Teil 4: Klaus Mann: Todessehnsucht und Tod – Jean Améry: den Freitod vorwegnehmen
Im vierten Beitrag von Heiner Schwens begegnen wir Klaus Mann (1906-1949); Sohn des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Thomas Mann. Er war ein vielseitiger Schriftsteller und Publizist, der in der Weimarer Republik und im Exil eine wichtige Rolle spielte. Er bewegte die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wie kaum ein Zweiter. Er wählte mit 42 Jahren 1949 in Cannes den Freitod. Jean Améry, (1912 -1978), war ein österreichischer Schriftsteller, Widerstandskämpfer gegen und Opfer des Nationalsozialismus. Améry wollte den „Suizidär“ aus seiner Außenseitersituation als gesellschaftlich betrachteten „Kranken“ herauszuholen. (Bitte beachten Sie auch die Beiträge Teil 1,2,3 zur Todessehnsucht recherchiert von Heiner Schwens).
Klaus ist die tragische Figur unter den Mann-Kindern: Das schwierige Verhältnis zum Vater, die komplizierte Liebe zur Schwester Erika, das Outing seiner Homosexualität, seine Drogensucht, die große Einsamkeit in der Emigration – für Klaus Mann war das alles auf Dauer nicht zu ertragen; der früh geäußerten Todeswunsch hat er sich im Alter von 42 Jahren mit einer Überdosis Schlaftabletten selbst erfüllt. Klaus Mann (KM) kämpfte aktiv gegen das NS-Regime, nach deren Machtergreifung emigrierte er nach Paris und war später in den USA tätig. Er gilt als einer der wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Exilliteratur nach 1933.
In seinen Werken finden sich häufig autobiografische Bezüge, so in den Romanen Symphonie Pathetique – ein Portrait über Tschaikowsky, Mephisto – auch unser Beitrag Der aktuelle Mephisto – und Der Vulkan – über Exilschicksale.
In seiner zweiten Autobiographie, Der Wendepunkt, S. 581 (Der Titel bezieht sich auf Manns Ansicht, jeder Mensch habe an bestimmten Lebenspunkten die Möglichkeit, sich für das eine oder andere zu entscheiden und damit seinem Leben eine bestimmte Wendung zu geben. In seinem Leben war das die Wandlung vom ästhetisch-verspielten zum politisch engagierten Schriftsteller) beschreibt er seine Lebenssituation: „Was für eine Geschichte ist es denn, die ich zu erzählen habe? Die Geschichte eines Intellektuellen zwischen zwei Weltkriegen, eines Mannes also, der die entscheidenden Lebensjahre in einem sozialen und geistigen Vakuum verbringen musste: innig-aber erfolglos-darum bemüht, den Anschluss an irgendeine Gesellschaft zu finden, sich irgendeiner Ordnung einzufügen: immer schweifend, immer ruhelos, umgetrieben, immer auf der Suche…; die Geschichte eines Deutschen, der zum Europäer, eines Europäers, der zum Weltbürger werden wollte; die Geschichte eines Individualisten, dem vor der Anarchie fast ebenso graut wie vor der Standardisierung, der `Gleichschaltung`, der `Vermassung`; die Geschichte eines Schriftstellers, dessen primäre Interessen in der ästhetisch-religiös-erotischen Sphäre liegen, der aber unter dem Druck der Verhältnisse zu einer politisch verantwortungsbewussten, sogar kämpferischen Position gelangt….. Der Schatten des väterlichen Ruhms auf meinem Weg….ja, das gehört auch hinein“.
