Die Ankündigung des Staatstheaters Darmstadt zu „Jeeps“ klingt zunächst einmal wie ein neuer politischer Vorschlag: „In Deutschland wird umverteilt! Eine neue Erbschaftsreform wird eingeführt und damit werden jährlich bis zu 400 Milliarden Euro per Losverfahren zugeteilt.“ Bevor Sie sich jetzt schon einmal ein Los kaufen sollten Sie wissen, dass es sich um eine bitterböse Klassismussatire von Nora Abdel-Maksoud handelt, mit der Fragestellung: “Steht die eigene finanzielle Sicherheit vor gesellschaftlicher Solidarität?“ Dazu mit Dank ein Leserbrief:
Liebes UniWehrsEL,
In der Dreigroschenoper gibt es eine Textzeile: „Man wäre gern gut und nicht so roh, doch die Verhältnisse sie sind nicht so“. Um diese Verhältnisse geht es in dem Stück „Jeeps“ von Nora Abdel-Maksoud. Das Stück habe ich Anfang Juni am Staatstheater Darmstadt gesehen. Inhaltlich geht es ums Erbrecht.
In dieser Fiktion hat die Bundesregierung eine Erbrechtreform beschlossen. Um es zusammenzufassen, erben ist out. Niemand darf mehr etwas vererben. Das Erbe kommt in einen Lostopf und wird an jemanden aus der Unterschicht verschenkt. Das nennt sich praktische Umverteilung. Dies ist nicht das Programm der Linken, sondern ein Teil der Satire der Autorin. Den Theaterbesuchern ist klar, das kann nur eine Groteske sein, denn welcher Unterschichtler geht denn überhaupt ins Theater und schaut sich sowas an, kann der sich das denn überhaupt leisten?
Wie auch immer, so trifft nun im Stück ein mustergültig Bürgergeldempfänger auf eine einstige Millionenerbin, die Dank der Reform in den Genuss des Jobcenters und seiner grauen Wände kommt. Natürlich hat sich die Ex-Millionärin mit dem notorischen Bürgergeldempfänger verbündet, um den ehrenwerten Sachbearbeiter mit Migrationshintergrund zu quälen.
Dieser fleißige Mittelschichtsmensch träumt vom Luxusauto. Dieses hat er sich zehn Jahre lang vom Mund angespart, so wie einst der freundliche Ossi seinen Trabbi nach Jahren glücklich in Besitz nahm. In dieser Analogie steht der ehrliche Sachbearbeiter. Sein Traum ein Jeep wäre nun endlich wahr geworden.
Doch da kommt Ungemach auf den Sachbearbeiter zu. Die Ex-Millionärin hat mit Hilfe des Bürgergeldempfängers das Luxusauto mit einer Bombe verdrahtet. Schließlich hat so ein Bürgergeldempfänger viel Freizeit und kann mit seinen 1,30 Euro pro Monat für Bücher und Kultur viel lesen. Am Tag hat ein Bürgergeldempfänger 5,60 Euro am Tag zum Essen. Dies hat der Bürgergeldempfänger dem staunenden Publikum mit Stolz verkündet.
Falls einer das nochmals nachlesen möchte, der Bürgergeldregelsatz ist im Programmheft abgedruckt. Jetzt könnte der Bürgergeldempfänger auf Rache an der Millionärin drängen. Die protzt mit ihrer echten Markenkleidung. Dagegen lebt er in glücklicher Armut. Trost ist ja bekanntlich, Millionäre sind in ihrem Reichtum immer unglücklich. Gar nicht schön für sie und dem Unglück förderlich, sie hat nicht ein Luxusauto in der Garage, sondern gleich zehn davon, die in mehreren Villen stehen.
Dennoch hat die Millionärin das Herz des Bürgergeldempfänger erwärmt. Sie war hilflos überfordert mit dem Ausfüllen des Antrags auf Bürgergeld. Da musste der Praktiker des Bürgergelds ihr liebevoll zur Seite stehen. Mit Waffengewalt macht der Bürgergeldempfänger dem Sachbearbeiter klar, die Millionärin muss wieder reich gemacht werden. Jeder auf seinen Platz! Der armen Millionärin stehen nun einmal die Millionen zu, wo bliebe denn sonst das Recht. Die alte Ordnung sei die Millionärin nun so gewöhnt, da auf Armut umzuschalten ist halt einfach zu schwer.
Am Ende ist der Jeep des Sachbearbeiters in die Luft gegangen. Der Bürgergeldempfänger bleibt arm. Die Millionärin hat das Millionenlos mit der Waffe zurückerobert. Es herrscht eben doch Gerechtigkeit in dieser Welt!
Die Millionärin hat den Bürgergeldempfänger auch schnell wieder vergessen. Muss sie sich doch vor allem um die Millionen kümmern. Da bleibt keine Zeit für Arme und Sachbearbeiter mit Jeep. Na, ob dies dem Brecht als Endergebnis so gefallen hätte? Ist das eine Realsatire? Ein Betrachten der Gegenwart?
