Du betrachtest gerade Krimitime im UniWehrsEL: „Was der Butler sah“ und „Seid nett zu Mr. Sloane“ von Joe Orton

Im Rahmen der diesjährigen Festwoche im Staatstheater Darmstadt vom 29.09. – 06.10.24 kann man Blicke in offene Werkstätten und hinter die Kulissen werfen. So gab es auch schon vor der Premiere von „Was der Butler sah„, einer schwarzen Komödie von Joe Orton, Einblicke in das Probengeschehen. Im Anschluss an die Probe gab es ein Panel mit den Beteiligten aus der Schauspielproduktion. Dies ließ sich der Kulturbotschafter des UniWehrsEL nicht entgehen und hat für uns seine Eindrücke zusammengefasst. Herzlichen Dank dafür!

Liebes UniWehrsEL,

Am 30.09. habe ich eine Preview, zu Deutsch Einblick, in ein kommendes Werk zum Stück „Was der Butler“ sah am Staatstheater Darmstadt besucht. Neben eines halbstündigen Probenbesuchs gab es viele Infos rund um das Stück. Die Biographie des Autors Joe Orton ist außergewöhnlich interessant und löste beim Besucher der Preview einen Wow-Effekt aus.

Der britische Autor Joe Orton lebte in den 1960er Jahren. Zu dieser Zeit war es unter Strafe gestellt, sich offen zu seiner Homosexualität zu bekennen. Dafür konnte die Person ins Gefängnis kommen. Orton musste damit umgehen lernen. Dies tat er mit rebellischem Verhalten.

So machte er sich einen Spaß daraus, Bücher aus Bibliotheken mit aus damaliger Sicht obszönem Inhalt zu präparieren. Ortons Begründung dafür, die ehrenwerten Bücher repräsentieren überholte Wertvorstellungen. Natürlich wird er für dieses spezielle Hobby gerichtlich verurteilt. Es zeigt aber die Kreativität von dem Autor Orton. Für den ahnungslosen Ausleiher eines solchen präparierten Buchs war die Begegnung mit Ortons Kunstwerk sicherlich schockierend.

Leuten einen Schock zu versetzen war auch seine bevorzugte Aufgabe als Schriftsteller und Theaterstückeschreiber. Er wollte, dass der Zuschauer hinterfragt was als „normal “ von der Gesellschaft anerkannt und angesehen wird. So empfindet er die Ehe zwischen Mann und Frau, welche als die Norm und das Ideal in den 1960ern angesehen wird, als verlogene Institution. In seinen Stücken stellt Orton in Frage, ob das bloße heiraten zur reinen Glückseligkeit führt. So auch in seinem Stück „Was der Butler sah“. Hier steht ein Psychiater im Mittelpunkt, der sich offenkundig mit seiner Frau auseinandergelebt hat.

Gerade strebt der Typ eine Affäre mit der Bewerberin auf die ausgeschriebene Stelle als Sekretärin an. In der gezeigten Anfangsszene fürs Publikum hat der umtriebige Typ die harmlose Frau dazu gebracht, ihr Kleid auszuziehen. Er wird in dieser Szene von seiner Frau erwischt und versteckt die nackte Bewerberin hinter einem Vorhang. Er redet seiner Frau ein, das Kleid sei ihr eigenes. Die Handlung spielt in einer Nervenheilanstalt.

Die Hauptfigur ist der Direktor dieser Anstalt. Anscheinend sind seine Methoden bereits bei der Ärztekammer umstritten. Jedenfalls taucht ein Revisor auf, der den Direktor überprüfen soll. Dadurch gerät die nackte Bewerberin in schlimme Bedrängnis. Sie wird vom Revisor als Patientin qualifiziert und in die Anstalt eingewiesen.

An dieser Szene zeigt sich wie Orton Systeme, in diesem Fall die Institution des Arztes, in Frage stellt. Für den Zuschauer ist deutlich erkennbar, dass die Bewerberin keine seelischen Störungen aufweist, sondern durch unglückliche Umstände in eine für sie nicht vorhersehbare Situation kommt. Da nutzt der Frau ihre Unschuld nichts. Diese Szene zeigt, wie leicht Macht von Personen ausgenutzt werden kann. Dies in eine vermeintliche Komödie einzubinden, löst beim Zuschauer einen Wow-Effekt aus.

Die Frau des Direktors ist ebenfalls in eine unangenehme Situation geraten. Sie wollte mit einem Hotelpagen einen heimlichen One-Night-Stand eingehen, wird aber stattdessen von dem Pagen erpresst. Er will den nicht geschehenen Fehltritt öffentlich machen, sollte die Frau nicht eine Geldsumme an ihn zahlen.

Parallel wird der Page gesucht, weil er sich an Seniorinnen sexuell vergangen haben soll. Dies zeigt wie Orton die Moral der normalen Gesellschaft in Frage stellt. Im Laufe des Stücks wird es zu weiteren Verwicklungen kommen, die dem Preview-Zuschauer noch nicht bekannt sind. Der Humor des Stücks speist sich aus den überraschenden Wendungen.

In den 1960ern waren Ortons Stücke hochumstritten und galten in bürgerlichen Kreisen als unsittlich. Viele Zuschauer verließen empört zur damaligen Zeit das Theater. Das Stück „Was der Butler sah“ zeigt auf, wie sich gesellschaftliche Verhältnisse ändern können, und dass unterschiedliche Dinge als anstößig von einem Teil der Gesellschaft empfunden werden können. Über Kunst lässt sich bekanntlich trefflich streiten.