Aus seinen beiden Autobiographien (Kind dieser Zeit, und Der Wendepunkt) lassen sich die frühe Beschäftigung mit dem Tod herleiten, vor allen Dingen in der ersten Autobiographie. Carol Petersenschreibt über Klaus Mann in „Köpfe des 20. Jahrhunderts“: „Und so unglaublich es erscheinen mag, trat schon in den Versen des Sechsjährigen das Todesbewusstsein zu Tage, wenn der schöne Jüngling beim vermeintlichen Einsturz des Hauses fragt: Wozu bin ich geboren, wenn ich hier doch sterben muss.“
Christopher Isherwood, englischer Schriftsteller (1904-1986), war seit den dreißiger Jahren mit KM bekannt und pflegte regelmäßigen freundschaftlichen und brieflichen Verkehr. Er bestätigte eine Affinität zur Melancholie Todessehnsucht und Furcht vor dem Leben. Birgit Fultonbeschreibt 2009 auf den Seiten 40-47 in ihrer Dissertation „Klaus Mann: Das Scheitern am missratenen Leben. Untersuchungen zum Identitätskonstrukt Klaus Manns“ die frühe Beschäftigung mit dem Tod unter dem Titel: „Tod und Todessehnsüchte“.
Schon als Kind wünscht KM zu vergessen, er möchte seinem belasteten Leben entfliehen. „Er konnotiert Tod-Geborgenheit-Mutterleib; d. h., dass der unbewusste Zustand des Embryos im Mutterleib nicht zum Zeichen neuen Lebens, sondern zur Metapher für die Erlösung im Tod wird“. Auch als Zweiunddreißigjähriger stellt er sich den Tod als Rückkehr in die Welt des Mutterschoßes vor. Mit dieser Vorstellung entzieht er der Mutter die „lebensspendende positive Funktion“. KM belasten zwei Kindheitserlebnisse, den Anblick eines ertrunkenen Bäckergesellen in einem Tölzer Klammerweiher und seiner eigenen lebensgefährlichen Erkrankung als Zehnjähriger.
KM nimmt beide Erlebnisse in seine Autobiographien auf, allerdings mit unterschiedlicher Wertung.In „Kind dieser Zeit“ (1: Autobiographie) wird der ertrunkene Bäckergeselle eher am Rande erwähnt, „der Tod erscheint als etwas Fremdes und Fernes“, er spricht von der „fremden, spröden, beunruhigenden Schönheit“ des Toten. In „Der Wendepunkt“ (2. Autobiographie) behandelt KM diese Episode ausführlicher. Als dann Sechsunddreißigjähriger hat er die Furcht vor dem Tod und dessen Fremdheit verloren, aber „das Auszeichnende, Verklärende des Todes bleibt“. Seine früheren Erfahrungen werden umgedeutet, aus der unklaren Furcht vor dem Tod „entsteht das Motiv der verklärenden Wirkung des Todes – ein Erlösungsmotiv. Der Bäckergeselle gewinnt durch den Tod Würde und Schönheit, der Tod wird als Erhöhung und Erlösung begriffen“; anders als bei seinem Vater, der vom Verfall und Verlust der Würde im Sterben spricht. KM „stilisiert das Sterben zu einem Erlösungserlebnis, ja zu einer metaphysisch grundierten Erhöhung des Toten“.
In der autobiographischen Darstellung seiner lebensgefährlichen Erkrankung als Kind verfährt er ähnlich.In seiner ersten Autobiographie sieht KM die Erkrankung als Zeichen der Auserwähltheit, auserwählt zum Künstlertum. Er „suggeriert dem schwerkranken Knaben nicht Angst, sondern Stolz auf die Begegnung mit dem Tod“. Der Krankenwagen zur Fahrt ins Krankenhaus „verschmilzt zu einer geheimnisvollen Mischung aus Mutterleib, Wiege und Sarg“; „er schaukelte mich mit tödlicher Absicht über den Odeonsplatz….“. Unbewusst wird Raum geschaffen für den Tod. In Der Wendepunkt, seiner zweiten Autobiographie mit 36 Jahren, bewertet er dieses Kindheitserlebnis anders. Hier spricht er von Wiege-Unbewusstsein im Schlaf-Tod -verlorenem Paradies „und damit der Wunsch nach Auslöschung der eigenen leidvollen Existenz“; dies kann als Todeswunsch gedeutet werden.
