Neil Gaimann „Der Ozean am Ende der Straße“ – Erinnerungen, Alex‘ Reise in die Vergangenheit
Neil Gaiman, geboren am 10. November 1960 in Portchester, England, ist ein britischer Schriftsteller, der für seine vielseitigen Werke in den Genres Fantasy, Horror und Kinderliteratur bekannt ist. Er erlangte Berühmtheit durch Comics wie „Sandman“ und Romane wie „American Gods“, „Coraline“ und „The Graveyard Book“. So auch bei „Der Ozean am Ende der Straße“, sowohl als Buch, als auch als Theaterstück am Staatstheater Darmstadt, eine tief berührende Geschichte rund um eine Reise in die Vergangenheit.
Liebe Leser des UniWehrsEL-Blogs,
Neil Gaimans Stil zeichnet sich durch eine Mischung aus Märchen, Mythologie und zeitgenössischen Themen aus. In seiner Herangehensweise lässt sich Gaiman gut mit E.T.A. Hoffmann (ab Mai „Der Sandmann“ im Schauspiel Frankfurt) und Edgar Allan Poe vergleichen, da alle drei Autoren eine Vorliebe für das Fantastische und das Unheimliche teilen. Wie Hoffmann, der oft die Grenzen zwischen Realität und Traum verwischt und mit surrealen Elementen spielt, schafft Gaiman Welten, in denen das Alltägliche mit dem Magischen verschmilzt. Neil Gaiman erinnert an Edgar-Alan Poe, der die dunklen Seiten der menschlichen Psyche erforscht und eine Atmosphäre des Schreckens erzeugt. Gaiman nutzt oft düstere Themen und komplexe Charaktere, um tiefere emotionale Wahrheiten zu beleuchten.
Auch Anklänge an E. T. A. Hoffmann tauchen auf. Hoffmann betont die Romantik und das Märchenhafte, Poe den psychologischen Horror, Gaiman kombiniert beide Ansätze, um Geschichten zu erzählen, die sowohl fantasievoll als auch nachdenklich sind. Seine Werke entführen die Leser in eine Welt voller Wunder und Schatten, in der die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen. Gaiman hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Hugo, Nebula und Bram Stoker Award, und gilt als einer der einflussreichsten Autoren seiner Generation.
Alex, der Hauptfigur in „Der Ozean am Ende der Straße“ begegnen wir nach einer Beerdigung. Er scheint orientierungslos, sucht nach einem Haus, in dem er vor Jahrzehnten mit der älteren Schwester und seinen Eltern gelebt hat, das aber längst einer Reihenhaus-Neubausiedlung weichen musste. Endlich findet er am Ende der Straße einen Bezugspunkt in die Vergangenheit. Hier lebte Letti, seine Freundin mit Mutter und Oma, die ihm die Tür öffnet und zum Ententeich hinterm Haus schauen lässt.
Geheimnisvolle Wasserstellen bergen in der Regel in Geschichten dunkle Geheimnisse, so wie etwa im Fim „The quiet girl“. Bei einer Ziehmutter erfährt ein kleines Mädchen zum ersten Mal, was Liebe ist. Und doch gibt es ein schreckliches Geheimnis, hinter dem gepflegten Landhaus mit dieser wundervollen Allee mit den üppig-grünen Bäumen gibt noch die kleine geheime Wasserstelle im Wald, zu der Pflegemama und Kind täglich gehen, um Wasser zu holen.
Alex erinnert sich, an die Zeiten als Siebenjähriger, daran, dass der Untermieter im elterlichen Haus verstarb, stattdessen das Kindermädchen Ursula Monkton einzog, wie er die elfährige Lettie kennenlernte, deren Unterstützung er so dringend nötig hatte.
Im Staatstheater Darmstadt beginnt die Geschichte „Der Ozean am Ende der Straße“ ebenfalls mit Alex‘ Rückkehr in seine Heimatstadt, wo er auf Lettie Hempstock trifft, ein mysteriöses Mädchen, das ihm in seiner Kindheit begegnete. Lettie, im Staatstheater Darmstadt gespielt von Alexandra Kienitz, lebt mit ihrer Mutter und Großmutter auf einem Bauernhof, der von einem geheimnisvollen ‚Ozean‘ umgeben ist. Ihre Freundschaft ist von Unschuld und Herausforderungen geprägt. Lettie unterstützt Alex in schwierigen Zeiten. Die Zeitdimension der Erzählung wird deutlich, weil Florian Donath den jungen Alex und Paul Wenning Alex als Erwachsenen verkörpert.
Auch im Staatstheater ist ein zentraler Ort in der Geschichte das Haus der Großeltern, wo das Essen eine bedeutende Rolle spielt. Die goldene Marmelade, die dort serviert wird, symbolisiert die verlorene Unschuld und die süßen Erinnerungen an die Kindheit. Diese gemeinsamen Mahlzeiten sind nicht nur eine Quelle der Nahrung, sondern auch der Verbindung und des Trostes in einer oft bedrohlichen Welt.
Das erinnert an den 1913 erschienenen ersten Band von Marcel Prousts epochalem Meisterwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Hier geht es um unwillkürliche positive Kindheitserinnerungen, in denen das Essen einer Madeleine, eines Sandtörtchens, eine starke Leuchtkraft der Vergangenheit entfaltet, die sie im wirklichen Leben vielleicht gar nicht hatte.
