Du betrachtest gerade „The Wolf of Wall Street“ von Martin Scorsese – Abgründe zwischen Exzess und Halbwahrheit

„The Wolf of Wall Street“ von Martin Scorsese hatte vor über 10 Jahren für heftige Kontroversen gesorgt. So beschrieb die Frankfurter Allgemeine, es habe schwere Vorwürfe seitens der Tochter eines Kleinkriminellen gegen den Regisseur und den Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio gegeben. Es klingt dann auch nicht nett, wenn die Kurzzusammenfassung des Films lautet: ein ziemlich ekliger Wert(los)papierbetrüger lasse sein heftig verschleudertes Leben in einer geldverseuchten, drogenumnebelten, prostitutionsseligen Revue an uns vorüberziehen. Jordan Belford ist mit illegalen Methoden, Betrügereien und dem Film „Wolf of Wall Street“ berühmt geworden. Nach Absturz und Gefängnis sei er überzeugt davon, eine besondere Fähigkeit zu besitzen, nämlich Menschen zu beraten, wie man reich und berühmt werde, kann man im Deutschlandfunk (DLF) nachlesen. Nicht nur Wölfe seien schlecht beleumundet wegen ihrer Habgier, Fresssucht und Mordlust, auch den Bankern gehe es nicht besser. Ein UniWehrsEL-Leser scheint sich gut im Bankgeschäft auszukennen und hat den Film in den Kontext von Exzess und Halbwahrheiten (passend zu unseren Seminarinhalten) gestellt, mit herzlichem Dank!

Liebe UniWehrsEL-Leser,

Tauchen Sie mit mir in die Welt des Betruges, der Lügen und des Exzesses ein, wie sie im Film „The Wolf of Wall Street“ von Martin Scorsese dramatisch dargestellt wird. Basierend auf den schockierenden Memoiren von Jordan Belfort, erlangte der Film seit seiner Veröffentlichung 2013 Kultstatus.

Doch was macht diesen Film so fesselnd? Es ist die unverschämte, hemmungslose Darstellung von Gier und Maßlosigkeit. Die ausschweifenden Partys, der ungezügelte Drogenkonsum und die skrupellosen Finanzmanipulationen – all das wird in schönen Bildern und mit „vermeintlich“ schonungsloser Ehrlichkeit dem Zuschauer präsentiert. Schonungslose Ehrlichkeit ist ein rhetorischer Trick, der darin besteht, Informationen oder Wahrheiten offen und unverblümt darzulegen, ohne Rücksicht auf mögliche negative Reaktionen. Diesen Rhetoriktrick können z.B. Politiker oder Motivationstrainer verwenden, um ihre Botschaften kraftvoll und vermeintlich authentisch zu vermitteln.

Der Regisseur Scorsese (er ist übrigens begeistert vom neuen Film „Nosferatu – der Untote„) und sein Hauptdarsteller DiCaprio scheuen sich nicht davor, das Publikum in den Abgrund blicken zu lassen, um die dunklen Seiten des amerikanischen Traums zu enthüllen. Und genau dieser schonungslose Einblick in die extremen Höhen und Tiefen eines Lebens im Überfluss macht „The Wolf of Wall Street“ zum Inbegriff des Exzesses.

Jordan Belfort ist kein Held. Er ist ein skrupelloser Betrüger, der Kleinanleger um ihr hart verdientes Geld bringt, indem er ihnen wertlose Pennystocks als lohnende Investitionen verkauft. Ein Pennystock ist eine Aktie, die zu einem sehr niedrigen Preis gehandelt wird, typischerweise unter 5 Dollar pro Aktie. Diese Aktien gehören oft zu kleinen, weniger bekannten Unternehmen und werden in der Regel auf außerbörslichen Märkten (Over-The-Counter, OTC) gehandelt, obwohl sie manchmal auch an größeren Börsen zu finden sind. Aufgrund der geringen Regulierung und Transparenz sind Pennystocks anfällig für betrügerische Aktivitäten, wie z.B. Pump-and-Dump-Schemata. Ein Pump-and-Dump-Schema ist eine Form der Marktmanipulation, bei der der Preis eines Vermögenswerts, wie z.B. einer Aktie, künstlich in die Höhe getrieben wird (gepumpt), um ihn dann zu einem überhöhten Preis zu verkaufen (gedumpt).

