Auch in diesem Semester boten Frau Dr. Wehrs (UniWehrsEL) und Frau Dr. Stieß-Westermann eine gemeinsame Veranstaltung an. Diesmal aber nicht als extra Termin, sondern im Rahmen unserer Seminare an der Universität des 3. Lebensalters (U3L) „Die Psychologie der Rache“ und „Kann man Kommunikation lernen?“. Das Thema dieser gemeinsamen Sitzung betraf den Umgang mit Wut, im Überschneidungsbereich der Themen „Rache als eine Antwort auf erlittene Ungerechtigkeit“ und „Umgang mit Emotionen“. Es ist bereits das Vierte unserer Interdisziplinären Gespräche.
Ausgangspunkt des „Interdisziplinären Gesprächs“ war die von Wehrs im Seminar genutzte Semesterlektüre. Reinhard Haller, der Buchautor, ehemaliger Primar (Chefarzt) des Suchtkrankenhauses Maria Ebene beschreibt in seinem Buch „Rache. Gefangen zwischen Macht und Ohnmacht“ wie Rache unser Verhalten steuern und lebenslang begleiten kann. In diesem Kontext interessieren uns besonders die „großen Triebfedern“, die „bösen Emotionen“, welche die Rachedynamik entscheidend bestimmen. Das sind – neben Neid, Hass und Eifersucht – Zorn und Wut.
Zorn (ira) ist ein elementarer Zustand starker emotionaler Erregung mit unterschiedlich aggressiver Tendenz, der mit vegetativen Begleiterscheinungen wie Zittern, Blutdruckanstieg oder Pulsbeschleunigung verknüpft ist. Er kann sowohl „akut“ auftreten, man kann auch anhaltend „zürnen“. Zorn ist eine menschliche Basisemotion. Paul Ekman, US-amerikanischer Anthropologe und Psychologe, identifizierte sieben dieser Basisemotionen, die nach seinen Forschungsergebnissen kulturübergreifend auftreten: Freude, Überraschung, Angst, Wut-Zorn, Ekel, Trauer und Verachtung.
Die Wut (auch lateinisch Furor ‚Raserei, Leidenschaft, Wahnsinn‘ oder auch französisch Rage, Furie ‚Raserei, ‚Toben‘) ist eine sehr heftige Emotion und häufig eine impulsive und aggressive Reaktion (Affekt), die durch eine als unangenehm empfundene Situation oder Bemerkung, z. B. eine Kränkung, ausgelöst worden ist.
Die Wut wird als „blind“ bezeichnet und ist, laut Haller, unkontrollierter und undifferenzierter als der Zorn. Bei Wut stehe der Vergeltungsdrang im Vordergrund, während die aus Zorn resultierenden Rachebedürfnisse überlegter und geplanter seien. „Zorn will nicht nur zerstören und rächen, sondern zielt auf Veränderung von Verhalten und Verhältnissen ab, die als unrichtig und ungerecht empfunden werden.“ (vgl. Haller 2021, 131ff).
Nach Freud geht die Wut von einem angeborenen Aggressionstrieb aus. In der Frustrations-Aggressionstheorie wird sie als Reaktion auf Frustrationen interpretiert. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit von aggressivem Verhalten, wie auch die der unmittelbaren Rache, gesteigert. Bei ständiger Unterdrückung macht sie krank, sie ist aber schwerer in eine produktive Kraft zu verwandeln als der Zorn.
