Ein Held, eine Frau in Nöten, ein perfider Bösewicht und ein geheimnisvolles Rätsel sind die Grundlagen der Edgar Wallace Romane. Als Bett-Lektüre geschätzt, klar und einfach geschrieben, um sich nicht zu viele Gedanken machen zu müssen und dennoch reißerische Elemente enthaltend. Wallace verstand sein Handwerk, war er doch einst Berichterstatter bei Daily Mail. Wallace, der Lebemann war hoch verschuldet und starb so aufregend wie er gelebt hat: er starb 1932 bei den Arbeiten am Drehbuch zum Filmklassiker KING KONG UND DIE WEIßE FRAU (1933) an einer Lungenentzündung. In den 60er Jahren wurden die Krimis fürs Fernsehen wieder entdeckt. Ein UniWehrsEL-Leser hat sich Gedanken darüber gemacht, wie und warum sie zum „Straßenfeger“ wurden und darüber hinaus, wie man Wallace und die Adaptionen „bewusster lesen“ könnte. Dazu ein spannender Leserbrief mit herzlichem Dank!
Liebes UniWehrsEL,,
Das von Ihnen zitierte „lesende Bewusstsein“ von Herrn Gerijk scheint mir auf das Medium des Fernsehens und Theaters übertragbar. Mit anderen Worten interessiert mich, was denn eigentlich die Faszination von Edgar Wallace ausmacht, und warum die doch heute recht altbacken wirkenden Romane zum Event wurden und heute Kultstatus erreicht haben.
Angeregt zu weiterführenden Überlegungen wurde ich nicht nur durch Ihren Beitrag „Das Verstehen verstehen“, sondern auch durch den Besuch eines Kriminalstücks, mit dem Titel „Der Mönch mit der Klatsche“. Das Stück erschien mir wie eine Hommage, frei angelehnt an den Film „Der Mönch mit der Peitsche“ von 1967, geschrieben vom Krimiautor Edgar Wallace. Es ist schon erstaunlich, dass die Edgar Wallace Filme das damalige Publikum in Ekstase versetzen konnten. Nach dem 1959 in Deutschland veröffentlichten Spielfilm „Der Frosch mit der Maske“ gab es in den 1960er- und 1970er-Jahren einen regelrechten Boom mit 38 Wallace-Verfilmungen.
Da war zunächst der Werbe-Slogan „Es ist unmöglich von Edgar Wallace nicht gefesselt zu werden“, der neugierig machte und „Edgar Wallace Filme“ zu einer bekannten Marke werden ließ. Hochkonjunktur hatten diese neuen Kriminalfilme in den 60er Jahren. Das Publikum fieberte mit, wenn Scotland Yard die Bösewichte enttarnte und zur Strecke brachte. Der „German Grusel“ spielte in London, schon der Nebel bot die notwendige Undurchdringlichkeit der Mörderjagd. Dazu noch in effektivem Schwarz-Weiß gezeigt, was den Grusel steigerte.
In den 1990ern griff der Komiker Otto bei RTL in „Otto die Serie“ die Filme thematisch wieder auf; in seinen Sketchen, rund um die Abenteuer des bösen Babys Otto. In den 2004er Jahren gab es die Parodiefilme „Der Wixxer“ und sein Nachfolger „Neues vom Wixxer“. Seit 2020 ist eine Serie über den Wixxer geplant.
Was ist die Faszination für so viele Filme und warum braucht es einen Theaterabend dafür?
Die Krimireihe ist bem Publikum deshalb beliebt, weil ein Krimi nach festen Regeln abläuft, die sich ein Publikum leicht merken kann. Es gibt einen Mord. Gesucht wird ein Mörder. Es gibt einen Ermittler. Was löst die Ekstase beim Zuschauer aus? Vielleicht ist es die Möglichkeit, sich in den Ermittler hineinzuversetzen und auf dem Sofa mitzuraten, wer der Täter ist. Ziel eines Krimis ist letztlich Spannung dadurch zu erzeugen, dass man am Ende mehr weiß, als am Anfang. Dies ist aber nur ein Aspekt des Krimis. Zudem kann den Zuschauer an Orte und auf ein Milieu stoßen, mit dem er im realen Leben eher nicht in Berührung kommt.
