Noch bis zum 27.10.24 zeigt das Städel in Frankfurt künstlerisch wirkende Frauen zwischen Frankfurt und Paris um 1900. Zu den herausragenden Künstlerinnen ihrer Zeit gehörte zweifelsohne die deutsch-schweizerische Malerin Ottilie W. Roederstein, deren facettenreiches Werk unterschiedliche Tendenzen der Moderne widerspiegelt. Zu Roedersteins Studentinnen in Frankfurt gehörten unter anderem Hanna Bekker vom Rath (1893–1983) und Pauline Kowarzik (1852–1929), die nicht nur Malerin, sondern auch Sammlerin war. Neben Roedersteins Städel-Atelier war auch der private Unterricht von Wilhelm Trübner bei weiblichen Kunststudierenden beliebt. Das Städel Museum präsentiert Werke der Frankfurterin Eugenie Bandell (1858–1918) und Alice Trübner (geborene Auerbach) (1874–1916). Unser Kulturbotschafter des UniWehrsEL hat die Sonderausstellung der „Städelfrauen“ besucht.
Liebes UniWehrsEL,
am 10. September besuchte ich die beeindruckende Sonderausstellung Städelfrauen im Städel Museum. Diese Ausstellung, die vom 10. Juli bis 27. Oktober 2024 stattfindet, beleuchtet den oft übersehenen Beitrag von Künstlerinnen zur modernen Kunstgeschichte. Die Ausstellung zeigt Werke von bekannten Künstlerinnen die mit dem Städel Frankfurt verbunden sind wie Louise Breslau und Ottilie W. Roederstein. Die gezeigten Künstlerinnen haben sich um 1900 erfolgreich im Kunstbetrieb behauptet.
Besonders in Erinnerung blieb mir das Gemälde „Puppe unter Glassturz von Alice Trübner. Dieses Werk löste beim Betrachter einen Wow-Effekt aus, und ich verbrachte etwa zehn Minuten damit, den tieferen Sinn zu ergründen. Das Bild zeigt eine Frau in einem hellen Kleid, die auf einem Sockel steht und in einer Glaskugel eingeschlossen ist. Ihre geschlossenen Augen und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit symbolisieren die Unfreiheit der Frauen um 1900, als das Gemälde erstmals in Deutschland ausgestellt wurde. Der Glasschutz steht symbolisch für einen golden Käfig, in dem die bürgerliche Frau aus Sicht der Malerin gefangen gehalten wird. Diese Darstellung regt dazu an, über die Rollenbilder und Vorstellungen nachzudenken.
Die Malerin Alice Trübner malte ihre Werke stets mit einem Bezug zu sich selbst. Die „Puppe unter Glassturz“ stellt möglicherweise ihre Enttäuschung darüber dar, wie wenig Frauen in der Gesellschaft anerkannt werden. Personenmalerei war für sie nur im Stil eines „Stilllebens“ im Sinne eines „Stillhaltens“ möglich. Alice war immer auf der Suche nach Themen, die noch nie gemalt worden sind. Sie versuchte, aus scheinbar langweiligen Alltagsgegenständen wie einer Puppe unter Glasschutz, die auf einem Kamin stehen könnte, ein spannendes neues Motiv zu gestalten. Mit der Puppe im Glasschutz möchte Alice Trübner vielleicht ausdrücken, dass sie sich genauso viel Wissen über Kunst angeeignet hat wie ein männlicher Maler, aber nicht deren Freiheit besitzen kann.
Alice war mit ihrem 24 Jahre älteren Professor von der Städelschule, Wilhelm Trübner, verheiratet. Wilhelm Trübner bot jungen Frauen mit seinem Studienangebot an der Städelschule Frankfurt die Möglichkeit, eine Ausbildung abzuschließen. Sie war seine Schülerin und wurde später seine Ehefrau. Das Gemälde „Puppe unter Glassturz“ steht für ein Idealbild der schönen, liebreizenden Frau. Ganz anders wurde dagegen die Malerin Alice Trübner von der Außenwelt wahrgenommen: als schroff und nicht dem, von einer Frau erwarteten, Bild entsprechend. Die Erwartung an die Frau der damaligen Zeit war die der Frau im Glasschutz: schön, ordentlich gekleidet und schweigsam wie eine Puppe.
