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Das Seminar über die Melancholie in unsicheren Zeiten hat Ihren Ausklang gefunden. Ein ganz wunderbares Seminar mit zahlreichen Anregungen und Beiträgen meiner teilnehmenden Studierenden. Da kann ich nur immer wieder Danke sagen, dass ich bei einem nicht ganz einfachen Themengebiet soviel Begeisterung auslösen konnte.

Schon Freud hat auf „Trauer und Melancholie“ als wesentliche menschliche Empfindungen einen besonderen Fokus gelegt, mit dem Seminar „Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe …“ werden diese Gedankengänge nochmals aufgegriffen, erweitert und ergänzt werden. Einer Frau gilt in diesem Kontext die ganz besondere Aufmerksamkeit. Sie gehört zu den Intellektuellen, die mit ihrem Scharfsinn und ihren weitgreifenden Ideen eine Frauenpower über die Jahrhunderte hinweg vermittelt hat.

Lou Andreas-Salomé hat auch die niederländische Philosophin Joke J. Hermsen tief beeindruckt. So führt diese unter der Überschrift „Liebe und Melancholie“ die Gedanken Salomés über das Liebesproblem (Salomé 1900) aus. „In der Liebe wird dem Menschen die Erinnerung an die frühe Kindheit zurück gegeben, eine Erinnerung, die er nicht bewusst hervorzuholen vermag, die aber dank der Dynamik des Eros gleichwohl an die Oberfläche gelangen kann.“ … „ein Nachhause-Kommen zu uns selbst …, ein Ausruhen und Atemholen nach allen geteilten und getrennten und vereinzelten Betätigungen des Lebens.“ (Hermsen, 2021, 63).

Auf diese Gedankengänge greift die Poetin Nahid Ensafpour zurück, die uns im Seminar ein wunderbares Referat zu Melancholie und Poesie aus ihrer persischen Heimat gehalten hat und dazu ihre Gedanken im UniWehrsEL festhält.

Herzlichen Dank dafür, liebe Nahid!

Melancholie in der Poesie

Liebe Elke,

über das Thema Melancholie und Poesie haben wir am 25.11.2022 in Deinem Seminar „„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ….“ Über die Melancholie in unsicheren Zeiten“ ein Gespräch durchgeführt.


Hier möchte ich Dir die kurze Zusammenfassung unseres Gespräches zukommen lassen.

Aristoteles betrachtet die Melancholie als der Ursprung alles Schöpferisches (die Quelle der menschlichen Schöpfungskraft). Melancholie kann als das Wesensmerkmal der Poesie betrachtet werden. Dichtung und Melancholie sind daher oft nicht zu trennen. Mit anderen Worten entsteht die Dichtung aus dem Geist der Melancholie. 

Salome spricht von einer zweiten Geburt, wenn der Mensch die Liebe findet. Wie ist das zu verstehen?

Wenn man die Phase der Einsamkeit in dem melancholischen Zustand zur Kenntnis nimmt und sie als eine Chance für eine Selbstfindung (durch Erlernen bestimmten Methoden, für die Selbstfindung (z.B. Exerzitien (von lateinisch exercere ‚üben‘) sind geistliche Übungen, die abseits des alltäglichen Lebens zu einer intensiven Besinnung und Begegnung mit Gott führen sollen) betrachten kann, kann die Natur als Quelle der Liebe, Freude und Harmonie die erzwungenen Entfremdung des Menschen (Schiller in ästhetische Erziehung, Karl Max und Adorno und Horkheimer) aufheben. Durch Einstieg in die Transzendenz ist es möglich die Liebe, die als neue Geburt empfunden werden kann, zu entdecken.

    Einstieg in einer anderen Welt/ Transzendenz (Übersinnliches, Göttliches)

    Um ihre schrecklichen Erfahrungen in der Nazizeit zu verarbeiten, fand Nelly Sachs in der chassidischen mystischen Erneuerungsbewegung im Judentum einen neuen Weg. Durch Einstieg in die Transzendenz war es für sie möglich die Gegensätze, die im Sein existieren, wie Tag und Nacht, Leben und Tod, Gut und Böse, die nur in einem Zusammenhang definierbar sind, zu klären, um die Distanz zwischen diesen Gegensätzen aufzuheben.

    Das wesentliche Merkmal der Melancholie in der persischen Lyrik

    Das Stück von Hossein Alizadeh, Neynava: Die Melodie von Ney: Flöte, präsentiert die melancholische Klänge der persischen Musik:

    Die Wurzeln von Melancholie im Iran:

    Melancholie als Folge kultureller Erinnerung und Traumata zeigt sich in der Kunst, Literatur (Lyrik) und Musik: Ein Leben unter dem langen Schatten von Despotie, Sehnsucht nach Selbst-bestimmung und Autonomie

    Die Philosophie der Melancholie in Sufismus (die Gesamtheit der mystischen Strömungen im Islam

      Das Wort Sufismus selbst ist über das arabische Wort für Wolle „suf“ entstanden. Damit be­zeichnete man die, die Wolle tragen, was bei den Asketen, die eine Grup­pe des Sufismus darstellen, üblich war.

      Die Beziehung zwischen dem Sufi und Gott wurde meist mit dem Wort „Liebe“ erklärt.

      Der Sufismus entwickelte sich im 11. Jahrhundert in eine zunehmend theosophische Richtung (Das Wort Theosophie (von griechisch θεοσοφία theosophía „göttliche Weisheit“) ist eine Sammelbezeichnung für mystischreligiöse und spekulativnaturphilosophische Denkansätze, die die Welt pantheistisch als Entwicklung Gottes auffasst, alles Wissen direkt auf Gott bezieht und in dieser Verbindung Gott oder das Göttliche auf einem Weg intuitiver Schauung unmittelbar zu erfahren trachtet.). Das System und die Ordnung des Sufismus wurden philosophisch betrachtet und neu sortiert.