Haller nennt als Beispiel die „Wutbürger“, ein mediales Schlagwort, das als Neologismus in Deutschland aufkam und durch den Essay „Der Wutbürger“ des Journalisten Dirk Kurbjuweit in Der Spiegel vom 11. Oktober 2010 geprägt wurde. Zu bedenken sei, führt Haller aus, „dass bei Wutbürgerprotesten jene massenpsychologischen Racheaktionen bei weit schlimmeren Taten als bei reinen Protesten zum Ausdruck kommen.“
Im Folgenden zeigen wir ein Beispiel zum Thema Rache, blinder Wut (Mob anknüpfend an die „Wutbürger“) und daraus resultierendem Zorn des zu Unrecht angegriffenen Protagonisten der Story. Es gründet auf einer interdisziplinären Tagung 2018 mit Juristen, Philosophen, Medizinern, Ethikern, Literatur-, Film- und Kulturwissenschaftlern in der evangelischen Akademie in Frankfurt am Römerberg, zum Phänomen der „Rache“. Der Beitrag stammt vom Literatur- und Filmwissenschaftler Prof. Dr. Matthias Hurst vom Bard College in Berlin.
kurze Zusammenfassung
- Film Blinde Wut (Originaltitel „Fury“, USA 1936) geht in das Gesamtwerk des Regisseurs Fritz Lang ein, der 1934 aus Deutschland in die USA emigrierte.
- Blinde Wut war Langs erster Spielfilm in den USA und schildert die beklemmende Wandlung des unbescholtenen Bürgers Joe Wilson, der zu Unrecht der Entführung eines Mädchens bezichtigt wird, in einen zornigen Rächer.
- Ein aufgestachelter Mob (bis dato „unbescholtene Bürger“ allen Alters, Geschlecht und sozialer Stellung) war zur Lynchjustiz bereit, steckte das Gefängnis in Brand, in dem der Verdächtige Joe Wilson den Tod zu finden scheint.
- Durch eine glückliche Fügung konnte er jedoch unerkannt entkommen und will sich nun in gnadenloser Verbitterung an seinen Peinigern rächen.
- vom unauffälligen Bürger zum blutrünstigen Rächer
- veranschaulicht die Naivität blinden Vertrauens auf soziale Strukturen, die schnell demontiert sind.
- Fritz Lang beklagte später, dass das Studio ihn zu einem harmonischen Ende gezwungen habe.
- Demgegenüber wirkt der Film heute seiner Zeit voraus, wenn man bedenkt, dass die Pflicht zum Happy End gerade in den 40ern und 50ern weit mehr Bestandteil der Zensur war.
Georg Seeßlen bringt mit Blick auf das Werk Langs den Aspekt der soziokulturellen Relevanz in seinem Buch Kino der Angst (1980) auf den Punkt: „Fritz Langs Filme, als konstituierende für das Genre des Thrillers, ziehen also zum einen eine Verbindung von Schicksal und Gesellschaft, zum anderen reagieren sie auf das gewandelte bürgerliche Weltbild mit einer Fragestellung, die, wäre sie erkannt, allzu radikal hätte erscheinen müssen.“
Fury (1936) Original Trailer [HD]
„Wohin mit meiner Wut“ – Beitrag zum interdisziplinären Austausch (Ausführungen von Frau Dr. Stieß-Westermann in Kurzform)
Stieß-Westermann erläutert die kathartische Funktion von Rache: Der Begriff „Katharsis“ geht auf Aristoteles und seine Poetik zurück: das Abreagieren negativer Emotionen wirkt reinigend auf die menschliche Psyche. Katharsis-These sei aber in der Psychotherapie umstritten. Wendet sich dann den Kerngedanken des Psychoanalytikers Leon Wurmser zu. Kernsätze von Leon Wurmser: Unterscheide Gedanke und Tat! … „in der menschlichen Ethik ist nicht die Frage von Existenz oder Nichtexistenz von Wut und Rache entscheidend, sondern zwischen den Gedanken, Gefühlen und Phantasien einerseits und der Handlung andererseits.“