Schon der heute als harmlos erscheinende Titel „Was der Butler sah“ war in den 1960ern eine große Provokation. Der Titel spielt auf den ersten in Großbritannien gezeigten Pornofilm an. Dort erblickt ein Butler durch ein Schlüsselloch, für gefühlte zwei Minuten, ein nacktes Mädchen. Wohlinformierte bürgerliche Kreise war der Streifen geläufig und schon seine Existenz wurde bestritten.

Tragisch endet Ortons Leben mit nur 34 Jahren. Er wird von seinem Lebenspartner aus Eifersucht erschlagen. Orton war auf dem Weg ein berühmter Autor zu werden. Sein Partner war ebenfalls Schriftsteller nur ganz erfolglos und mit Schreibblockade. Er nahm starke Medikamente gegen Depressionen. Er fand, dass diese jedoch weniger geeignet für ihn waren. Statt mit Beratung sollte der Mann mit Pillen ruhiggestellt werden. Eine Parallele zu dem Stück „Was der Butler sah“, wo es auch um Ärzte und Fehldiagnosen, Übergriffe von autoritären Personen geht?

Das Preview hat jedenfalls das Interesse beim Zuschauer geweckt, sich das Stück in voller Länge ca. 70 Minuten in den Kammerspielen Darmstadt anzuschauen.

Das Leben von Orton ist für die heutigen Zeit noch relevant, weil es zeigt, wie rebellische Menschen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen können. Die Frage was als Normal angesehen wird ist diskutabel und muss von der Gesellschaft immer wieder neu verhandelt werden. Daher lohnt sich ein Blick auf dieses Stück mit Sicherheit.

Der Wow-Effekt stellt sich durch die unerwartete Konfrontation des Zuschauers mit der Frage nach der Norm in einer Gesellschaft ein. So entsteht ein unerwartetes lustiges Stück. Soviel Selbstreflektion hätte ich von einer Komödie auf den ersten Blick nicht erwartet. Die Reaktionen des Probepublikums waren sehr positiv. Die Leute waren überrascht und nahmen das Angebot einer dramaturgischen Begleitung und einem Gespräch über das Stück dankbar wahr. So steigt die Spannung auf die Premiere in zwei Wochen.

Nachklapp: „Seid nett zu Mr. Sloane“ – Joe Orton

Ortons berühmtestes Theaterstück ist nicht „Was der Butler sah“, sondern trägt den Titel „Seid nett zu Mr. Sloane“. Die Titelfigur ist ein gutaussehender junger Mann, der sich als Untermieter bei einem Ehepaar einnistet. Die beiden sind von dem jungen Mann entzückt. Die Frau beginnt eine Affäre mit dem Kerl. Der Mann verschafft dem Jüngling einen Job auf seiner Arbeitsstelle. Alles scheint gut zu laufen.

Jedoch entpuppt sich Mr. Sloane als faule, wenig charmante Person die sich als Schmarotzer bei den Eheleuten einquartiert hat. Damit nicht genug, entpuppt sich Mr. Sloane als Mörder. Er hat seinen damaligen Chef ermordet, weil dieser ihn nervte.

Mit diesem Wissen hat das Ehepaar nun wieder die Macht im eigenen Leben. Denn sie erpressen Mr. Sloane, nun das zu tun, was sie sich von ihm freiwillig gewünscht haben. Dieses Stück gab es auch als Film unter dem Titel „Entertaining Mr. Sloane“ in den 70er Jahren zu bewundern.

Auch in diesem Stück geht es um die Frage: wer bestimmt die gesellschaftlichen Normen? Das Ehepaar, indem es ein vermeintliches Talent mit den richtigen Charaktereigenschaften fördert oder der junge Mann, indem er sich unentbehrlich für das Paar macht.

Die Wende entsteht in diesem Stück dadurch, dass sich der junge Mann als nicht so nett im realen Zusammenleben entpuppt, wie er sich anfangs selbst vor dem Paar darstellt. Um es noch spannender zu machen – mit Wow-Effekt – entpuppt sich Mr. Sloane als unbeherrschter Rüpel mit Mordgelüsten. Diesen scheint Mr. Sloane auch nachgegeben zu haben, sonst hätte er seinen Chef nicht ermordet, oder hat er dies nur gedanklich, wie viele andere Arbeitnehmer auch, getan?

Seine Äußerung kann auch als Drohung gegenüber dem Ehepaar empfunden werden. Genial ist, seine Worte bewirken beim Paar die Neuregelung der Mach.  Fortan können die Eheleute den Faulenzer motivieren, für sie unliebsame Arbeiten zu übernehmen. Die Macht wird also im Sinne der bürgerlichen Wertvorstellungen, wie Fleiß und tugendhaftes Verhalten, zugunsten des Ehepaars neu aufgeteilt. Dies möchte der Autor Orton dem Zuschauer aufzeigen und dabei den Zuseher dazu bringen, seine eigenen konservativen Wertvorstellungen zu hinterfragen.

Es scheint geboten sich mit den Stücken des Autors näher zu befassen, weil die Stücke interessante gesellschaftliche Themen aufzeigen.

Über einen Kommentar im UniWehrsEL unter Kontakt würde ich mich sehr freuen! Ihr Kulturbotschafter des UniWehrsEL

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:5. Oktober 2024
  • Lesedauer:10 min Lesezeit