Du betrachtest gerade Anita Berber – auf Leinwand gebannte Ekstase oder selbstzerstörerische Skandalnudel?

Es ist 1925. Eine Frau posiert in einem roten, enganliegenden Kleid. Sie ist gerade 26 Jahre alt als das Portrait entsteht. Die Frau hat bereits einen skandalumwitterten, aber auch schillernden Ruf. Denn sie zeigt sich selbst in einem expressives Bühnenprogramm. Der Legende nach soll sie die erste Frau gewesen sein die in der Öffentlichkeit einen Smoking trug. Wer etwas auf sich hielt kopierte in den 1920ern den Style dieser Ikone. Sie ist eine ungehemmte Selbstdarstellerin und gilt als Femme Fatale. Ernst starrt sie in die Gegend. Für das Gemälde steht die Frau komplett nackt Modell. 3 Tage soll sie so für den Maler posiert haben. Sie ist eine Berühmtheit. Ihr Beruf ist Tänzerin. Auf dem Bild wirkt sie lasziv, aber irgendwie auch ‘zerstört’. Sie stammt aus der Berliner Szene. Sie ist verlockend, kreidebleich, mit feuerrotem Haar, roten Lippen und wie bereits beschrieben rotem Kleid im roten Licht. Ist sie eine Teufelsbraut? Das ist die Frage, die den Kulturbotschafter des UniWehrsEL-Leser dazu bewogen hat, uns diesen Leserbrief zu schreiben. Herzlichen Dank dafür!

Liebes UniWehrsEL,

Das Bild lässt seinen Betrachter erahnen, was es mit den wilden 20er Jahren auf sich hat. So mancher Betrachter könnte die Frau als verfallene Schönheit gekennzeichnet vom intensiven Nachtleben, dem Alkohol und anderen Drogen ansehen. Das Portrait könnte die Zukunft der Frau vorausahnen. Nur drei Jahre nach der Fertigstellung des Bildes stirbt sie.

Anderseits steht die kräftige Farbwahl für Erotik und Sinnlichkeit der 1920er Jahre. Die heutigen TV-Produktionen wie etwa die in 2017 gestartet Krimi-Serie „Babylon Berlin“ versuchen mit der Kamera die Erotik, Sinnlichkeit dieses Gemäldes neu einzufangen und darzustellen. Das Gemälde dient also als Vorlage für die heutigen Zuschauer, wenn sich diese die wilden 1920er Jahre vor ihrem geistigen Auge vorstellen. In den Zwanzigerjahren hatte Berlin den Ruf als Hauptstadt des Verbrechens und für seine Ausschweifungen aller Art. Sinnbildlich stehen die 1920er Jahre für eine Gesellschaft zwischen Exzess und Krise. Die gezeigte Tänzerin verkörpert wie keine andere die Exzesse jener Zeit. Die Partylust, Drogensucht der Frau sind quasi im Bild mit festgehalten. Wer kann sich schon damit rühmen, dass nach ihm oder ihr ein Berliner Nachtclub benannt worden ist, der immerhin zehn Jahre bis zum Juni 2023 zum Tanzen eingeladen hat?

Der Maler, der die Schönheit aufs Gemälde bannt, ist Otto Dix. Das Objekt seiner Begierde ist die damals heißbegehrte Tänzerin Anita Berber. Anita Berber war in den 1920er Jahren gerade „IN“. Sie war Schauspielerin und Tänzerin. Heute würden Anita Berger andere Etiketten bzw. neue Zuschreibungen wie Aktivistin, Frauenrechtlerin, Stilikone, Model oder Influencerin tragen. Im Geiste von Anita Berber und ihren Tanzkünsten trat die Band „Moka Efti“ bekannt aus der Serie Babylon Berlin am 12.07.2024 beim Kissinger Sommer im Max Lithmannsaal auf. Die Band, benannt nach dem Club Moka Efti aus der Serie Babylon Berlin, will nach eigenen Angaben die Welt des wilden Berlins von 1930 wiederaufleben lassen. Bestimmt hätte Anita Berber nichts dagegen mit dieser Band ihre Tanzfreude auszuleben. Ab Februar 2025 sind das Moka Efti Orchestra, Benno Fürmann und Gaststar Le Pustra für insgesamt 13 Auftritte in ganz Deutschland unterwegs.

Heute ist das Gemälde von Anita-Berber von Otto Dix das wohl bekannteste Bildnis der Stadt Stuttgart. Es ist das Prunkstück der Sammlung der Landesbank Baden-Württemberg. Anita Berber war zweifelsohne gut in der Selbstvermarktung ihrer Tanzprogramme. Die Vorstellungen trugen Namen wie „Tänze des Lasters“, „Tänze des Grauens“ und der „Ekstase“. Einer der Tänze der Künstlerin trug den Namen „Morphium“. Sie ergötzte sich an allem was berauscht.

Anita Berber passt also hervorragend in die Reihe Ekstase, im Seminar im Wintersemester 24_25. Das in der gegenwärtigen Zeit prominenteste Gemälde der Stadt Stuttgart entstand auf dem Höhepunkt der Popularität von Anita Berber. Mit dem Gemälde wird Otto Dix zu einem Zeitzeugen der wilden 20er Jahre und bietet heute noch die gedankliche Vorlage für das heutige Verständnis der damaligen Zeit.

Ein wenig seltsam ist es schon, dass ein solches exzessives Portrait einer Tänzerin heute in den Räumlichkeiten eines Kunstmuseums zu finden ist. Otto Dix war mit satirischen Zeichnungen und Bildern sicher ein scharfer Beobachter der Lebensverhältnisse in der Weimarer Republik. Ob er es für eine Ironie des Schicksals halten würde, dass ausgerechnet eine Großbank sich eines seiner Gemälde in die Kunstsammlung hängt, darüber lässt sich trefflich beim Rundgang durchs Museum spekulieren. Was die Bekanntheit der Tänzerin angeht, so ist das Gemälde heute vielen Zuschauern als „Die Frau in Rot“ bekannt, weniger als Anita Berber. Vielleicht trägt dieser Artikel dazu bei Anita Berber wieder mehr ins öffentliche Bewusstsein zu tragen?

Wer Lust bekommen hat „Anita Berber“ von Otto Dix einen Besuch abzustatten, kann dies im Kunstmuseum Stuttgart von Dienstag bis Sonntag tun oder einfach jederzeit auf der Seite der LBBW sich das Portrait anschauen.

PS: Das Leben von Anita Berber schreit geradezu nach einer Verfilmung. Die letzte trägt den klangvollen Titel „Anita – Tänze des Lasters“ von dem Regisseur Rosa von Praunheim von 1988.

Danke für das Bild von Peter Fischer auf Pixabay
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  • Beitrag zuletzt geändert am:31. August 2024
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