Du betrachtest gerade Über Halbwahrheit, Ideologiekritik und Medien als Machtinstrument  – eine Stellungnahme

In einem Leserbrief im Artikel „Halbwahrheit und Ideologiekritik“ wurde versucht, zu klären, ob Adornos Gesellschaftskritik zu Ideologien führen, die das kritische Denken einschränken und wie die Massenmedien die Menschen in ihrer Wahrnehmung der Wirklichkeit manipulieren. Nach Meinung Adornos tragen Kulturindustrie und die Massenmedien dazu bei, eine pseudo-realistische Welt zu schaffen, in der Halbwahrheiten und oberflächliche Wahrheiten dominieren, um die bestehenden Machtstrukturen zu stabilisieren. Gebeten wurde um Kommentare. Ein UniWehrsEl-Leser hat uns dazu seine Meinung unterbreitet. Herzlichen Dank dafür!

Liebe „versunsicherte“ Seminarteilnehmerin und UniWehrsEL Leserin!

Herzlichen Dank für Ihre interessanten Ausführungen, die ich gerne nach meiner Wahrnehmung in Bezug auf Medienvielfalt und die Suche nach der Wahrheit ergänzen möchte.

In der heutigen Medienlandschaft ist die Vielfalt der Meinungen und Perspektiven von entscheidender Bedeutung. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit diese Vielfalt tatsächlich existiert oder ob sie lediglich eine Illusion ist, die von den Leitmedien aufrechterhalten wird. Theodor W. Adorno kritisierte, dass Leitmedien oft ein technokratisches Weltbild reproduzieren, das die bestehenden Machtverhältnisse stabilisiert und Alternativlosigkeit suggeriert. Diese Überlegung wirft die Frage auf, ob Wahrheit in der Medienberichterstattung nur noch als Machtinstrument genutzt wird.

Ein Blick auf verschiedene sogenannte ‚Qualitätsmedien‘ wie den „Spiegel“, die „Süddeutsche Zeitung“, die „taz“, die „Bild“ und den Deutschlandfunk zeigt, dass es innerhalb der Medienlandschaft unterschiedliche Richtungen und Ansätze gibt.

„Der Spiegel“ beispielsweise versteht sich traditionell als investigatives Medium, das versucht, Missstände aufzudecken und kritische Fragen zu stellen. Wer erinnert sich nicht in diesem Kontext an die größte Staatsaffäre Deutschlands. „Die SPIEGEL-Affäre vor 60 Jahren war mehr als eine Medienaffäre. Sie wuchs zur Staatsaffäre heran und erschütterte die Regierung Adenauer, CSU-Verteidigungsminister Franz Josef Strauß musste als einer der mächtigsten Männer im Kabinett zurücktreten. Der Staat hatte Gesetze überdehnt, verfassungswidrig gehandelt und war überhart gegen Journalisten vorgegangen“.

Die „Süddeutsche Zeitung“ legt, nach Selbstdefinition, Wert auf tiefgehende Analysen und eine differenzierte Berichterstattung, während die „taz“ von sich behauptet, oft alternative Perspektiven und soziale Bewegungen in den Vordergrund zu rücken. Die „Bild“ hingegen setzt gezielt häufig auf Sensationalismus und einfache Erklärungen, um ein breites Publikum anzusprechen. Der Deutschlandfunk wirbt mit „umfassender und ausgewogener Berichterstattung“, die sich auf Hintergrundinformationen und tiefere Analysen konzentriere.

Trotz dieser erklärten Unterschiede könnte man argumentieren, dass alle diese Medien letztlich in einem Rahmen operieren, der von den gleichen technokratischen Annahmen geprägt ist. Sie könnten als Teil eines Systems gesehen werden, das die bestehenden Machtverhältnisse legitimiert und die Vorstellung von Alternativen untergräbt. Greift dies Sichtweise zu kurz?