Gleiches galt auch für den eingangs erwähnten Theaterabend. Zunächst geschieht ein Mord. Der Reiz des Krimis ist außerdem, dass er nicht in Deutschland beheimatet ist (das kennen wir ja aus den Wallace-Filmen), sondern in England. Trotzdem verhalten sich die Verdächtigen so wie es sich der Zuschauer vorstellt, also genau wie es seinen Erwartungen entspricht. Schließlich hat er Krimi-Vorerfahrungen, die sich mit dem gerade Erlebten verbinden lassen.
Nun braucht es natürlich einen bekannten und gleichermaßen geliebt wie gehassten Bösewicht. In einem Monolog des Schauspielers erfährt der Theaterbesucher, für die Rolle eines skurrilen Verdächtigen sei stets der Schauspieler Klaus Kinski besetzt worden ist. Kinski war nie der Täter, spielte aber stets eine Figur, die für den Zuschauer als möglicher Täter in Frage kommt. Kinski erweist sich in diesem Sinne als falsche Fährte, die vom Autor des Stückes fest eingeplant sein muss, um die Spannung zu steigern.
Edgar Wallace war zum Zeitpunkt der Ausstrahlung des Films „Der Mönch mit der Peitsche“ bereits seit 35 Jahren tot. So ein Lebenswandel als Genießer, der gerne trinkt, raucht und isst, sorgt zwar für einen raschen Tod, entspricht aber durchaus dem Gedanken, er sei anders als alltäglich, irgendwie abseits der Norm. Er starb an einer Lungenentzündung (was nicht so spektakulär klingt). So ein geheimnisvoller Tod würde doch zu ganz anderen Spekulationen anregen und das liebt nicht nur Hollywood. Es reizt auch heute noch die Gemüter, wenn von einem Krimi Autor die Rede ist, von dem niemand weiß, wie er letztlich umgekommen ist. Spektakulär war jedenfalls seine Erfindung der Figur des „King Kong“. Jenes Riesenaffen, der bis heute Menschen in unzähligen Filmen einen Schauer über den Rücken jagen lässt. Ob er aber heute noch den Zuschauer in die gleiche Ekstase versetzen kann, wie beim Erfinder Edgar Wallace und später in den 60er Jahren, wie seine Kriminalgeschichten es vermochten, bleibt dahingestellt.
Um auf die von Ihnen im Artikel „Das Verstehen verstehen“ gestellte Frage, nach der Deutung von Texten im „tropologischen“ Sinne (einfach gesagt: was ist die Moral von der Geschichte) würde ich antworten: King Kong weist im „allegorischen Sinne“ auf ein Monster hin, das Angst einflößt durch Riesenpranken und Horrorgebrüll. Im tropologischen ergänzenden psychologischen (bzw. von Ihnen deklarieten innerfiktionalen Sinn), vom Autor durchaus beabsichtigten Sinn, geht es auch um ein „haariges Wesen“, eine archaische Vorstellung für (dunkle) Männlichkeit, die nicht nur die weißen Frauen bedroht, sondern auch eine Gefahr für unsere Umwelt (im Sinne eines Umweltzerstörers) in sich birgt. King Kong musste 1933 sogar als Symbol für Faschismusopfer, versklavte Wilde und Triebtäter herhalten. Poetologisch (oder auch außerfiktional) beruht der Ursprung des King-Kong-Drehbuchs auf tatsächlichen Expeditionen, auf denen Merian C. Cooper, der Co-Regisseur, seine Leidenschaft für die Filmkamera entdeckte, als er seine Reisen mit dem Regisseur Ernest Schoedsack dokumentierte. Er interessierte sich für haarige und angebliche Vorfahren der Menschheit und konstruierte eine Handlung drumherum, die er „natürliches Drama“ nannte.
Damals wie heute müsste ein Regisseur, der beispielsweise einen Film über „Ekstasen“ (Beispiel Substance) drehen möchte, demnach fragen: Was versetzt uns in Ekstase? Was bereitet uns Genuss oder Angst? Und das gespickt mit einer Brise spontaner Fragen nach tiefen Sehnsüchten, nach realen aktuellen Sorgen, verbinden. Was treibt uns um? Was versetzt uns in wilden Begeisterungstaumel? Aber auch: Was bedrängt uns? Um potentielle Antworten dann eine gute psychologische Geschichte gebaut, die nur so von Symbolen wimmelt und fertig wäre der Kassenschlager.
