Von Ravels Geburtstag, über Katzenliebhaber zu Siamkatzen und unterschiedlichen Deutungen
Ein Musikfreund, der dem Geburtstagskonzert zum 150. von Maurice Ravel am 29.08.2025 an der Akademie für Tonkunst Darmstadt beiwohnte, beginnt gleich mit einer kleinen Klarstellung: der Bolero wurde an diesem Abend leider nicht aufgeführt, doch er bleibt gedanklich untrennbar mit Ravel verbunden. Ravel, geboren am 7. März 1875 in Ciboure und verstorben am 28. Dezember 1937 in Paris, schuf mit jenem Werk 1928 für die Tänzerin Ida Rubinstein ein radikal einfaches Konzept: nur ein kurzes Thema, das 18 mal wiederholt und in einem monumentalen Crescendo bis zur Eruption gesteigert wird. Die Uraufführung erzeugte Applaus, rief aber ebenso Irritation und Ratlosigkeit hervor — und machte den Boléro später zum omnipräsenten Objekt der Popkultur, das in Film, Werbung und Memes immer wieder auftaucht.
Liebe Leser des UniWehrsEL,
zum 150sten Geburtstag stellte die Akademie für Tonkunst Darmstadt ein reizvolles Panorama von Stücken zusammen, in denen Ravels Klangmagie und orchestrale Feinsinnigkeit erlebbar wurden: die schillernden, spiegelnden Klavierwelten aus Miroirs mit ihren funkelnden, bisweilen rätselhaften Figuren; das sehnsuchtsvolle, perlende Ondine (kleine Meerjungfrau), das wie ein Wasserschleier durch den Raum glitt; das temperamentvolle, virtuos anmutenden Chansons aus Don Quichotte mit reichlich spanischem Schwung; und das zart-poetische, exotisch gefärbte Lied Mamère l’Oye, hier in liebevoll ausgestalteten, märchenhaften Klangbildern — von der wiegende Kindheit bis zum Fabelhaften aufgefächert.
Neben der musikalischen Brillanz ließ mich eine erzählte Geschichte über Ravel nicht mehr los: seine exzentrische, fast rituelle Liebe zu Katzen. Diese Vorliebe teilte er nicht nur mit Louis Wayne, den wir vom Beitrag „Zwischen Wahn und Wunder“ hier im UniWehrsEL bereits kennengelernt haben, der ebenfalls für seine Liebe zu Katzen und seine wunderbaren Katzenbilder berühmt geworden ist.
Maurice Ravel war ein leidenschaftlicher Katzenliebhaber — er hielt eine ganze Familie von Siamesen, einer Rasse, die als besonders gesprächig gilt. Ravel war überzeugt, seine Katzen zu verstehen; in seinem japanischen Garten führte er ihnen zufolge stundenlange „Gespräche“. Diese private Seite des Komponisten findet Echo in seinen szenischen und humorvollen Einfällen — man denke an das schelmische Vokalecho im „Duo miaulé“ aus der Oper L’Enfant et les Sortilèges(1924), das tatsächlich wie eine musikalische Mimese katzenhaften Miauens klingt. Dieses Motiv der Tier-Mensch-Interaktion lässt sich, locker gedacht, weiterdenken: Warum fühlen sich Menschen zu Katzen hingezogen? Warum faszinieren gerade siamesische Katzen mit ihrem markanten Blick, ihrem vokalen Ausdruck und ihrer eleganten Präsenz – Eigenschaften, die auch Ravels Musik auszeichnen: fein konturiert, gesprächig, beinahe theatralisch in Gestik und Ton. Warum haben sich so viele bedeutende Künstler der „Katzenmusik“ gewidmet?
Ein interessanter Brückenschlag ergibt sich, wenn man Ravels Katzenaffinität mit populären Tierdarstellungen verknüpft: Selbst in Disney’s The Aristocatsaus 1970 tritt eine Siamkatze auf — ein populärkulturelles Spiegelbild jener Faszination, die auch Ravel leitete. In dem Film Aristocats tritt eine Siamkatze namens Shun Gon in der deutschen Fassung auf. Sie ist eine interessante, ungewöhnliche Nebenfigur. Die deutsche „Siamkatze“ ist ein Kater aus Saigon, der als Begleiter der Jazzkatze Scat Cat auftritt. Er hat einen kurzen, eindringlich-markanten Auftritt in der Straßenjazz‑Szene der Handlung. Seine Rolle trägt mit seinem exotischen Aussehen und seinem leicht theatralischen Auftreten zur Atmosphäre der internationalen Katzenclique bei und liefert ein paar synchronisierte, rhythmische Bewegungen, die die musikalisch‑komödiantische Seite der Gruppe betonen.
Allerdings muss im Zusammenhang mit der Figur Shun Gon darauf hingewiesen werden, dass seine Darstellung deutlich klischeehaft und problematisch ist: Er spricht mit seinem stereotypischen asiatischen Akzent, benutzt Essstäbchen um Klavier und Schlagzeug zu spielen, und seine Augen‑ sowie Zahnzeichnung betonen entmenschlichende Stereotype. Diese Merkmale reproduzieren antiasiatische Klischees. Die Figur reduziert laut Kritikern die asiatische Kultur auf exotische Gimmicks und tragen zur Verfestigung von Vorurteilen bei.
Ein weiteres Beispiel für Siamkatzen sind die siamesischen Katzen „Si“ und „Am“ aus DisneysSusi und Strolch (1955). Die beiden schleichen als hinterhältige Bösewichte durch den Film und bedienen mit Augenform, Akzent und offen erkennbare antiasiatische Klischees. Diese Figuren sind nicht nur bloße Comic-Einfälle, sondern zeigen wie weit verbreitet Vorurteile gegen Asiaten in den 1950er-Jahren in den USA waren. Die Entstehung solcher Stereotype ist historisch eingebettet: In der Nachwirkung der Kolonialzeit schürten amerikanische und europäische Mächte Ressentiments gegen die „Gelbe Gefahr“. In diesem Licht erscheinen „Si“ und „Am“ weniger harmlos, sondern als typische mit auf Vorurteilen beruhende Karikaturen von Asiaten aus den 1950ern.
In dieser Verknüpfung lässt sich das Seminar „Anima(l) — Tiere als Spiegelbilder menschlicher Seelenzustände“ gedanklich ansetzen: Tiere (und hier besonders Katzen) fungieren als Projektionsflächen für menschliche Stimmungslagen und Vorurteile. Bei Ravels intensiver Beziehung zu seinen Siamesen sind die Katzen positiv besetzt: seine Katzen sind ein Spiegel seiner Musik, die gleichermaßen zart, ironisch und präzise kommuniziert. Anders bei Disney, wo die siamesischen Katzen in Disney‑Filmen wie The Aristocats (Shun Gon) und Susi und Strolch (Si und Am) Klischees abbilden. Augenform, Akzent, Gestik und der Einsatz von Essstäbchen machen sie zu exotischen Karikaturen. Solche Darstellungen werden heute problematisch angesehen, da sie Vorurteilen und kolonialen Sichtweisen reproduzieren. Die Beispiele zeigen wie aus unterschiedlichen Blickwinkeln eine Siamkatze betrachtet werden kann.
Herzlichen Dank an die Akademie für Tonkunst für das wunderbare Konzert im Wilhelm-Petersen-Saal zu Ravel und dieser kleinen Erzählung über Ravels Beziehung zu seinen Siamkatzen.
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