Hans Feist, KM`S langjähriger Freund, kennt dessen Vorliebe für seine romantische Todessehnsucht in den literarischen Vorlieben. „Terzinen über die Vergänglichkeit“ von Hugo von Hofmannsthal gehört dazu. Er kommt zu dem Schluss: „Von Jugend an hegte KM den Wunsch, früh zu sterben“. Wie schon erwähnt, starb Klaus Mann mit 42 Jahren 1949 in Cannes an einer Überdosis Schlaftabletten.
Jean Améry, wenn Schriftsteller ihren Freitod schreibend vorwegnehmen.
Jean Améry, (1912 -1978), war ein österreichischer Schriftsteller, Widerstandskämpfer gegen und Opfer des Nationalsozialismus. Er kam aus einfachen Verhältnissen, und durch den frühen Tod des Vaters war die Mutter für ihn die wesentliche Bezugsperson. Als Zwölfjähriger verließ er ohne Noten die Schule, konnte aber trotzdem eine Lehre als Buchhändler abschließen. Als freier Hörer an der Universität in Wien besuchte er literarische und philosophische Vorlesungen, er war ein Autodidakt.
Er lernte Hermann Broch, Robert Musil (österreichische Schriftsteller) und Elias Canetti (bulgarisch-britischer Schriftsteller) kennen. Prägend für Améry war auch der sog. Wiener Kreis mit den Philosophen Moritz Schlick, Ludwig Wittgenstein, Friedrich Waismann, Otto Neurath und Rudolf Carnab. Mit Ernst Theodor Mayer war er in dieser Zeit Herausgeber der literarischen Zeitschrift Die Brücke.
Todesnähe erlebte er im Konzentrationslager Auschwitz, nachdem er vorher durch SS-Angehörige gefoltert wurde. Weil die Sowjetarmee näher rückte, wurde er später ins KZ Mittelbau-Dora verlegt, am 15. April 1945 wurde dieses durch britische Truppen befreit.
Nach 1945 war er Dozent und Vortragender, er arbeitet als Kulturjournalist für verschiedene deutschsprachige Zeitungen in der Schweiz, später wurde ihm die Leitung der Abteilung „Kulturelles Wort“ beim Norddeutschen Rundfunk angeboten.
1970 wurde Améry mit dem Deutschen Kritikerpreis, 1971 mit dem Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, und 1977 mit dem Lessingpreis der Freien und Hansestadt Hamburg ausgezeichnet. Er nahm sich 1978 in Salzburg das Leben.
Im Gegensatz zu Klaus Mann, dessen Todessehnsucht aus seinen beiden Autobiographien hergeleitet werden musste/konnte, sprach Jean Améry ganz offen über den Tod und der Bedeutung für ihn.
In diesem Essay illustriert er die Annäherung an den frei gewählten Tod. „Frei, weil mit ultimativer Konsequenz aus der Unfreiheit handelnd“. Ein gescheiterter Mensch erhält damit einen Ausweg. Für ihn ist der Freitod nicht nur eine Möglichkeit, die erdrückenden Sorgen nicht mehr bearbeiten zu müssen, sondern der Freitod steht im Zeichen der Würde (vgl. „Untergrundblättle“, 21.12.2017)
Aus Anlass dieses Buches, führte Christian Schulz-Gerstein am 3. Juli 1976 ein Gespräch mit Jean Améry, das gekürzt in der „Zeit“, 1978 nach seinem Tod als umfassende Niederschrift im „Der Spiegel“ veröffentlicht wurde. In meinen weiteren Ausführungen nehme ich hierauf Bezug.
Ebenso wie bei KM hat er sich schon seit seiner Kindheit mit dem Tod befasst, hier allerdings mit dem Freitod, „der mich eigentlich immer begleitet hat, angezogen hat, natürlich auch mit Schrecken erfüllt hat“. Für ihn gehörte zum Freitod Courage, nur dumme Leute würden den Freitod als feige betrachten. Natürlich hat sich der Inhalt des Freitodgedankens mit dem Älterwerden verändert, als Vierzehnjähriger empfindet man anders „man möchte sich schnell umbringen“, statt als Sechzigjähriger, der Erfahrungen und theoretische Erkenntnisse mit sich bringt.
