Du betrachtest gerade Sarah Bernhardt – die hohe Kunst der Selbstinszenierung

In die Reihe der exzentrischen, extravaganten, erfolgreichen, skandalösen Frauen wie etwa Anita Berber, Colette oder Hedy Lamarr gehört auch Sarah Bernhardt. Genau wie die genannten berühmten Persönlichkeiten verstand auch Sarah Bernhardt sich zu inszenieren, um im Gespräch zu bleiben. Mit umwerfender Bühnenpräsenz und einer „goldenen“ Stimme (Viktor Hugo über sie) faszinierte sie die Öffentlichkeit durch ihre exzentrische Lebensweise. Sarah Bernhardts Schauspielkunst gilt zudem als Inspirationsquelle für Komponisten wie Verdi oder Puccini und weltberühmte Opernfiguren wie „Tosca“ oder „Die Kameliendame“. Ein Leserbrief hat das UniWehrsEL auf sie aufmerksam gemacht, herzlichen Dank dafür!

Liebes UniWehrsEL,

Am 05.09.24 besuchte ich einen faszinierenden Vortrag über den italienischen Komponisten Giacomo Puccini. Er feiert 2024 seinen 100. Todestag. Dabei erfuhr ich, dass Puccini in seinem Privatleben oft ins Schauspiel ging. Besonders beeindruckend war die Geschichte, dass er die Idee für seine Oper „Tosca“ fand, als er die Schauspielerin Sarah Bernhardt live auf der Bühne erlebte. Diese kleine Randgeschichte zu Puccini weckte in mir das Interesse, mehr über das Leben der Künstlerin Sarah Bernhardt zu erfahren. Auch sie ist für ihren exzessiven Lebensstil bekannt. Deshalb passt sie sicherlich in die Seminarreihe im Wintersemester 24_25 zum „Exzess“.

Sarah Bernhardt, geboren am 22. Oktober 1844 in Paris, wuchs im Schatten der Gesellschaft auf. Ihre Mutter war eine berühmt-berüchtigte Kurtisane. Eine Kurtisane war, historisch gesehen, eine gebildete und oft einflussreiche Frau, die zwar in der Gesellschaft der Oberschicht verkehrte, aber gesellschaftlich nicht anerkannt war. Die Kurtisane wurde durch ihre Beziehung zu wohlhabenden oder mächtigen Männern finanziell unterstützt. Das Schicksal einer solchen Frau verkörperte Sarah später selbst, in der Rolle der „Kameliendame“, nach dem Roman von Alexandre Dumas, auf der Theaterbühne.

Die Kameliendame erzählt die tragische Liebesgeschichte zwischen der Kurtisane Marguerite Gautier und dem jungen Armand Duval. Diese Geschichte von Liebe und Opfer inspirierte nicht nur das Theater, sondern auch die Opernwelt. Giuseppe Verdi adaptierte diese Erzählung in seiner berühmten Oper „La Traviata“. Die Idee, aus einem Schauspiel eine Oper zu machen, inspirierte später auch Puccini, der den gleichen Ansatz bei seiner Oper „Tosca“ verfolgte.

Als Jugendliche eignete sich Bernhardt zunächst wenig für die Rolle einer Kurtisane, da sie sehr dünn war und ein freches Mundwerk hatte. Sie konnte alle Fabeln von Jean de La Fontaine auswendig zitieren, was ihren Weg zur professionellen Schauspielerin früh vorzeichnete. Ein Beispiel für diese Fabeln ist “Der Fuchs und die Trauben“, in der ein Fuchs Trauben nicht erreichen kann und behauptet, sie seien wahrscheinlich sauer. Diese Geschichte lehrt, dass Menschen oft das schlechtreden, was sie nicht erreichen können. Dies zeigt die Gewitztheit der jungen Sarah, und auch warum sie sich in den Salons der Gesellschaft trotz allem wohlfühlte. Ursprünglich war Sarah von ihrer Mutter in ein Kloster geschickt worden. Dort erhielt sie eine Ausbildung, konnte aber mit der ihr zugedachten Rolle als sittsames, angepasstes Mädchen und tadellose Ehefrau wenig anfangen.

Mit 19 Jahren erlebte die junge Schauspielerin Sarah ihren ersten Skandal an dem berühmten Schauspielhaus „Comédie francaise“. Bei einer Veranstaltung nahm sie ihre kleine Schwester mit, die versehentlich auf die Schleppe einer berühmten Kollegin trat. Diese schubste die Schwester, woraufhin Sarah die Kollegin vor dem Publikum eine “dumme, dicke Pute” nannte. Da sie sich nicht entschuldigte, musste Sarah das Theater verlassen.

Aus dieser kleinen Story lernt der Betrachter, dass Sarah Bernhardt bereits mit 19 eine geschickte Meisterin der Selbstinszenierung war. Denn auch schlechte News wie eine Entlassung sorgen dafür, dass Sahra im Gespräch und im Gedächtnis des Publikums blieb.