Wie beschrieben pumpen Belford und sein Team Aktien künstlich auf, nur um sie am Höchstpunkt abzustoßen, während die Kleinanleger auf wertlosen Papieren sitzen bleiben und ihre Ersparnisse verlieren. Mit dieser abscheulichen Methode finanziert Belfort seinen exzessiven Lebensstil – Drogen, Frauen, Luxusyachten und dekadente Partys.

Der Autor der Vorlage, Jordan Belfort selbst, setzt sich dabei über jegliche moralische Prinzipien hinweg und widmet sich in einer Art Rausch dem Leben auf der Überholspur. Aus moralischer Sicht ist Belforts Verhalten zutiefst verachtenswert. Ohne einen Funken Skrupel bereichert er sich schonungslos an anderen, missbraucht deren Vertrauen und ruiniert Leben. Der Film widmet diesem Kern des Anlegerdramas gerade einmal vier Minuten, bevor er sich in eine rauschhafte Darstellung vulgären Reichtums und hemmungslosen Exzesses stürzt. Die exzessiven Bilder vergöttern nach außen hin getragenen Reichtum, und zeigen eine Dekadenz der Betrüger. Der Film ist umstritten, weil man nichts über Finanzen, Aktien oder Geldanlage erfährt. Stattdessen wird der Zuschauer mit drastischen Bildern von Exzessen und den Auswüchsen eines Betrügers konfrontiert, die sowohl faszinieren als auch schockieren.

Halbwahrheiten, oder wie man schnell mit den Wölfen heulen könnte

Das gleiche System lässt sich bei Memecoins (Kryptowährung, die aus einem Internet-Meme hervorgegangen ist) 2024 beobachten. Anleger werden oft durch den Hype und die vermeintlichen Erfolgsgeschichten von Memecoins angelockt, nur um später festzustellen, dass sie Opfer von Betrug geworden sind. Betrüger nutzen Social-Engineering-Taktiken und missbrauchen das Vertrauen in Prominente und bekannte Persönlichkeiten, um ihre Opfer zu täuschen. Diese Memecoins werden künstlich aufgepumpt, um den Preis in die Höhe zu treiben, bevor die Betrüger ihre Anteile verkaufen und die Anleger mit wertlosen Token zurücklassen. Token sind im Kontext von Kryptowerten gesonderte Einheiten, die ihre Inhaber zu einer Handlung auf einer digitalen Ressource, zumeist eine Blockchain berechtigen (Blockchain, deutsch Blockkette, ist eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen in einzelnen Blöcken). Der Unterschied zu Coins ist, dass ein Token immer in einem geschlossenen System bleiben muss und außerhalb dieses Netzwerks keine Anwendung findet.

Die Berichte über solche Memecoins erinnern mich stark an den „Wolf of Wall Street“. Wie bereits erwähnt, handelte der Betrüger Belfort nie mit Wall Street Aktien, sondern mit Pennystocks (deutsch Nebenwerten, Aktien mit einem Wert unter 5 US-Dollar). Der Filmtitel Wolf der Wall Street ist also sehr reißerisch, war Belfort doch als Investor nie an der Wall Street aktiv. Es ist fragwürdig, warum Hollywood einem Betrüger wie Belford eine neue Einnahmequelle mit dem Film ermöglicht und so wenig Empathie für die geschädigten Anleger zeigt. So mancher würde einwenden, es handele sich bei „Wolf of Wallstreet“ nicht um eine Dokumentation der Ereignisse, sondern die Verfilmung aus der exzentrischen, verzerrten und verklärten Sicht eines Anlagebetrügers mit ganz viel Satire.

Doch soll Satire nicht die Mächtigen angreifen? Hier werden leichtgläubige Kleinsparer durch den Kakao gezogen. Denn auf deren Kosten macht sich Belfort ein schönes Leben. Mancher Kritiker sieht in dem Film eine Anleitung zum Betrug. Der Betrüger führt ein Traumleben auf Kosten der Dummen, die ihm das Geld anvertraut haben. Er macht sich sogar über seine Opfer lustig. Es ist diese zur Schau gestellte Gleichgültigkeit gegenüber den Anlageopfern, die den Film zu einer Art „Porno“ für Leute macht, die sich ein Leben im Luxus erträumen und dabei bereit sind skrupellos andere Menschen zu schädigen.

„The Wolf of Wall Street“ ist eine grelle und bösartige Darstellung des Exzesses in der Finanzwelt der 1980er und 1990er Jahre.

