält ein schroffes, demütigendes Heiratsangebot Darcys und weist es zurück — als wollte sie den Faden durchtrennen. Später jedoch entpuppen sich Darcys Handlungen als selbstlose, unsichtbare Fäden, die das Schicksal der Familie retten (beispielsweise im Fall von Lydia). Elizabeth erkennt, dass Darcys anfängliche Zurückhaltung weniger Arroganz als die Scheu eines ebenso verletzlichen Puppenspielers war; er lernt, seinen eigenen Stolz abzulegen und offenbart Zuneigung und Respekt.

Hinter der Liebesgeschichte offenbart sich bei Austen die scharfe Beobachtung gesellschaftlicher Mechanismen: Ehe als ökonomischer Tausch, Standesdenken und die Begrenzung weiblicher Autonomie — all das wie Regieanweisungen, die das Spiel der Figuren formen. Am Ende zeigt sich, dass Charakter und Einsicht die Knoten lösen können, die Vorurteile und Stolz geknüpft haben, und dass echte Verbindung möglich wird, wenn die Puppen der Konvention einmal losgelassen werden.

Für diese Produktion hat das Staatstheater Darmstadt eine echte weiße Kutsche gekauft. Diese war eine Erinnerung an Wien. Dort wirst du bestimmt nicht nur eine Kutsche begutachten können. Die Kostüme sollten auch an das 19. Jahrhundert erinnern waren aber eine besondere Kreation. Es hatte etwas von einer Modenschau. Nun führten die Schauspieler, diese Dialoge rund um das Be(werben) einer Ehe.

Liebesband zwischen Elizabeth (Lissy) und Mr. Darcy — eine freie Schilderung der Gefühle: Elizabeth spürte, wie ein inneres Aufbegehren und zugleich eine seltsame Wärme in ihr aufstieg, sobald Darcy in ihrer Nähe war. Seine zurückhaltende Ernsthaftigkeit, die ihr früher so überheblich erschienen war, öffnete sich nun in Augenblicken, die wie gebrochene Sonnenstrahlen durch eine Wolkendecke fielen. Er sprach selten, doch wenn er sprach, trafen seine Worte sie tief — nicht durch Zärtlichkeit allein, sondern durch die Ehrlichkeit, mit der sie ausgesprochen wurden.

Lissy sah in seinen Blicken nicht mehr nur Stolz, sondern das beständige Ringen eines Menschen, der ebenso verletzt und verunsichert war wie sie. Diese Erkenntnis löste eine zarte Milde in ihr aus; was vorher Abwehr war, wurde langsam Bewunderung, und aus Bewunderung wuchs die Hoffnung — leise, zaghaft, aber unerbittlich. Beide fanden sich in einem stillen Wettlauf zwischen Verstand und Gefühl, zwischen gesellschaftlicher Pflicht und dem Drängen des Herzens; und in diesem Zwiespalt begann etwas Neues zu keimen, das weder ganz Vernunft noch nur Leidenschaft war, sondern die unberechenbare Saat einer tieferen Zuneigung.

Das hatte etwas künstlich Gestelztes aber die Darstellung hatte durch ihren sehr ernsthaften Vortrag eine überraschend lustige Seite. Diese Aufführung sorgte für Heiterkeit. Das liegt wohl an der intelligenten Zuspitzung der Dialoge oder dieser Schere im Kopf zwischen Bild und Wort.

Am Ende machte die Regie einen besonderen Kunstgriff. Sie wagte den Ausbruch aus der Handlung rund um Janes Austins Buch. Klar bleibt dann offen, ob sich das Hauptpaar bekommt und unsterblich ineinander verliebt. Dazu der Hinweis wir sind hier nicht bei Disney. Stattdessen wurde ein Hamsterrad sinnbildlich auf die Bühne gebracht. Das Paar läuft also im Hamsterrad der eigenen Gefühlswelt umher. Das ist ein überaus interessantes Bild. Es soll dem Publikum verdeutlichen, dass die Figuren in Jane Austen ihre Zuneigung nicht aus Gefühlen bestimmen, sondern aus wirtschaftlichen Erwägungen. Beide Seiten Mann und Frau gehen eine wirtschaftliche Beziehung ein. Diese wird in einer Ehe schriftlich besiegelt. Das klingt alles andere als romantisch.

Daher auch das Hamsterrad – die gesellschaftliche Erwartung an die jungen Leute sich zu verbinden. An einer Stelle vor dem Hamsterrad sagt der Vater der fünf Töchter denn auch, es wäre so schön, wenn wenigstens eine der Töchter „von seiner Tasche gehen würde“. An dieser Stelle hätte nun die Produktion enden können.

Nur war die Botschaft der Regie wohl nicht eindeutig genug, und so gab es noch einen Film mit einer Philosophin, die dem Zuschauer versucht die Story von Stolz und Vorurteil einzuordnen. Dies ist ein ungewöhnlicher Vorgang, da im allgemeinen bei Stücken die Regel gilt selber denken macht klug. Eine Erläuterung der Handlung ist auf dem Dramaturgen in einer Einführung und das Programmheft beschränkt.

