Grenzen überwinden und innere Landschaften finden – Lyrik von Nahid Ensafpour
Gestern habe ich wieder mit ihr gesprochen. Wie ein rotes Band ziehen sich unsere gemeinsamen Begegnungen und Gespräche durch unser Leben. Seit dem Weltpoesiefestival in Rödermark gelang es uns immer wieder, trotz äußerer Distanz, Grenzen zu überwinden und innere Nähe zu empfinden.
Sie hat viele wunderbare Lyrik geschrieben. An einen Band erinnere ich mich besonders gerne: „Leise weht das Wort dahin“. Erschienen im Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2019
Geleitwort von Dr. Elke Wehrs für den neuen Lyrikband von Nahid Ensafpour
„Man reist ja nicht um anzukommen“, sagt Goethe und begibt sich auf Spurensuche in der Fremde. Dabei begegnet er nicht nur dem fremden Anderen, sondern vor allem sich selbst. Was sucht die Ethnologin in (ethno-)poetischen Texten einer im Iran aufgewachsenen und seit 1985 in Köln lebenden und schreibenden Interpretin? Zunächst einmal die Begegnung mit dem eigenen Spiegelbild, dann den Umgang mit dem ungewohnten Medium der Poesie. Die Fragen an die lyrischen Worte von Nahid Ensafpour wären dann: Was verrät mir das Medium der Lyrik zu meinen Grundthemen der Lebensbewältigung und Identitätsarbeit? Gelingt es durch die Poesie, Grenzen zu überwinden, in den Köpfen, zwischen den Kulturen, um zu einem besseren Verständnis beizutragen?
Nahid Ensafpour nimmt mich mit auf eine innere Reise. Ich raste gedanklich an verschiedenen Stationen des Lebens. Dies gelingt durch die Gliederung ihrer Texte nach drei Themenschwerpunkten. Im ersten Teil oder auch meiner ersten inneren Einkehr fordert sie dazu auf: ’Werde eins mit dem Fluss des Lebens’. Damiteröffnet sie einfühlsame Einblicke in die, in allen Kulturen sich gleichenden Grundsatzfragen, nach dem Werden und Vergehen, dem langsamen, unaufhaltsamen Fluss des Lebens, dem Segeln im Meer der Vollendung. Nahid Ensafpour erschließt uns durch ihre Ästhetik die Geheimnisse des Blühens und Verwelkens, die letzten dankbaren Worte an unseren Schöpfer und die Demut vor seinem wunderbaren Werk.
Im zweiten Teil präsentiert Nahid Ensafpour die ’Freiheit unserer Gedanken’. In einer selbstreflexiven Sichtweise streift sie die aktuellen Themen der Heimatlosigkeit, der Aussichtslosigkeit, der die selbst gewählte Reise ins Unbekannte ein Ende bereiten soll. Ihre lyrischen Worte gelten einem heimlichen Gedeihen der inneren Freiheit, wenn die äußere Freiheit nicht mehr gelebt werden darf. Nahid Ensafpour fokussiert dabei auf unterschiedliche Deutungswege und nutzt Irritationen als Erkenntnisinstrument.
Im letzten Teil, betitelt mit ’Poesie überwindet Grenzen’ beeindruckt das empathische Sich-Einfühlen-Können durch die Poetin, die ihr Handwerk so trefflich zu nutzen versteht. Im Kopf der ethnologischen Forscherin entstehen durch die wunderbaren Bilder und Gleichnisse immer neue Einblicke. Sie gelten der Suche nach dem Lebenssinn, nach Erneuerung und Freiheit, dem der Prozess der Angst des Sich-Verlierens vorausgeht und in dem es doch gelingt, durch Wandlung des Seins innere und äußere Barrieren zu überwinden.
Nahid Ensafpour bezaubert durch die Magie der Sprache. Ihr gelingt Authentizität zu erreichen, Gesichter und Gefühle wieder zu geben, die Welt eines imaginären Gegenübers zu erfassen und regt dazu an, in ihren Denkräumen umher zu reisen. Ihre Grenzen überwindenden Worte sind voller Brüchigkeit, sanfter Freude, Traurigkeit und laden zur Imagination ein.
Nahid Ensafpour, die ich beim Weltpoesiefestival in Rödermark kennen und schätzen lernen durfte, trägt mit ihren wunderbaren wohlgesetzten Worten dazu bei, dass ich mir meines eigenen Blickwinkels gewahr werde und den des Fremden besser verstehe. So schwingt zwischen unseren Worten etwas ganz Besonderes, weil es ihr gelingt, durch die Poesie Grenzen zu überwinden.
Im November 2018
Dr. phil. Elke Wehrs
Kultur- und Erziehungswissenschaftlerin