Jordan Belfort, verkörpert von Leonardo DiCaprio,

führt das Publikum in eine Welt voller Reichtum, Drogen, Partys und skrupelloser Machenschaften. Der Film zeigt, wie Exzess zum Alltag für Belfort und seine Kollegen wird, während sie das Gesetz und moralische Grundsätze völlig ignorieren. Ein besonders markantes Beispiel für den Exzess ist die berüchtigte Szene, in der Belfort und seine Kollegen auf dem Flur des Büros tanzen und dabei Liliputaner werfen. Das Zwergenwerfen (bzw. Zwergenweitwurf) wurde am Russischen Zarenhof schon im 18. Jahrhundert praktiziert, heute ein Spaß in Striptease-Lokalen. Diese Szene verdeutlicht nicht nur den moralischen Verfall der Charaktere, sondern auch die absurde Übertreibung, die sie an den Tag legen. Ebenso beeindruckend ist die Szene, in der Belfort und sein Freund Donnie Azoff, gespielt von Jonah Hill, mit Drogen und Alkohol völlig zugedröhnt in einem dekadenten Chaos versinken. Die Darstellung des Konsums von Quaaludes, einer damals beliebten Partydroge, zeigt die grenzenlose Selbstzerstörung und den Verlust jeglicher Hemmungen. In den späten 60er- und frühen 70er-Jahren waren Quaaludes in britischen Glam-Rock-Clubs total angesagt. Sie wurden jedoch schließlich unter dem sogenannten ​Misuse ​of Drugs Act stark eingeschränkt und sind seit Jahrzehnten quasi von der Bildfläche verschwunden.

Ein weiteres Beispiel für Exzess im Film ist die legendäre Party auf Belforts Luxusyacht. Hier wird der unermessliche Reichtum und die hemmungslose Verschwendung deutlich, während die Gäste in einem exzessiven Rausch aus Alkohol, Drogen und sexuellen Ausschweifungen schwelgen. Belforts Yacht steht dabei symbolisch für seine maßlose Gier und den Wunsch, seine Macht und seinen Reichtum zur Schau zu stellen.

Belforts Verhalten ist moralisch verwerflich, weil er bewusst rücksichtslos die Gesetze bricht.

Er manipuliert Menschen, beutet sie aus ohne Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Seine skrupellosen Methoden und die Ignoranz gegenüber den Konsequenzen seines Handelns führen dazu, dass viele Menschen finanziell und emotional geschädigt werden. Das unethische Verhalten von Belfort und seinen Kollegen stellt eine widerliche Missachtung grundlegender moralischer Werte dar und zeigt, wie Macht und Gier zu einem völligen Verlust des moralischen Kompasses führen können. Das erinnert an Ebenezer Scrooge, dem seine Habgier fast zum Verhängnis geworden ist. A Christmas Carol, Charles Dickens‘ 1843 veröffentlichte Weihnachtsgeschichte, erzählt vom geizigen Ausbeuter Ebenezer Scrooge und dessen Heimsuchung durch die Geister in der Weihnachtsnacht. Leider ist Belford bar jeglicher Einsicht.

Im Gegenteil. Ein wichtiger Aspekt, der den Film kultig macht, ist seine vermeintlich schonungslose Ehrlichkeit, auf die Belford stolz ist. Aber ist es wirklich ehrlich, sich in einem rauschhaften Verhalten zu zeigen oder ist es ein Traumbild für den amerikanischen Durchschnittstypen, der wohl nie in Berührung mit Models, Luxusyachten und dekadenten Partys im Vollrausch kommt? Scorsese und DiCaprio scheuen sich nicht davor, extreme und oft abscheulichen Verhaltensweisen der Protagonisten in Bildern darzustellen. Diese vermeintlich ungeschönte oder „echte“ Darstellung zieht das Publikum in ihren Bann und lässt es gleichzeitig schockiert und fasziniert zurück. Liebt das Publikum nicht den Blick in den Abgrund?

Dennoch sind die Zuschauer oft von diesen Szenen angezogen. Dies liegt daran, dass die Inszenierung des Exzesses eine Art von voyeuristischem Reiz bietet und die dunklen Seiten des menschlichen Verhaltens auf eine unterhaltsame Weise präsentiert werden. Die grotesken und oft absurden Szenen bieten Raum für Lachen und Staunen, das zuweilen aber im Hals stecken bleibt.