Améry verneint Umstände, Situationen oder Leute oder Vorgesetzte, die den Freitodgedanken hätten beschleunigen können. Es gab allerdings auch Zwangssituationen. So hätte er damals einen Gestapomann erschießen wollen und danach sich, jedoch da seine Widerstandsbewegung eine politische war, gab es keine Waffen. Améry hat im KZ, wo er in Einzelhaft war, seinen ersten Suizidversuch begangen. Nicht aus Furcht, wie er sagt, sondern aus Angst, unter der Folter Adressen preiszugeben. Er bezeichnet diesen Suizidversuch als lächerlich gescheitert, weil es ihm nicht gelang, sich mit einem rostigen Stück Metall die Pulsadern aufzuschneiden.
Améry hätte dieses Buch nicht früher schreiben können, da er sich noch „allzu bewegungslos in den Fesseln der Lebenslogik befand“. Sein Buch bezeichnet er nicht als Mutleistung, er spricht von einer „Aufrichtigkeitsleistung“. Von „Lebensekel“ spricht er, wenn in ddie Welt, in der er lebt, zu erdrücken scheint.
Von Psycholog*innen im Rahmen einer Lebensberatung hält er nicht viel. Er glaubt, dass die gesamte Terminologie und die ganze Vorstellungswelt nicht mehr gilt für den Suizidär.Die Anerkennung des Freitods als Menschenrecht, dafür wird plädiert. „Im letzten Grund gehört der Mensch in seiner Entscheidung zu leben oder zu sterben, sich selbst. Ich glaube, dass der Mensch im Wesentlichen nur sich selbst gehört“. Allerdings ächtet die Gesellschaft eigentlich den Selbstmörder, nach Améry aus dem Prinzip der Arterhaltung. Die Natur sieht den Suizid nicht vor. Die Schöpfung wird, wenn auch achselzuckend, im Namen der Lebenslogik akzeptiert – „wer sich das Leben nimmt, nimmt so zu sagen die Schöpfung zurück“. Lebenslogik heißt, durchhalten, man wird es wohl schaffen, es wird wohl werden.
Améry kann sich keine Gesellschaftsform vorstellen, die nicht Zwang im Sinne der Lebenslogik bedeuten würde. „Was will denn der Suizidär? Er will nun einmal gar keine Ziele mehr haben, außer dem einen, dieser Bekräftigung des Freiheitsaktes“. Er spricht in diesem Rahmen auch über Klaus Mann, für den noch unendlich viel zu tun gewesen wäre. Er wollte nicht mehr. Es war genug. Das Bestreben Amérys war es, den Suizidär aus der Außenseitersituation, in dem er sich immer noch befindet, in dem man ihn unbedingt als Kranken sehen will, herauszuholen.
Hanjo Kesting (Autor und Journalist in Hamburg) schreibt über Améry: „Im Sinne der Sterbehilfe glaube ich, kann man bei Améry überhaupt nichts finden, ich glaube, das wäre ihm selber auch lächerlich erschienen. Weil ja die Sterbehilfe der Versuch ist, dem Menschen von außen eine Freiheit zurückzugeben, die er selbst nicht mehr wahrnehmen kann. Und das ist natürlich eine Frage, über die man sich in seinem eigenen Leben Rechenschaft geben muss. Wenn man sie ausüben will, dann muss man sie rechtzeitig ausüben“.
Herzlichen Dank für diese interessanten und wichtigen Beiträge von Heiner Schwens. Danke auch an das Städelmuseum für Käthe Kollwitz Der Ruf des Todes aus der Digitalen Sammlung des Städel Museums. Näheres dazu auch in der Staatsgalerie Stuttgart.
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