Das Stichwort „Puppe“ (auch als “Seelenverwandte“) lässt den Betrachter sofort an eine der berühmtesten Puppen in der deutschen Literatur denken: Olympia. Diese Puppe ist ein zentrales Thema in der neuen Spielzeit des Schauspiel Frankfurts, insbesondere im Stück „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann. Olympia wird sowohl in Hoffmanns Erzählung als auch in der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jaques Offenbach beschrieben. In “Der Sandmann” wird Olympia als eine täuschend echt wirkende Puppe dargestellt, die von Nathanael für einen lebendigen Menschen gehalten wird. Ihre Sprachlosigkeit symbolisiert ihre Unfähigkeit, sich auszudrücken und aktiv am Leben teilzunehmen. Diese Eigenschaft spiegelt sich im Gemälde “Puppe unter Glasssturz” wider, wo die Frau ebenfalls in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist und keine Stimme hat. Beide Darstellungen verdeutlichen die gesellschaftliche Unterdrückung und die Rolle der Frau als passives Objekt, gefangen in einem “goldenen Käfig” ohne Möglichkeit zur Selbstbestimmung.
Im Jahr 2017 konnte der Opernfreund die Oper „Hoffmanns Erzählungen“ am Staatstheater Meiningen, in einer Inszenierung von Christian Poewe, besuchen. Olympia wurde damals als Hausfrauenwunder aus einer 1950er Jahre Werbung dargestellt. Sie räumte hinter dem Gast Hoffmann hinterher und war ständig am Staubsaugen. Hoffmann hinterließ aus Olympias Sicht unentwegt Schmutz, den sie beseitigen musste. Am Ende der Szene schmoren der Sauberkeitsfanatikerin die Sicherungen durch. Diese Darstellung zeigt, wie wenig sich doch das Frauenideal in der Werbung der 1950er Jahre von dem Frauenbild aus dem Jahr 1901 unterscheidet. Beide Szenarien verdeutlichen die Erwartungen an Frauen, schön, ordentlich gekleidet und schweigsam wie eine Puppe zu sein.
Die Inszenierung von 2017 wirft einen ironischen Blick auf das Hausfrauendasein. Die Aufführung konnte jedoch nicht das, in 2024 auftauchende Phänomen der Tradewives auf sozialen Netzwerken wie TikTok vorausahnen. Tradewives sind Frauen, die sich bewusst für ein traditionelles Rollenbild entscheiden und dies in sozialen Medien präsentieren. Sie betonen häusliche Pflichten und die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter. Diese Bewegung zeigt, dass sich das Frauenideal in manchen Bereichen kaum verändert zu haben scheint und immer noch von traditionellen Vorstellungen geprägt ist. Die Verbindung zur „Puppe im Glassturz“ ist offensichtlich: Beide stehen für ein Idealbild, das Frauen in ihrer Freiheit einschränkt und sie in einem “goldenen Käfig” hält.
Anzumerken ist jedoch, dass es sich bei Tradewives um junge Influencerinnen handelt, die mit der Vermittlung dieses konservativen Frauenbildes Geld verdienen. Sie sind das Gegenteil von einer Frau, die in die Rolle der Hausfrau gedrängt wird. Die Influencerinnen wählen ihre Rolle selbst aus und verdienen mit Millionen von Followern eigenes Geld. Sie sind also nicht auf einen Mann als Versorger angewiesen. Sie inszenieren sich selbst in einem vermeintlich traditionellen Rollenbild und vermitteln anderen Frauen, es wäre besser für sie, auf eine berufliche Ausbildung zu verzichten.
Das Gemälde „Puppe unter Glassturz“ von Alice Trübner hinterlässt einen nachhaltigen „Wow-Effekt“, der für mich an das kommende Seminar zum “Staunen: Wahn, Wunder, Wow-Effekt” andockt. “Staunen ist eben nicht nur ein Wohlgefühl, sondern das kann ja durchaus auch mit dem Schrecken oder mit der Erfahrung von Ohnmacht und dem eigenen Kleinsein verbunden werden”, wie Sie es mit Worten von Nicola Gess in ihrer Einführung zum Wintersemester 24_25 zum Ausdruck brachten. In diesem Sinne thematisiert die Frau in der Glasglocke das Thema der Emanzipation der Frau, indem es die gesellschaftlichen Einschränkungen und Erwartungen an Frauen um 1900 aufzeigt. Die Darstellung der Frau als Puppe in einem “goldenen Käfig” symbolisiert die fehlende Freiheit und die Notwendigkeit, sich von traditionellen Rollenbildern zu befreien. Dieses Werk regt zum Nachdenken über die Fortschritte und Herausforderungen der Frauenemanzipation an und bleibt ein eindrucksvolles Zeugnis der Kunstgeschichte. Um die Bekanntheit der Künstlerin Alice Trübner zu steigern und dieses Gemälde kennen zu lernen, empfehle ich jedem interessierten Kunstliebhaber die Ausstellung Städelfrauen zu besuchen.
Liebe Grüße und mit großer Freude über einen Kommentar
Ihr Kulturbotschafter des UniWehrsEL
Danke für das Bild von Anastasia Makarevich auf Pixabay