      Auch für Annemarie Schimmel ist ein Kontakt dieser ersten Generation der Sufibewe­gung mit Christen die den Asketischen Weg gingen wahrscheinlich. Zitat: “…es gab einen gewissen Austausch zwischen den beiden Gruppen, die gleichermaßen von der Vergänglichkeit und Nutzlosigkeit aller irdischen Freuden wussten und nur Gott ersehnten.“

      Annemarie Schimmel sah in der Liebe ein wichtiges Erkenntnismittel, für den es keine vollständige Erkenntnis ohne Liebe gab, wie in der islamischen Mystik, wo der Herzensspiegel blank poliert werden muss, um aufnahmefähig zu werden für das höhere Wissen, und das Herz als Erkenntnisorgan den Verstand weit hinter sich lässt. (https://blog.ub.unibas.ch/2022/04/06/annemarie-schimmel-1922-2003/)

      Sophismus in Lyrik- Rumi gilt bis heute als einer der größten Sufis und Poeten aller Zeit.

      Die großen persischen Dichter: Hafiz, Rumi, Khayyam, Saadi

        Omar Chayyam (1048 – 1131), eig. Ghiyath al-Din Abu’l-Fath Umar ibn Ibrahim Al-Nisaburi al-Khayyam, persischer Mathematiker, Astronom, Astrologe, Philosoph und Dichter

        Saadi oder Sa’di (persisch سعدی, DMG Sa‘dī; * um 1210; † um 1292[1]), mit vollem Namen Abu Moḥammad Mošarref ad-Din Moṣleḥ bin ʿAbd-Allāh bin Mošarref Širāzi,[2] war ein herausragender persischer Dichter und Mystiker. Er ist insbesondere für seine beiden Werke Bustān und Golestān bekannt. Saadi stammte aus Schiras, wo er auch viele Jahre seines Lebens verbrachte. Bis heute vielbesucht ist sein dortiges Mausoleum.

        Dschalal ad-Din Muhammad Rumi (1207 – 1273), zählt zu den bedeutendsten persisch sprachigen Dichtern des Mittelalters und gilt als Mitbegründer der islamischen Mystik. Der Mevlevi-Derwisch-Orden geht auf ihn zurück; von seinen Derwischen und späteren Anhängern wird er Mevlana (Herr/Meister) genannt.

        Hafis (Ḥāfeẓ) (1320 – 1388), Ḫāǧe Šams ad-Dīn Moḥammad Ḥāfeẓ-e Šīrāzī, auch Šams o’d-din Moḥammad, » persischer mystischer Lyriker.

        Die Gedichte von Khayyam, Saadi, Rumi, Hafiz

        Omar Chayyam (1048 – 1131):

        Als ich noch in der goldnen Jugend stand,
        Schien mir des Daseins Rätsel fast bekannt
        Doch jetzt, am Schluß des Lebens, seh´ ich wohl,
        Daß ich von allem nicht ein Wort verstand.

        یک چند به کودکی به استاد شدیم

        یک چند به استادی خود شاد شدیم

        پایان سخن شنو که ما را چه رسید

        از خاک در آمدیم و بر باد شدیم

        Saadi oder Sa’di (persisch سعدی, DMG Sa‘dī; * um 1210; † um 1292[1]):

        http://www.irankultur.com/saadi-schirazi/

        Der Eingang der Halle der Vereinten Nationen wird von einem Zitat aus dem Rosengarten geschmückt, das in der Übersetzung von Karl Heinrich Graf (1846) wie folgt lautet:

        Die Menschenkinder sind ja alle Brüder
        Aus einem Stoff wie eines Leibes Glieder
        Hat der Schmerz nur einziges Glied erfasst
        So bleibt anderen weder Ruh und Rast
        Wenn das Leid der Anderen dich nicht berührt
        Verdienst du eines Menschen Namen nicht

        بنی آدم اعضای یکدیگرند

        که در آفرینش زیک گوهرند

         چو عضوی به درد آورد روزگار

         دگر عضوها را نماند قرار

         تو کز محنت دیگران بی غمی

         نشاید که نامت نهند آدمی

        Hafis (Ḥāfeẓ) (1320 – 1388):

        Auf dem Weg der Liebe
        Kannst du dich nicht entziehen
        Doch die Folge wird sein
        Dass Du dann vergehst
        Erobert die Liebe dein Herz
        Ist der Augenblick versüßt
        Anzweifeln kann man nicht
        Diesen rätselhaften Weg
        Mit liebenden Augen
        Kannst du den Weg der Liebe
        Wie Neumond betrachten
        Aber nicht jedes Auge
        Kann ihn erachten.

        راهیست راه عشق که هیچش کناره نیست

        آنجا جز آن که جان بسپارند چاره نیست

        هر گه که دل به عشق دهی خوش دمی بود

        در کار خیر حاجت هیچ استخاره نیست

        او را به چشم پاک توان دید چون هلال

        هر دیده جای جلوه آن ماه پاره نیست

        فرصت شمر طریقه رندی که این نشان

        چون راه گنج بر همه کس آشکاره نیست

        Dschalal ad-Din Muhammad Rumi (1207 – 1273):

        Bald bin ich Licht, bald bin ich trüb,
        bald hart, bald weich, dann bös, dann gut.
        Bin Sonn und Vogel, Staub und Wind,
        so Mond als Kerze, so Strom wie Glut,
        bin böser Geist, bin Engelkind –
        oh wie einzigartig ist das Leben!