Schon die Altersfreigabe ist, für eine Oper sehr erstaunlich, erst ab 18 Jahren. Zudem gibt es fettgedruckte Warnhinweise, die andeuten, diese Oper sei nichts für schwache Gemüter. Gerade dies hat nun Neugier geweckt; die Oper ist ausverkauft. Lesen kann man, die Opernperformance in Stuttgart habe ihre Spuren bei einigen Besucherinnen und Besuchern hinterlassen. Die ersten beiden Vorstellungen von Florentina Holzingers „Sancta“ habe bei 18 Menschen Übelkeit hervorgerufen. Zitiert wird dabei der Sprecher der Staatsoper Stuttgart, Sebastian Ebling. Der Kulturbotschafter des UniWehrsEL berichtete über die Ausstellung „Apropos Sex“ in Frankfurt. Dies rief einen Rezensenten auf den Plan, seine Meinung zur öffentlichen Berichterstattung zur Oper „Sancta“ darzulegen. Er fragt danach: Wie bestimmt Sexualmoral den Umgang mit Sexualität im Alltag und wie verändert die öffentliche Berichterstattung den Umgang mit Sexualität?
Liebes UniWehrsEL,
dass Sex ein großes Medienecho erzeugt zeigt nicht nur das Interesse an der Ausstellung „Apropos Sex“ in Frankfurt, sondern auch die jüngste mediale Berichterstattung über die Oper „Sancta“ an der Staatsoper Stuttgart. Nachdem 18 Menschen in der Oper Stuttgart einen Notfall ausgelöst haben, begann eine große Berichterstattung über die Aufführung „Sancta“. Dies zeigt viel über die Meinungsmache zur Sexualmoral durch die Presse. Der Trailer zur Oper, der sonst eher unbemerkt bleibt, wird auf Nachrichtenseiten wie n-tv.de hochgeladen und kommentiert. Die Bild-Zeitung hat mit der Hauptdarstellerin, die Jesus spielt, ein Interview geführt.
Um den Inhalt der Oper geht es in der Berichterstattung der Boulevardpresse eher weniger. Zur besseren Einordnung darum von mir ein kurzer Überblick:
„Sancta Susanna“ ist eine einaktige Oper des Komponisten Paul Hindemith mit einer Länge von 25 Minuten. Die Uraufführung fand am 26.03.1922 an der Oper Frankfurt statt. Von 1923 bis 1927 bewohnte Hindemith gemeinsam mit seiner Ehefrau Gertrud sowie seiner Mutter und Schwester den sogenannten Kuhhirtenturm im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen.
Die Oper wird sehr selten gespielt und ist eine Wiederentdeckung. Inhaltlich geht es um die Nonne Susanna, die in (sexuelle) Ekstase gerät. Das Libretto ist von August Stramm. Die Oper „Sancta Susanna“ war als dreiteiliger Opernabend an der Oper Stuttgart geplant. Vorbild war vermutlich „Il Tritico“ von Puccini, die wir hier im UniWehrsEL im Kontext von „graphic revival Industrie und Mensch“ bereits besprochen haben. Dazu kam es jedoch nie, weil der Inhalt der Oper Sancta Susanna als gotteslästerlich von der (katholischen) Kirche bezeichnet worden ist und deshalb bei den Opernfreunden von Stuttgart für Empörung sorgte. Frankfurt war da für eine Uraufführung aufgeschlossener.
Normalerweise schreibt der Rezensent nur über Opernvorstellungen, die er persönlich besucht hat. Da die Vorstellungen auf wenige Termine beschränkt sind und restlos ausverkauft sind, ist das in diesem Fall nicht möglich. In der Rezension vom SWR interpretiert die Autorin Eva Marburg die Aufführung wie folgt: „In ihrer ersten Opernregie greift die Regisseurin und Choreografin Florentina Holzinger die kurze Oper „Sancta Susanna“ von Paul Hindemith auf, um die Frage nach weiblicher Sexualität innerhalb der christlichen Religion zu stellen. Herausgekommen ist eine sensationelle feministische Überschreibung von Kirchenritualen hin zu einer selbstbestimmten Feier des weiblichen Körpers.“
Dem Rezensenten dieses Artikels geht es weniger um die Oper Sancta an der Staatsoper Stuttgart, sondern es soll aufzeigen, wie der öffentliche Diskurs über Sexualität in der Presse geführt wird.