Den sogenannten Proust-Effekt beschrieb auch Bov Bjergs Geschichte „Die Modernisierung meiner Mutter“, allerdings im negativen Sinne, anhand einer „Schinkelnudelerfahrung“. Eine Junge erlebt wie seine alleinerziehende Mutter beim Putzen im Elternhaus eines Mitschülers ausgerechnet das Lieblingsgericht ihres Sohnes nach einem Rezept der anderen Mutter zubereiten muss. Die Geschichte der gefühlten Erniedrigung endet in einem nicht mehr enden wollenden Erbrechen, als Symbol des schmerzhaften Wiederhochwürgens einer ganzen Jugendzeit.
Was in Gaimans Roman „Der Ozean am Ende der Straße“ zunächst als wunderbare Erinnerung an die „goldenen Marmeladentöpfe der Kindheit“ beginnt und an Märchen erinnert, entwickelt in der Folgezeit genau wie ihre Vorbilder genauso Verstörendes. Dazu nutzt Gaimann klassische Elemente wie Hexen, Bannsprüche, magische Katzen und zuletzt sogar den Ozean, der „im Einer ist“.
Auch wie im Märchen darf die gute Fee nicht fehlten, in Darmstadt fungiert die alte Mrs. Hempstock, gespielt von Hubert Schlemmer, als Beschützerin und hat eine tiefere Verbindung zur magischen Welt. Ihre Beziehung zu Lettie ist von Liebe und Fürsorge geprägt.
Ursula wird als die Stiefmutter von Alex eingeführt. Sie ist eine Figur, die die Rolle einer bösen Stiefmutter, ganz wie im Märchen verkörpert. Die Beziehung zu Alex ist von Misstrauen und Konflikten geprägt. Ihre Figur, gespielt von Karin Klein, ist kalt und manipulativ. Auf Alex wirkt sie bedrohlich, was zu einem tiefen Misstrauen und Furcht führt. Die Stiefmutter von Alex verkörpert nicht nur die Ängste und Bedrohungen aus der Welt der Erwachsenen, sondern auch die Schwierigkeiten von Kindern sich abzugrenzen. Ihre Rolle als Stiefmutter verstärkt die Spannungen innerhalb der Familie und macht sie zu der zentralen Quelle von Konflikten in Alex‘ Leben.
Die Statisten, die Ursula als Geistergestalten darstellen, verstärken die bedrohliche Atmosphäre der Geschichte und symbolisieren die vielen Gesichter der Angst, die Alex in seiner Kindheit erlebt hat. Diese Statisten fungieren als Schattenfiguren, die Unsicherheiten, die von den Ursulas ausgehen, noch greifbarer machen. Sie repräsentieren die Ängste von Alex vor der Erwachsenenwelt. Die Kombination aus Ursulas bedrohlicher Figur und dem unterstützenden Statistenchor schafft eine intensive emotionale Kulisse, die die inneren Konflikte von Alex beleuchtet.
In der märchenhaften Coming-of-Age Geschichte darf auch die Problematik einer Vater-Sohn-Beziehung nicht fehlen. So entwickelt sich im Schauspiel in Darmstadt eine der intensivsten Szenen zwischen Alex und seinem Vater Mick, gespielt von Stefan Schuster. In einem Moment der angespannten Emotionen kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung. Mick, von seinen eigenen Ängsten geplagt, packt Alex an den Schultern und drückt ihn gegen die Wand. „Du verstehst nicht, was es bedeutet, ein Mann zu sein!“, schreit Mick, während Alex, verletzt und wütend, kontert: „Und du verstehst nicht, was es bedeutet, ein Vater zu sein!“ Die körperliche Bedrohung ist spürbar, als Alex sich aus Micks Griff befreit und ruft: „Ich bin nicht wie du!“ Diese Worte verdeutlichen die Kluft zwischen den beiden und markieren einen entscheidenden Wendepunkt in Alex‘ Entwicklung.
Düstere Lichtverhältnisse und gespenstische Atmosphäre werden in Darmstadt durch das Bühnenbild, gestaltet von Wolf Gutjahr, vermittelt. In diffuses Licht getaucht, was eine unheimliche Atmosphäre schafft, erinnern alte und junge Versionen von Alex, Lettie und anderen Figuren einer surrealen Welt, die an einen Horrorfilm nach Edgar Allan Poe („The Lake„) erinnern.
Durch dies alles wird „Der Ozean am Ende der Straße“ zu einem eindringlichen Stück, das die Zuschauer dazu anregt, über die eigene Kindheit, die Macht der Fantasie und die Herausforderungen des Erwachsenwerdens nachzudenken. Gaimans meisterhafte Erzählweise und die düstere Inszenierung schaffen eine spannende Erfahrung, die die Frage aufwirft, ob aus einem Traum letztlich ein Alptraum werden kann. Der Theaterabend bleibt im Gedächtnis, auch wenn die darin erzählte Geschichte im Moment im Staatstheater Darmstadt nicht mehr erlebt werden kann.
Mit besten Grüßen von Ihrem Team des UniWehrsEL, das sich über Ihre Erinnerungen an die Kindheit freuen würde
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