Diese Erklärung des Inhalts während das Stück läuft, kenne ich aus den Netflix-Produktionen (amerikanischer Streaminganbietern), wo teilweise Personen in die Handlung eingeführt werden, um dem Zuschauer die Storyline nochmal zu erläutern. Bei Netflix ist der Grund dafür, dass die Produzenten solcher Filme Studien gelesen haben, dass Menschen Filme nur nebenbei schauen und gleichzeitig am Smartphone spielen.

Das stellt die Theatermacher der Zukunft vor große Herausforderungen, weil zukünftige junge Theatergänger sich vielleicht nicht mehr auf eine dreistündige Oper konzentrieren können oder wollen, weil sie von Netflix in ihren Sehergewohnheiten beeinflusst worden sind.

Noch schlimmer ist für die Aufmerksamkeitsspanne sicherlich nur bei der kostenlosen App TikTok – die ihre Botschaft binnen 30 Sekunden vermittelt. Kein Wunder, wenn also Politikerinnen wie Frau Reichinek sprechen wie eine Maschinengewehrsalve – sie müssen ihre Botschaften binnen 30 Sekunden ans Publikum bringen, weil sonst die Aufmerksamkeit wieder weg ist. Möglicherweise steht dem Schauspielpublikum in den nächsten Jahren eine TikTok-Revulution noch bevor, dass bedeutet schnelle Gags, damit das Publikum beim Schauen nicht einschläft.

Da sich Jane Austen an ein junges Publikum richtet, möchte ich dem Regieteam nicht eine Belehrung des Publikums um seiner Selbstwillen unterstellen, sondern ich nehme an, dass sich das Team der voranschreitenden Netflixisierung von Filmen und TV bewusst ist und diese ins Theater einfach adaptiert.

Die Philosophin fasst nun zusammen, dass eine Frau sich ihren Partner zur Zeit von Jane Austen nicht aus Liebe selbst wählen konnte, sondern stets wirtschaftliche Erwägungen mit in ihre Heiratspläne einbeziehen musste. Die Philosophin geht davon aus, dass es auch heute noch ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen gibt. Zwar ermöglicht die heutige Zeit Frauen eine wirtschaftliche Eigenständigkeit, indem Frauen Berufe ergreifen und selbst in der Gesellschaft aufsteigen können. Doch dies gilt mit Sicherheit nicht für alle heutigen Frauen. Daher ist der Aufstieg mittels Heirat auch heute noch ein praktikabler Weg für Frauen, aber auch für Männer ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.

Ob es den heutigen Mann-Frau-Beziehungen gelingt, wie dem Paar aus Stolz und Vorteil eine gleichwertige Beziehung zu führen, lässt die Philosophin im Stück offen. Stolz und Vorurteil wird aber gerade aus dem Grund des Hoffens auf eine gleichwertige Beziehung beider Geschlechter heute noch gelesen.

Die Philosophin stellt die These auf, dass es reaktionäre Männer gäbe, die Frauen(rechte) gerne zurückdrängen würden, in die Zeiten, in denen Frauen noch nicht erben konnten und als Verfügungsmasse sich dem (reichen) Mann andienen mussten. Es bleibt dem Zuschauer selbst überlassen, ob der den Thesen der Philosophin folgt.

Mit diesen Gedanken hätte das Stück enden können. Im Anschluss gab es einen kleinen Aufruf zur Revolution. Vielleicht sollten die Lebensverhältnisse der Geschlechter besser angeglichen werden? Vielleicht sollte das Ehegattensplitting abgeschafft werden? Dies ist eine interessante Forderung, da die Aufführung mehr von Paaren besucht wurde, als von Singles, so zu mindestens meine persönliche Beobachtung.

Das Stück endet mit den fünf verträumten Frauen, die von einer glücklichen Zukunft mit einem wunderbaren Partner träumten. Disneys Märchenwelt ist nach dem Ausflug in die ‚Revolulutionswelt‘ am Ende der Vorstellung zurückgekehrt, und der Zuschauer kann sich wieder zufrieden zurücklehnen.

Netflix hätte wohl den märchenhaften Schluss begrüßt und die eingebaute Sozial-Feminismus‘ Kritik weggelassen, aber im Theater kann solch eine Kommentierung eben vorkommen. Ob der Zuschauer in diesem Moment wie bei einer Netflix Produktion, die Vorspultaste drückt oder diesen Teil ausblendet und kurz mal gedanklich auf Stand-By geht, können die Theatermacher nicht wissen – denn die Gedanken sind frei!

Fazit: Florian Mahlbergs Inszenierung ist ein wagemutiger, visuell starker und gedanklich anregender Zugang zu Austens Roman. Sie verbindet historische Referenzen und modische Kreationen mit modernen Eingriffen (Hamsterrad, Filmsequenz) und öffnet den Blick für die ökonomischen Grundlagen von Ehe und Zuneigung — manchmal tosend komisch, manchmal didaktisch überfrachtet. Trotz kleinerer Überfrachtungen bleibt die Aufführung sehenswert: Sie regt zur Diskussion an und macht deutlich, wie aktuell Austens Themen noch heute sind.

Ganz herzlichen Dank wieder einmal an Pixabay für die Impressionen, die dem Text eine besondere Gewichtung verleihen!
  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:24. Oktober 2025
  • Lesedauer:13 min Lesezeit