Nachdem Nahid Ensafpour im Teil I den Begriff der Heimat aus verschiedenen Blickwinkeln näher erläutert hat, fragt sie in Teil II: Kann das Exil überhaupt je Heimat werden? Nahid Ensafpour erweitert ihren Beitrag zur „Sehnsucht nach Heimat“ um berühmte Poeten und Literaten, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzen mussten.
Heimweh bis in den Tod – Heinrich Heine

Heine lebte bereits seit einem Jahrzehnt im Exil als er 1843 erstmals wieder nach Deutschland reiste. Er war ins Exil gegangen, weil er als getaufter Jude unter beruflicher Ausgrenzung und Antisemitismus litt. Als Schriftsteller stand er unter strenger Beobachtung der Zensur. Viele seiner Werke fielen ihr zum Opfer und konnten in Deutschland nicht erscheinen. Seine Urheberschaft vom „Loreley-Lied“ wurde lange Zeit unterschlagen.
Heinrich Heine ist ein Beispiel für eine ganze Reihe von Schriftstellern und Intellektuellen, die während der Restauration im 19. Jahrhundert Deutschland verlassen mussten. Sie hatten sich für ein einiges Deutschland eingesetzt und für Gedankenfreiheit gekämpft. In den deutschen Kleinstaaten konnten sie nicht publizieren oder verloren ihre berufliche Stellung. Exil war also schon vor dem Nationalsozialismus für Intellektuelle oft die einzige Option des Überlebens.
Je länger Heinrich Heine in Paris lebte, umso mehr schmerzte ihn das Exil. Vor allem die Sehnsucht nach seiner Mutter machte ihm zu schaffen. Aber er sah bald auch ganz klar, dass er nicht mehr dauerhaft in sein Heimatland würde zurückkehren können. Zu groß war das Risiko, verhaftet zu werden.
In der Fremde – Heinrich Heine (Auszug) (Entstehungsdatum nach 1831)
[279] Ich hatte einst ein schönes Vaterland.
Der Eichenbaum
Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft.
Es war ein Traum.
Das küßte mich auf deutsch, und sprach auf deutsch
(Man glaubt es kaum,
Wie gut es klang) das Wort: »Ich liebe dich!«
Es war ein Traum.
Heinrich Heine im UniWehrsEL auf. Die deutsche Seelenlage umschrieb der Dichter Heinrich Heine 1824 mit den Worten „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin …“. Dass die von Clemens Brentano erfundene Kunstsage „Loreley“ solche Verbreitung fand, verdankt es neben Heines Text auch der von Friedrich Silcher 1837 komponierten Melodie, die als Ausdruck der Rheinromantik gilt.
Künstlerin im Exil – Nelly Sachs

Die Dichterin Nelly Sachs, 1891 in Berlin geboren und 1970 im schwedischen Exil gestorben. Die Nobelpreisträgerin ist auch insofern eine Ausnahme-erscheinung in der Literaturgeschichte, als dass sie den wichtigsten Teil ihres Werkes erst im reifen Alter schuf: Ihr Werk beginnt mit der Shoah.
Zu der Poetik von Nelly Sachs unterstreicht Beda Allemann, dass ihre Gedichte „im Rahmen der Nachkriegs-Lyrik als die Wiederaufnahme der kosmischen Dichtung mit modernen Mitteln“ markiert werden können. Sie fügt diesbezüglich noch hinzu, dass die Vereinigung von Schöpfung und Tod in Sachs´ Lyrik nur im Kosmos in einen Raum, welcher symbolisch als ‚Flucht‘ bezeichnet werden kann, gelangt. Ihre konkreten Leid- und Flucht-Erfahrungen lassen „an die kosmische Dichtung des deutschen Expressionismus zurückdenken.
In der Flucht
welch großer Empfang
unterwegs –
Eingehüllt
in der Winde Tuch
Füße im Gebet des Sandes
der niemals Amen sagen kann
denn er muss
von der Flosse in den Flügel
und weiter –
Der kranke Schmetterling
weiß bald wieder vom Meer –
Dieser Stein
mit der Inschrift der Fliege
hat sich mir in die Hand gegeben –
An Stelle von Heimat
halte ich die Verwandlungen der Welt –
Über Nelly Sachs schrieb Nahid Ensafpour bereits einen Beitrag im UniWehrsEL unter dem Stichwort „Einstieg in einer anderen Welt/ Transzendenz (Übersinnliches, Göttliches)“: Um ihre schrecklichen Erfahrungen in der Nazizeit zu verarbeiten, fand Nelly Sachs in der chassidischen mystischen Erneuerungsbewegung im Judentum einen neuen Weg. Durch Einstieg in die Transzendenz war es für sie möglich die Gegensätze, die im Sein existieren, wie Tag und Nacht, Leben und Tod, Gut und Böse, die nur in einem Zusammenhang definierbar sind, zu klären, um die Distanz zwischen diesen Gegensätzen aufzuheben.
Mascha Kaléko (1907-1975) ist eine der bekanntesten deutschsprachigen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts. Geboren in Galizien, Österreich-Ungarn, (heute Polen) und aufgewachsen in Frankfurt am Main, Marburg und Berlin. Kalékos Werke waren von den ersten Bücherverbrennungen durch die Nationalsozialisten 1933 nicht betroffen und wurden sogar noch für einige Jahre danach veröffentlicht, bis ihre Gedichte und Schriften 1938 als „undeutsch“ verboten wurden. Im gleichen Jahr emigrierte Kaléko – inzwischen junge Mutter und bereits zum zweiten Mal verheiratet – in die Vereinigten Staaten.
Heimweh, wonach? (aus: Mein Lied geht weiter)
Wenn ich „Heimweh“ sage, sag ich „Traum“.
Denn die alte Heimat gibt es kaum.
Wenn ich Heimweh sage, mein ich viel:
Was uns lange drückte im Exil.
Fremde sind wir nun im Heimatort.
Nur das „Weh“, es blieb.
Das „Heim“ ist fort.