Ein zentrales Problem in der heutigen Medienlandschaft sind die Echokammern, die durch soziale Medien wie „Facebook“ und „TikTok“ verstärkt werden. Der Begriff „Echokammer“ beschreibt eine Situation, in der Menschen hauptsächlich mit Informationen und Meinungen konfrontiert werden, die ihre eigenen Überzeugungen bestätigen.  In Facebook-Gruppen beispielsweise neigen Mitglieder dazu, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben, wodurch abweichende Meinungen oft ausgeschlossen oder ignoriert werden. Dies führt zu einer Verstärkung von Vorurteilen und einer Polarisierung der Ansichten. Auf TikTok können Algorithmen dazu führen, dass Nutzer immer wieder Inhalte angezeigt bekommen, die ihren bisherigen Interaktionen entsprechen, was die Bildung einer Echokammer weiter begünstigt.

Diese Echokammern verstärken die Tendenz zur Polarisierung und führen unter Umständen dazu, die bürgerlich-liberale Einstellung von Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Humanität brüchig werden zu lassen.

Können wir gegen diese pessimistische Sichtweise argumentieren?

Erstens könnte es wichtig sein zu erkennen, dass Medien nicht monolithisch sein sollten. Innerhalb der genannten Publikationen wie Spiegel, Taz sollten eine Vielzahl von Stimmen und Perspektiven stehen. Der „Spiegel“ wirbt beispielsweise in den letzten Jahren immer wieder damit, Themen aufgegriffen zu haben, die gegen den Mainstream gehen, wie etwa soziale Ungleichheit oder Umweltfragen. Die „Süddeutsche“ behauptet, sich intensiv mit Themen wie Migration und Integration auseinandergesetzt zu haben, um dabei unterschiedliche Sichtweisen zu beleuchten.

Zweitens ist der Vorwurf, die bürgerlich-liberale Einstellung sei brüchig geworden wirklich berechtigt? Es gäbe, so zumindest die nach außen geäußerte Meinung, nach wie vor zahlreiche Bewegungen und Initiativen, die sich für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit einsetzten. Diese Stimmen würden Gehör in den genannten Medien finden und zur kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen beitragen. So brächte die „taz“ oft Stimmen von sozialen Bewegungen und kritischen Akteuren ein, die in anderen Medien weniger Beachtung finden würde. Der Deutschlandfunk böte zudem eine Plattform für fundierte Diskussionen und Expertenmeinungen, die zur kritischen Auseinandersetzung anregen solle.

Drittens ist die Vorstellung von Alternativlosigkeit wirklich nur ein Produkt der Medien, sondern vielmehr auch eine gesellschaftliche (um mit Adorno zu sprechen) oder auch eine individuelle Aufgabe (frei nach Hannah Arendt)?

Die Verantwortung, alternative Perspektiven zu fördern und kritisch zu hinterfragen, liegt nicht nur bei den Medien, sondern auch bei den Rezipienten. Leserinnen und Leser müssen aktiv nach Informationen suchen, verschiedene Quellen vergleichen und sich eine eigene Meinung bilden. Es ist entscheidend, dass Individuen sich bewusst entscheiden, welche Medien sie konsumieren. Nur weil Plattformen wie Facebook oder TikTok vermeintlich kostenlos und leicht zugänglich sind, sollten sie nicht als Hauptinformationsquelle dienen.

Positiv formuliert bedeutet dies, dass Menschen nicht nur passiv sind, wenn es darum geht, sich zu informieren. Wünschenswert wäre meiner Meinung nach, auch die Verantwortung der genannten deutschen Medien, ihre Inhalte so ansprechend und relevant zu gestalten, dass Leserinnen und Leser nicht nur Nachrichten konsumieren, sondern motiviert sind, regelmäßig auf weitere  Informationen zurückzugreifen. Massenmedien hätten in diesem Sinne die Aufgabe, ein kritisches Umfeld für die Lesenden zu schaffen, in dem qualitativ hochwertige Informationen angeboten, hinterfragt und Anschlussinformationen aktiv gesucht werden können.