Rache übt dann der Sachbearbeiter an der Millionärin. Er entreißt ihr das Millionärslos. Doch nicht um selbst Millionär zu werden, sondern um es an arme Kinder zu vergeben. Kinder sind die Zukunft.
Wie geht es der den Sachbearbeiter ‘pisackenten’ Chefin? Bekommt die wenigstens ihr Fett ab? Sie wurde befördert und kann sich das Luxusauto bereits nach zwei Jahren leisten. Sie kommt nun nur noch zur Kontrolle des Sachbearbeiters.
Er selbst ist und bleibt mit beiden Augen blind bzw. „betriebsblind“, kann keine Personen erkennen. So kann er natürlich auch den Bürgergeldempfänger nicht erkennen. Nur Akten kann der Sachbearbeiter lesen. Menschen mag er nicht so sehr. Akten sind viel besser.
Statt der Bürgergeldempfänger selbst, so hat nun die Regierung verfügt, sollen nur deren Kinder beim Jobcenter vorbei kommen. Die sind handlich und stellen dem Sachbearbeiter keine dummen Fragen. Da der Bürgergeldempfänger keine eigenen Kinder hat, darf er weiterhin zum Amt kommen. Er ist quasi die Ausnahme (da soll doch Einer sagen, das Amt wäre nicht gerecht …) .
Der Zuschauer lernt: Millionäre sind einfallsreich um Millionär zu bleiben. Sie nutzen ihre Kenntnis über die Armen und die Verwaltung zu ihren Gunsten. Rache kann nur ausüben, wer mächtig ist. Also ganz klar, die Ex-Millionärin, weil sie noch nicht mürbe und tatenlos durch das Bürgergeld geworden ist, wie der Bürgergeldempfänger, der ‚entmachtet‘ ist und zudem gar nicht (mehr) weiß, worum er eigentlich kämpfen soll.
Rache ausüben könnte der Sachbearbeiter, schließlich wurde sein Traum vom Jeep zerstört. Er gehört zur Mitte der Gesellschaft, welche noch materielle Träume hat oder haben darf. Die Chefin ist ohne Illusion, aber hat Freude daran, den Sachbearbeiter zu quälen. Mit dem Bürger selbst hat die Chefin keinen Kontakt. Rachegedanken des Bürgergeldempfängers hat die Chefin nicht zu fürchten. Dieser zieht in Fragen der Verantwortung nicht die Chefin heran, er kennt sie ja gar nicht. Zudem braucht Rache Energie, und die hat der Bürgergeldempfänger verloren. Er wird Teil des Apparats und ist mit dem Ausfüllen von Anträgen in Vollzeit beschäftigt.
Und zuletzt noch ein Blick auf die äußeren Kulissen: Das Bühnenbild für Jeeps ist ein Amt. Alles ist vorne weitgehalten hinten verengt sich der Bühnenraum. (Hat das etwa etwas mit dem Blickwinkel der dort Beschäftigten zu tun?)
Vorne stehen Automaten mit Nummern, welche die Bürgergeldempfänger ziehen können. Der Sachbearbeiter sitzt vor einem viel zu kleinen Tisch, umringt von peinlich sortierten Akten in alphabetischer Reihenfolge. Sein Werkzeug ist der Amtsstempel. Von Digitalisierung ist nichts zu spüren. (Sowas braucht der Amtsschimmel ja auch nicht!).
Nicht einmal einen Laptop hat der Sachbearbeiter zur Hand. Das ist schon alles sehr nostalgisch in dieser Amtsstube. (Ein Seitenhieb auf die gute, alte Zeit?) Würde der Sachbearbeiter zudem noch eine Perücke tragen, der Zuschauer wähnte sich zurück ins Kaiserreich. Da gab es schon die Armenfürsorge. Denn Bismarck hat bereits die Sozialversicherung eingeführt. Scheinbar hat sich seit dem Kaiserreich nicht viel beim Amt getan. Das legt das Bühnenbild zumindest nahe.
Der Sachbearbeiter trägt hellblau mit kurzen Hosen. Es ist die Farbe der hessischen Polizei. Die ist seit zehn Jahren dunkelblau. Also warum nicht den Sachbearbeiter mit Hilfe der Farbe Blau etwas Autorität verleihen, dachte sich der Kostümbildner.
Der Bürgergeldempfänger trägt seine Tagesration, wie ein Soldat seine Marke, um den Hals. Die Tagesration ist ein trockenes Brötchen, mehr essen ist nicht drin. So bleibt der Bürgergeldempfänger schlank, auch ohne Medizin. Ein wenig Anklänge an „Woyzeck“ hat das schon. Den Büchner kennt der Zuschauer.
Der Reiche trägt schillernde Kleidung, aber mit Geschmacklosigkeit. Style kennt nur der Zuschauer. Gehört das Darmstädter Publikum doch zu den ‚bestgekleideten‘ Leuten im Hessenland.
Mit besten Grüßen
Ein nachdenklicher UniWehrsEL-Leser