Ein bemerkenswertes Beispiel für ihre Selbstdarstellung war, dass sie sich selbst in einem Sarg fotografieren ließ, um ihre dramatische Persönlichkeit zu betonen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen. Diese Fähigkeit zur Selbstinszenierung trug erheblich zu ihrem Ruhm und ihrer Legend bei. Das beweisen auch die zahlreichen Ausstellungen, die bis heute zahlreiche Besucher anlocken.

Sie war bekannt für ihre leidenschaftlichen Darbietungen in Stücken wie „Phädra“ oder „Hamlet.“ Besonders bemerkenswert ist, dass sie gerne in Männerrollen schlüpfte, wie das Beispiel Hamlet zeigt, und damit das Publikum überraschte.

Phädra“, ein Stück von Jean Racine, erzählt die tragische Geschichte von Phädra, die sich in ihren Stiefsohn Hippolytos verliebt. Diese unerfüllte und verbotene Liebe führt zu Intrigen und letztlich zu ihrem Untergang. Sarah Bernhardt brachte die hemmungslose Leidenschaft der Phädra mit solcher Intensität auf die Bühne, dass der Zuschauer tief berührt war. Interessanterweise wird „Phädra in Flammen“ in dieser Spielzeit am Schauspiel Frankfurt wiederaufgenommen. Diese Inszenierung, eine moderne Überschreibung des antiken Mythos von Nino Haratischwili, wird von Max Lindemann inszeniert. Es ist ein Versuch, die Antike in die Gegenwart zu übertragen und neu zu deuten.

Sarah Bernhardt verstand es, auch Klatsch und Tratsch über ihr eigenes Liebesleben zu verbreiten, um im Gespräch zu bleiben. Diese Taktik half ihr, stets im Rampenlicht zu stehen und ihre Popularität zu steigern. Ihre Pressearbeit war ebenso geschickt wie ihre Bühnenauftritte. Sie nutzte die Medien, um ihre Karriere durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit zu fördern. Bernhardt war eine Meisterin darin, Geschichten über sich selbst zu inszenieren und so das Interesse der Öffentlichkeit wachzuhalten. Diese Fähigkeit trug erheblich zu ihrem anhaltenden Ruhm bei.

Sarah Bernhardt war nicht nur eine herausragende Schauspielerin, sondern auch bekannt für ihr exzessives Leben, das von zahlreichen Affären geprägt war. Ihre Bekanntschaften mit prominenten Persönlichkeiten, wie Oscar Wilde und anderen für die Öffentlichkeit relevanten Künstlern, trugen zu ihrem schillernden Ruf bei. Sie pflegte enge Beziehungen zu Künstlern wie Victor Hugo, Gustave Doré, dem französischen Maler und Grafiker, und Edmond Rostand, einem französischen Schriftsteller. Sie entwickelte deshalb ein Gespür für den Zeitgeist und konnte so das Publikum begeistern und an sich binden. Die Freundschaft mit bedeutenden Künstlern zeigt, dass Sarah Bernhardt eine charismatische Persönlichkeit hatte, die Menschen anzog.

Bernhardt unternahm auch erfolgreiche Tourneen, unter anderem nach Amerika, wo sie das Publikum mit ihrer Kunst begeisterte. Neben ihrer Schauspielkarriere schrieb sie selbst Romane und ihre Erinnerungen, was ihre Vielseitigkeit unterstreicht. Sie war eine clevere Geschäftsfrau, die ihre Karriere strategisch plante und ihre Bekanntheit geschickt nutzte, um ihre Projekte zu fördern.

Auf tragische und doch fast ironische Weise verlor Sarah Bernhardt bei einem Bühnenauftritt als Tosca ihr Bein, als sie ungesichert von der Kulisse der Engelsburg sprang und dabei stürzte. Jemand hatte die Matratze nicht an den Platz des Absprungs gelegt. Fortan musste sie mit einem Holzbein weiterleben. Dieses Holzbein kam besonders gut bei den verwundeten Soldaten des 1. Weltkrieg an, die sie versorgte. Die Soldaten hatten ebenfalls schlimme Verletzungen und so war Sarah in ihren Augen glaubwürdig, wenn sie über die Schrecklichkeit des Kriegs sprach.

In einer Zeit, in der Frauen oft in der Gesellschaft eingeschränkt waren, brach Sarah Bernhardt mit Konventionen und setzte neue Maßstäbe. Sie war eine starke, unabhängige Frau, die ihren eigenen Weg ging und dabei unzählige Hindernisse überwand.

Ihr Vermächtnis lebt weiter durch ihre unvergesslichen Rollen wie Phädra, die Kameliendame oder Tosca. Sei es auf der Schauspiel- oder Opernbühne ihre Figuren sind aus der Welt des Theaters nicht wegzudenken.

 Mit besten Grüßen von einem interessierten UniWehrsEL-Leser

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  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:11. September 2024
  • Lesedauer:9 min Lesezeit