Hollywood hat Wallace Idee übernommen. Er selbst hat von seiner Figur King Kong nicht monetär profitiert. Er wird auch nicht als Erfinder im ersten Film genannt. Dies mag dem UniWehrsEL-Leser als ungerecht erscheinen, ist aber der Tatsache geschuldet, dass der Film immer wieder neu rezipiert, aufgelegt, anders erzählt wird. So jedenfalls interpretiere ich die, in dem Theaterabend „Der Mönch mit der Klatsche“ vorgetragene Erklärung.
„Der Mönch mit der Klatsche“ ist eine zwei Personenstory. Alle Rollen des Abends werden von Michaela Schaffrath und dem Satiriker Stefan Keim gespielt. Keim kommentiert oftmals Szenen und Akteure, wie etwa den damaligen Schauspieler Klaus Kinski oder den Autor Edgar Wallace.
Vor Spielbeginn wird Wallace Lebenslauf geschildert. Er ist als unehelicher Sohn der Schauspielerin Poly Richard geboren worden,1875 in England. Sein Vater war verheiratet mit der berühmten Schauspielerin Alice Mariott und seine Mutter war nur eine Affäre. Deshalb ist Wallace wenig privilegiert aufgewachsen und hat sich mit achtzehn Jahren bei der britischen Armee verpflichtet. Ihn lockte wohl die Aussicht auf ein Abenteuer, aber vor allem ein festes Einkommen, ohne die Familie. Er wurde Soldat im zweiten Burenkrieg (1899 bis 1902). Sein Talent als Schreiber fiel der Royal Armee auf, und so bekam er einen Posten als Kriegsberichterstatter, auf der Seite der Armee. Dies lag wohl auch an seinem Selbstbewusstsein und seinem sprachlichen Talent.
Nach der Rückkehr aus dem Burenkrieg heuerte er als Journalist in London an. Als er bei einer Story über eine arme Wäscherin zu viel Phantasie bewies und sich der von ihm beschriebene Skandal als seine Erfindung entpuppte, verlor er zwar seine Stelle als Journalist, aber erkannte dabei, dass ihm die fiktiven Stories besser lagen, als die genaue Recherche eines Journalisten. So wurde er zum Schriftsteller mit rund 150 Romanen. Der berühmteste ist sicherlich „Der Hexer“. Auf diesen Roman spielt auch die Parodie „Der Wixxer“ an. Wie bereits beschrieben, genoss Wallace seinen Wohlstand durch die Schriftstellerei außerordentlich. Er führte ein Leben seinerseits voller Ekstase und in einem sehr produktiven Rausch.
Kommentiert von Michaela Schaffrath werden auch die, aus heutiger Sicht, sehr schlichten Frauenfiguren in den Wallace Filmen. Sie sind hübsch und gehorsam, vor allem leichtgläubig. Der Mann ist eine Autorität und sorgt für ihr Wohlbefinden. Die Frau ist arbeitslose Schwester, die auf Impulse durch einen Mann wartet. Sei der Mann ihr Vater, der Bruder, der im Stripclub als Türsteher arbeitet, oder der attraktive Kommissar von Scotland Yard. Der Kommissar geht mit ihr eine Liebesbeziehung ein. Schlicht aus dem Grund der Schönheit. Ihr Ziel ist eine schnellstmögliche Heirat mit dem Kommissar.
Frau Schaffrath weigert sich die Rolle genauso wie im Film vorgegeben zu spielen, weil in der heutigen Zeit den Frauen mehr Eigenständigkeit zugesprochen wird. Das vermittelte Bild der Frau durch Edgar Wallace sei für heutige Verhältnisse altbacken und mute etwas seltsam an. Wenn Herr Keim so eine Frau wolle, müsse er sie selbst spielen. Genau das tut Herr Keim dann in entsprechender Szene auch. So wird die, aus heutiger Sicht absurde, Rollenverteilung von Männern und Frauen sehr deutlich.
Wallace hat seine Romane in den 1920er und 1930er Jahren geschrieben. Von Emanzipation der Frau haben seine Romane nicht viel mitbekommen. Es ist somit richtig, auf dieses veraltete Frauenbild an einem Theaterabend aus 2024 hinzuweisen. Auch, dass der Kommissar als „Grabscher“ gegenüber der jungen Frau Auftritt, hat in einem modernen Krimi nichts verloren (auch wenn es in der Realität zuweilen immer noch anders ist). Trotzdem gilt es veraltete Frauen und Männer Rollenbilder zu hinterfragen.
Liebe Grüße von einem UniWehrsEL-Leser, der sich über einen Kommentar zum „bewussten Lesen“ freuen würde!
Danke für das Bild von Mike Singleton auf Pixabay