Viertens erscheint mir die Erkenntnis von Wahrheit als Machteffekt nicht ausschließlich negativ. In einer pluralistischen Gesellschaft ist es notwendig, dass verschiedene Wahrheiten und Narrative existieren, um einen demokratischen Diskurs zu ermöglichen.

Fünftens spielt für mich der Staat eine entscheidende Rolle bei der Regulierung und Überwachung von Medien, insbesondere wenn es um die Verbreitung von Falschmeldungen und Desinformation geht. Angesichts der Herausforderungen, die durch soziale Medien und die damit verbundenen Echokammern entstehen, ist es unerlässlich, dass der Staat Maßnahmen ergreift, um die Integrität der Informationen zu schützen und die Öffentlichkeit vor schädlichen Falschmeldungen zu bewahren. Für mich heißt das Zauberwort „Aufklärung“.

Wie kam es zu dieser „Fake-Meldung“, wie sind die einzelnen Positionen dazu und was steckt dahinter?

In einem zweiten Schritt könnte der Staat gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, die soziale Medien dazu verpflichten, Falschmeldungen zu kennzeichnen oder zu entfernen. Dies kann, wie gesagt,  durch Transparenzanforderungen geschehen, die Plattformen dazu anhalten, ihre Algorithmen offenzulegen und zu erklären, wie Inhalte gefiltert und angezeigt werden. Solche Maßnahmen können dazu beitragen, die Verbreitung von Desinformation einzudämmen Darüber hinaus kann der Staat in die Forschung investieren, um die Auswirkungen von Falschmeldungen auf die Gesellschaft besser zu verstehen. Durch die Förderung von Studien und Initiativen, die sich mit Medienkompetenz befassen.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Partnerschaften mit Medienunternehmen einzugehen, um die Qualität der Berichterstattung zu verbessern. Gleichzeitig ist es wichtig, dass der Staat die Pressefreiheit schützt. Eine unabhängige und vielfältige Medienlandschaft ist entscheidend für die Demokratie. Der Staat sollte sicherstellen, dass Journalisten und Medienunternehmen in der Lage sind, ihre Arbeit ohne Angst vor Repressionen oder Zensur auszuführen. Dies schafft ein Umfeld, in dem qualitativ hochwertige Informationen gedeihen können.

Und last but not least noch ein Wort zu Adorno, der das Massenmedium Fernsehen verdächtigt, Ideologien zu verbreiten und das Bewusstsein des Menschen in eine falsche Richtung zu lenken. Er
schränkt allerdings ein, dass dies durchaus vom Fernsehprogramm abhänge. Denn ein gut gemachtes Fernsehprogramm könne durchaus dazu dienen, beim Zuschauer ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln: „Daß das Medium des Fernsehens gerade auch mit Richtung auf Bildung im Sinne der Verbreitung aufklärender Information ein ungeheures Potential enthält, wäre ich der letzte abzustreiten.“ Das Medium Fernsehen (und das gilt wohl auch für die Presse) “ … müßte von vorneherein auch die kritische Fähigkeit entwickeln; er müßte die Menschen dazu bringen, etwa Ideologie zu durchschauen; er müßte sie vor falschen und problematischen Identifikationen bewahren und er müßte sie vor allem davor bewahren, der allgemeinen Reklame für die Welt zu verfallen, die durch die bloße Form solcher Medien, vor allem Inhalt, schon unmittelbar gegeben ist …“ (S. 54)

Und meine Meinung dazu: Durch Regulierung, Aufklärung, Zusammenarbeit mit Medienunternehmen und rechtlichen Maßnahmen kann der Staat dazu beitragen, die Integrität der Informationen zu wahren und die Öffentlichkeit vor den Gefahren von Desinformation zu schützen, während er gleichzeitig die Pressefreiheit und die Vielfalt der Meinungen respektiert, um eine gesunde demokratische Gesellschaft zu fördern.

Mit besten Grüßen und großem Interesse an weiterem Meinungsaustausch, ein UniWehrsEL-Leser

Danke für Image by sofisorgin from Pixabay