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Er liest seine Texte vor und begeistert damit seit Jahren. Bov Bjerg ist nicht nur ein beliebter Kabarett- und Lesebühnen Erfolgsautor, sondern sein Roman “Auerhaus” ist mittlerweile sogar zur Schullektüre avanciert. Es gibt sogar eine ukrainische Übersetzung zum kostenlosen Download für die Verwendung im Unterricht. Auch „Der Vorweiner“ und „Serpentinen“ sind große Erfolgsbücher. Auffallend und humorvoll klingt auch der weitere Titel des Autors „Merkeljahre sind keine Herrenjahre“.

„Auerhaus“ ist eine Coming-of-Age-Geschichte, die in einem süddeutschen Dorf in den frühen 80er-Jahren spielt. Frieder hat einen Selbstmordversuch mit Schlaftabletten hinter sich und folgt dem Rat der Ärzte, nicht mehr länger bei seinen Eltern wohnen zu bleiben. Mit 5 Freunden, die auf ihn aufpassen sollen, zieht er in ein altes, verwahrlostes Bauernhaus, das seinem Großvater gehört hat. Gemeinsam gründen sie eine Schüler-WG, das „Auerhaus“ (nach dem Madness-Song „Our House“).

Diese Art der Erzählung beschrieben wir auch an Hand der „Euphancholie“. Dort geht es im Roman „Hard Land“ von Benedict Wells um alle Facetten des Erwachsenwerdens. Vergleichbar mit Salingers „Fänger im Roggen“ oder Wolfgang Herrendorfs „Tschick“ zeigt sich in diesen Entwicklungsromanen, wie sich die Protagonisten im Verlauf der Handlung verändern.

In „Die Modernisierung meiner Mutter“ geht es gleich zu Anfang um eine „Schinkennudelerfahrung“. Die Hauptperson, ein Junge aus einfachen Verhältnissen wächst bei seiner alleinerziehenden Mutter auf, die bei der Mutter eines Mitschülers putzen muss. Diese Erniedrigung wird noch dadurch getoppt, dass die Mama auch noch das Lieblingsgericht ihres Sohnes nach einem Rezept der anderen Mutter zubereiten muss. Das endet recht eklig mit einem nicht enden wollendem „kotzen“.

Während Marcel Proust für seine Erinnerungen an „Madeleine“eine sinnliche wie poetische Sprache gefunden hat und als „Erotiker der Gaumenfreuden“ gelten kann, geht es bei Bov Bjergs „Nudelkotzerei“ eher drastisch zu. Hier blüht nicht wie bei Proust unvermittelt ein kleines Paradies in Form einer wunderbaren Kindheit auf. Der kleine Erzähler bei Proust erinnert sich an Tante Leonies Madeleine-Gebäck, das in Lindenblütentee getaucht war und nach allen Blumen des Gartens schmeckte. Bei Bjerg zeigt das „Wiederhochwürgen“ die gegenteiligen Erfahrungen. Auch die weiteren Kurzgeschichten wie etwa über die schwäbische Heimat, das Berliner Exil und das ferne Amerika, wirken eher skurril als idyllisch.

„Die Modernisierung meiner Mutter“ als „Zwei-Personen-Stück im Bad Kissinger Kurtheater auf die Bühne zu bringen, dies hat sich der Schauspieler Götz Schubert als Ziel gesetzt.

Ob dies der richtige Rahmen für diese eher ungewöhnlichen Geschichten war, können Sie dem folgenden Leserbrief entnehmen, herzlichen Dank dafür!

Liebe UniWehrsEL-Leser,

das Buch „Die Modernisierung meiner Mutter“ von Bov Bjerg war für ein Theaterstück etwas platt. Eigentlich sind es in dem Buch unterhaltsame Kurzgeschichten, die nicht zusammenhängen. Daraus einen zwei Personen Abend zu machen, ist irgendwas zwischen mutig und dreist. Um nun diese Geschichten irgendwie zusammenzuhalten, sitzt der Hauptdarsteller auf einem Sofa – gedanklich also bei Freud – und begeht eine Psychoanalyse. Doch statt mit einem Psychologen spricht der Mann mit seiner ‚Alexa‘ – einem großen Zauberwürfel. Diese Alexa ist dann der Stichwortgeber für die in dem Buch geschilderten Geschichten. Leider geraten diese Geschichten ziemlich banal, etwas derb, mit einer gewissen Portion Frauenverachtung, was dazu führte, dass sich einige Frauen im Publikum nicht besonders angesprochen gefühlt haben, sondern eher beleidigt.

So geht er ziemlich lieblos mit seiner alten Mutter um, die ihn anruft, und er wichtige Dinge vortäuscht, obwohl die Hauptfigur nur auf dem Sofa rumsitzt. Eine Geschichte handelt z.B. über Schinkennudeln. Davon isst der Erzähler im Haushalt, indem seine Mutter arbeitet, bei der Arbeitgeberin vier Portionen Nudeln, um sie der Arbeitgeberin anschließend in einem Akt der Rebellion des Magens vor die Füße zu speien.

Das ist nicht lustig, sondern selbstsüchtig, weil im Anschluss an das Essen, die Mutter aufgrund des schlechten Benehmens ihres Sohnes sogar den Arbeitsplatz verliert.

Ein anderes Beispiel: Der Erzähler schreibt Horoskope und findet es lustig, darin schlechte Witze zu verstecken. Er verliert seinen Job, als er in ein Horoskop schreibt, „nach der Tagesschau werden sie als Fisch sterben“. Das führt zu allerlei Panik bei den Lesern und somit zum Verlust des Berufs. Allerdings hat der Erzähler beim Rennen eine rauchende Frau kennengelernt, die auch an das Horoskop glaubt. Das führt zu einem vermeintlichen One-Night-Stand – die Dame will den Erzähler besuchen und mit ihm schlafen – bevor sie stirbt. Er lehnt jedoch den Beischlaf ab mit der Begründung, er wisse nicht nach welcher Tagesschau sie sterben müsse und deshalb könne er nicht auf das Angebot eingehen. 

Weitere Kurzgeschichten in diesem Stil erspare ich dir lieber. Die Geschichten waren wenig originell und es gab kaum Lacher. Nur an einer Stelle wurde herzhaft gelacht als der Schauspieler sein T-Shirt auszog und sich mit roter Farbe bemalte. Anschließend rief eine (vermutlich bestellte) Besucherin: „Sie haben da noch etwas Farbe im Gesicht!“ Dieser Moment war lustig, weil der Schauspieler irgendwie ‚bedröppelt‘ dreinschaute.

Am besten war das Set, an dem der Schauspieler mit ‚Alexa‘ sprach. Das war ein moderner Tatsch, aber die Geschichten waren halt nicht besonders unterhaltsam. Das Buch ist von 2016 und atmet laut Kritik den sonderbaren Humor des Autors, halb zynisch, halb melancholisch. Jedenfalls gab es in der Theaterfassung keine melancholischen Momente oder irgendwas, was einen hätte rühren können. Würdest du gerne Alexa als deinen Mental-Coach haben?

Mit besten Grüßen
Ein etwas missmutiger Theaterbesucher

Danke an Mohamed Hassan für die im Netz übliche Kritik per Emoji.

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:25. September 2023
  • Lesedauer:7 min Lesezeit