Mascha Kaléko im UniWehrsEL. Das Schauspiel Frankfurt hat die Idee, aus einzelnen Stationen ihres Lebens mit Hilfe der Dramatikerin Anja Hillig einen Theaterabend zu formen. Anja Hillig nimmt den Zuschauer in ihrer Textfassung mit auf die emotionale Reise, um diese Persönlichkeit Mascha K. kennenzulernen.
Hilde Domin wurde als Kind großbürgerlicher jüdischer Eltern am 27.7.1909 in Köln als Hilde Löwenstein geboren. Nach Hitlers Machtergreifung ging sie ins Exil.
Herbstzeitlosen
Für uns, die stets unterwegs sind
– lebenslängliche Reise,
wie zwischen Planeten –
nach einem neuen Beginn.Für uns
stehen die Herbstzeitlosen auf
in den braunen Wiesen des Sommers,
und der Wald füllt sich
mit Brombeeren und Hagebutten –Damit wir in den Spiegel sehen
und es lernen
unser Gesicht zu lesen,
in dem die Ankunft
sich langsam entblößt.
Paul Celan versteht das Thema Heimat oft in einer komplexen und vielschichtigen Weise. Die Heimat ist nicht einfach ein Ort, sondern ein Gefühl, ein Konzept, das durch Verlust, Fremdheit und die Erfahrung des Exils geprägt ist.
Stummheit, aufs neue, geräumig, ein Haus –:
komm, du sollst wohnen.
Stunden, fluchschön gestuft: erreichbar
die Freistatt.
Schärfer als je die verbliebene Luft: du sollst atmen,
atmen und du sein.

Paul Celan im UniWehrsEL im Kontext von Paula Doepfners vom menschlichen Gehirn inspirierten Zeichnungen. Eine Besonderheit der im Kunstforum gezeigten Zeichnungen ist, dass sie aus Gedichten von Paul Celan und der kanadischen Lyrikerin Anne Carson zitieren. Die Zeichnungen werden verbunden mit Gedichten und Passagen aus dem sogenannten Istanbul-Protokoll, einem medizinischen Handbuch der Vereinten Nationen für die Untersuchung und Dokumentation von Folter.
Über die Bezeichnung Emigranten (1937)
Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab:
Emigranten.
Das heißt doch Auswandrer. Aber wir
Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluss
Wählend ein andres Land. Wanderten wir doch auch nicht
Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer
Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte.
Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da
aufnahm

Im UniWehrsEL folgten wir Brecht im Beitrag zum 1. Mai und der Aufführung von Bertolt Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ am Theater Meiningen unter der Regie von Andreas Kriegenburg. Fragen zum menschlichen Verhalten im Kapitalismus: Wie kann ein Mensch in dieser Gesellschaft überleben? Und wie spiegelt sich die Verlogenheit der Herrschaftssysteme in den Charakteren wider? Befreien können sich die Figuren auch bei Brecht nicht aus den herrschenden Verhältnissen, soziale Gleichheit bleibt eine Utopie. (vgl. Staatstheater Meiningen, 2025).
Rose Ausländer, die zwei Weltkriege, Flucht und Vertreibung, Schoa und Exil erlebt hatte und zur Nomadin wurde, suchte nach dem Verlust der Heimat zwischen Europa und Amerika vergeblich einen Ort dieser Erde, sich erneut zu verwurzeln. Einzig die Sprache blieb ihr – „unser verwundetes/geheiltes Deutsch“; „Mutter Sprache“ wurde ihre Heimat; sie lebte in ihrem „Mutterland Wort“.
Mutterland
Mein Vaterland ist tot
sie haben es begraben
im Feuer
Ich lebe in meinem Mutterland
Wort
Dieser Beitrag wird im Teil III fortgesetzt!
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