Die sexuelle Revolution ab den 1970ern ermöglichte ein offenes Gespräch über Sexualität im öffentlichen Diskurs. Davor war Sex ein Tabuthema. Die öffentliche Berichterstattung über die Oper „Sancta“ zeigt, wie schwierig der Umgang mit (weiblicher) Sexualität, Nacktheit von Frauen, in Teilen der Gesellschaft ist. Einige Medien wollen offenkundig gar nicht über den Inhalt oder die Frage nach der weiblichen Sexualität schreiben, sondern setzten auf Emotionen, um die Klickzahlen für ihre Seiten zu steigern. Diese Art der Berichterstattung ist sensationslüstern. Sie kann Schaden für das Theater insgesamt anrichten. Vermittelt doch diese „lüstern-voyeuristisch“ anmutende Berichterstattung bei Menschen, die selten oder nie ins Theater gehen, den Eindruck, am Theater oder der Oper ginge es skandalös und sündhaft zu.
Dabei geht es im Theater häufig um Körper, Sexualität. Am 27.09.2024 gab es einen Bericht in der Hessenschau über die Performance „Habit“. Es war eine Nacktperformace als Spielzeiteröffnung. Mit ca. 40 Teilnehmern unter der Anleitung von Doris Uhlich eroberten diese das Theater in Wiesbaden. Uhlich sei Choreografin aus der freien Wiener Szene, berichtet die Hessenschau und weiter: „Jetzt versucht mal, euch gegenseitig zu energizen“, schlägt die österreichische Choreografin Doris Uhlich vor. Sie stehe mitten im Raum und spräche in ein Mikrofon, woraufhin sich kleine Grüppchen bilden. Immer wieder lote sie Schamgrenzen aus, zum Beispiel im Projekt „Gootopia„, wo sich die Tänzer mit zähem Schleim übergossen hätten. Sie arbeite auch gerne mit Körpern, die nicht dem herkömmlichen Schönheitsideal entsprechen, zum Beispiel mit Darstellern mit einer körperlichen Behinderung oder mit Tänzern im Rentenalter. Die Performance fand schon in unterschiedlichen Städten statt, z.B. in Kopenhagen. Es gab bislang aber nur zwei Aufführungen.
Für die Teilnehmer ist die Performance am Staatstheater Wiesbaden sicherlich eine gute Gelegenheit, sich mit seinem eigenen Körper zu beschäftigen. Möglicherweise nimmt nur jemand an solch einer Performance teil, der mit seinem Körper und damit mit seiner eigenen Sexualität zufrieden ist. Jemand der sich selbst wertschätzt und einen positiven Blick auf seinen Körper hat. Dies zeigt, dass es für den Theaterbetrieb normal ist, auch solche Darstellungen öffentlich aufzuführen. Nur finden solche Performances wie in Wiesbaden nur ein kleines interessiertes Publikum.
Eine bundesweite Medienberichterstattung findet über solche Events in der Regel nicht statt. Deshalb erscheint mir die bundesweite Berichterstattung über „Sancta“ problematisch, weil sie falsche Bilder über das Theater vermittelt und dabei argumentativ jenen hilft, die Fördermittel für den Theaterbetrieb weiter kürzen möchten. Dies zeigt sich in der Diskussion um die „Komische Oper Berlin“ oder die Diskussion über die Zusammenlegung von Arte, 3sat als ein Kulturprogramm.
Folglich bestimmt die innere Einstellung zu Sexualität das Bild, wie ein Mensch mit dem Thema Sexualität umgeht. Diese innere Einstellung wird von äußeren Einflüssen durch die Medienberichterstattung, beispielsweise im Fall „Sancta Susanna“, beeinflusst. Wenn nun die Aufführung als Skandal und Schock für die Zuschauer betitelt wird, hat das Einfluss auf die öffentliche Sichtweise von Sexualität und hilft vielleicht den „Verklemmten“ weniger Sexualität im öffentlichen Diskurs zu fordern, weil sie sich mit dem Thema unwohl fühlen. Wird darauf eingegangen, kann dies zu einem Rückschritt in der Debatte um Sexualität in der Gesellschaft führen.
Die genannten Beispiele zeigen, wie Sexualmoral durch öffentliche Berichterstattung geprägt wird und deshalb verändert werden kann, wie die sexuelle Revolution der 1970er aufzeigt. Die Vorstellungen der öffentlich propagierten Sexualmoral prägt den Einzelnen in seinem persönlichen Umgang mit Sex.
Beim Sex treffen nicht nur zwei Personen aufeinander, sondern auch ihre Wertvorstellungen über Sex. Diese Wertvorstellungen bzw. deren Sexualmoral bestimmen die Erwartungshaltung an den partnerschaftlichen Sex. Dieser muss im gemeinsamen Konsens ausgehandelt werden. Dies geht nur durch ein offenes Gespräch. Dies ist nur möglich, wenn die Sexualmoral des Einzelnen nicht so ist, dass ihm ein Gespräch unmöglich macht.
Ich würde mich über weitere Kommentare zu diesem Themenbereich sehr freuen!
Danke für das Bild der Beeinflussung durch Medien von Anna auf Pixabay