Eine weitere Fragestellung beschäftigte sich mit: Wann ist es notwendig, Emotionen zu regulieren? … Wir sprechen von einer Notwendigkeit der Regulierung, wenn diese negativen Emotionen persistieren, also anhalten und uns körperlich/ seelisch Schaden zufügen. …wenn sich psychische und psychosomatische Beschwerden, Suchtprobleme, Schuldgefühle und Scham einstellen. Wie können Emotionen reguliert werden? Dazu nutzt Stieß-Westermann die Ausführungen Aus: Barnow, S.: Gefühle im Griff. Wozu man Gefühle braucht und wie man sie reguliert. Berlin 2017
In weiteren Erklärungen fragt Stieß-Westermann danach, was eigentlich Emotion sei und nutzt als Grundlage Paul Ekman. Emotion ist danach …eine zeitlich koordinierte Kombination aus kognitiver Bewertung, physiologischer Erregung, motorischem Ausdruck, einer Handlungstendenz und einem subjektiv wahrgenommenen Gefühl als Reaktion auf ein als bedeutend wahrgenommenes Ereignis
Ein wichtiger Ansatz gilt der wutspezifischen sympathischen Erregung, die erläutert sie anhand Friese, K., Botz, D.: Körperorientierte Emotionsregulation. Kompetenzbox. Paderborn 2024. Kennzeichen sind danach: Erhöhung des Herzschlags und des Blutdrucks, Anstieg des Blutzuckers; Gefäßerweiterung; Gesichtsröte; schnellere und flachere Atmung; • erhöhter Muskeltonus, v.a. im Bauch, Oberkörper und in den Extremitäten; Anspannung der Augenbrauen und Kiefermuskulatur; Ausschüttung von Stresshormonen und Neurotransmittern (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol).
Dementsprechend erläutert Stieß-Westermann die körperbezogene Regulation von Wut: • Beobachtung somatischer Prozesse; • Körperliche Übungen zum Abbau der Erregung: Aufstampfen, Brüllen, • Trommeln, • Löwenatmung „Simhasana“, • Bei Hyperarousal: Lenkung der Energie in Richtung Boden
Und ergänzt durch Berking, Matthias: Training emotionaler Kompetenzen. Berlin 2017 erkläre auch, so Stieß-Westermann: Welche Funktion hat das Gefühl? • Stress: Mobilisierung von zusätzlichen Energien, um ein Ziel zu erreichen; • Angst: Hinweis auf Gefahren, Vorbereitung zur Flucht; • Wut: eigene Grenzen wurden übertreten, Wunsch nach Schutz und Durchsetzung; • Scham: Schutz vor Ausgrenzung aus einer Gemeinschaft; • Schuld: leitet Verhalten ein, mit dem Fehler wieder gutgemacht werden können; • Trauer: leitet Ablösungsprozess ein
Nach Erläuterungen „Emotionale Reaktionen seien im Laufe der Evolution entstanden, um uns zu helfen, unsere Bedürfnisse zu schützen und unsere Ziele möglichst gut zu erreichen“ (ebd. 2017), empfiehlt Stieß-Westermann unter dem Stichwort „Akzeptanz und Toleranz“ Gefühle als Verbündete zu sehen. Und erläutert, welchen Sinn/welche Funktion (negative) Gefühle ursprünglich hatten. Dazu gibt sie, frei nach Berking, entsprechende Anleitungen wie man Gefühle effektiv verändern kann.
In einem wunderbaren Schlusswort greift die Musiktherapeutin und Dozentin auf einen wesentlichen Satz des österreichischen Neurologen und Psychiaters, Begründer der Logotherapie, Viktor Frankl 1905-1997) zurück.
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ Viktor Frankl
Quellen: Links zu den Videos
https://www.junfermann.de/karte-3-17/c-273
https://www.ardmediathek.de/video/ard-klassik/griegmorgenstimmung-peer-gynt-suite-radio-sinfonieorchesterstuttgart-des-swr-sir-roger-norrington-swrclassic/ard/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE0MzczNTE – (eine stimmungsvolle Pausenmusik innerhalb des Vortrages, angeleitet mit Körperübungen durch Frau Dr. Stieß-Westermann)
• Reinhard Haller: Rache – Gefangen zwischen Macht und
Ohnmacht. Vortrag Arbeiterkammer AK Vorarlberg
Danke für das Bild der Wut von John Hain auf Pixabay und wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen!