Du betrachtest gerade „Elektra“, Laufenbergs Racheengel-Inszenierung mit Kultstatus

„Elektra“ ist ungewöhnlich, verachtenswert und gleichzeitig zu bemitleiden. Ihre 7jährige Trauer um den Vater Agamemnon, der von ihrer Mutter Klytaimestra und deren Liebhaber ermordet wurde, ist von echter Verzweiflung geprägt. Ihr Bruder soll nach seiner Rückkehr diese Schandtat rächen. Sophokles Tragödie zeigt den ambivalenten Charakter der Figur Elektras. Diese Wut und dieser Zorn, die sie zur Rache antreiben, lockt bis heute die Zuschauer ins Theater, lässt Literaturwissenschaftler immer neue Deutungen schreiben, inspiriert auch das Opern-Dream-Team Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss 1909. „Elektra“ gehört bis heute zu den meistgespielten Opern, die Titelrolle gilt als eine der wichtigsten Figuren der Operngeschichte. Grund genug für unseren Kulturbotschafter auf den Spuren dieser Rachefigur (natürlich auch angeregt durch unser Seminar zur Rache) gründlich durch bekannte Opernhäuser zu wandeln.

Liebes UniWehrsEL,

ich beginne meine kleine Opernrundreise zu „Elektra“ in 2015. Da brachte der damalige Operndirektor Dominique Meyer eine, wie die Wiener-Opernwelt schrieb, „völlig unnötige“ Neuproduktion der „Elektra“ von Richard Strauss heraus. Als Regisseur hatte er Uwe Eric Laufenberg verpflichtet, der die vom Komponisten vorgegebene Werkbezeichnung (Tragödie in einem Aufzug) völlig „wirre“ inszenierte und dafür harsche Kritik hinnehmen musste. Zudem wurde nach 23 Vorstellungen diese Version eingestampft. Sie spielte entweder im Irrenhaus oder im Kohlenkeller (wer weiß das schon genau), jedenfalls mit Paternosteraufzug als Tatort.

Regie führte ein, ich möchte fast sagen, alter Bekannter Uwe Eric Laufenberg, der Intendant des Staatstheaters Wiesbaden. Seine Inszenierungen sind bei Klassik-Fans immer umstritten. Die einen mögen seine Arbeit, die anderen finden sie einfach „Mist“. Aus meiner Sicht hat Laufenberg seine Elektra in ein Sanatorium verlegt, unter dem Motto „wer zwei Menschen um die Ecke bringt, der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank“. Es könnte sich aber auch um einen, mit Kohle beheizten, Folterkeller im zweiten Weltkrieg handeln, darauf deuten die Uniformen des Anstaltspersonals hin. Jedenfalls werden zu Beginn drei junge Mädchen in einer gekachelten Dusche vom Anstaltspersonal gewaschen.  

Elektra, gespielt von Christine Goerke, trägt einen Businessanzug und lungert vor dem Sanatorium herum. In einem Koffer hat Elektra eine Axt versteckt, mit der plant sie ihren gedanklichen Rachefeldzug gegen ihre Mutter und deren Liebhaber auszuführen. Es braucht halt nur die passende Gelegenheit.

Die Gegenfigur zu Elektra in Strauß‘ Oper ist ihre Schwester Chrysothemis, die sich an die Situation mit der Mutter gewöhnt hat und Elektra rät, dies auch zu tun. Sonst würde die Mutter sie bald in einen Turm sperren. Chrysothemis trägt ein furchterregendes Kleid, was an einen umgearbeiteten Gardinenvorhang erinnert.

Elektras Mutter, Klytämnestra, kommt in einem Paternoster heruntergefahren. Zwei weitere Schwestern oder Anstaltsmitarbeiter, so genau ist das für den Zuschauer nicht erkennbar, bringen einen Rollstuhl. Es entspinnt sich ein Gespräch. Klytämnestra hat schlecht geschlafen und böse Vorahnungen und bittet Elektra um Hilfe. Waltraud Meier ist in der Rolle der Klytämnestra eine Wucht. Das Gespräch zwischen Klytämnestra und Elektra gehört zu den besten Szenen der Laufenberg Inszenierung.

Zunächst sitzt Klytämnestra bei dem Gespräch in dem gebrachten Rollstuhl, ärgert sich aber so über ihre Tochter, dass sie aufspringt und zeigt, wie viel Kraft in der vermeintlich dahinwelkenden Klytämnestra noch steckt. Sie ist voller Tatendrang und eins ist gewiss, sie wird ihre Tochter nach dem Gespräch einsperren lassen.

Elektra verweigert Klytämnestra die Gefolgschaft und belegt demonstrativ Klytämnestra Rollstuhl. Ähnlich spannend ist später der Dialog zwischen Elektra und Orestes gespielt von Michael Volle. Erinnert das Kostüm von Orestes zunächst an einen Seemann aus Wagners Holländer, wird es nach dem Wiedererkennen ganz intim zwischen Elektra und Orestes. Elektra überzeugt Orestes für sie zum Mörder zu werden und was für einer: Er richtet ein Blutbad im Paternoster an.

Zunächst muss die ‚Memme‘ Aigisthos – der Liebhaber Klytämnestras – dran glauben. Ihm wird die Axt in den Rücken gerammt. Im Blutrausch löscht er den Familienclan aus, einschließlich der Hundeleichen. Alle Leichen fahren im Paternoster spazieren. Das Stück hat sich in einen blutigen Horrorstreifen verwandelt.

Da kriegt der Zuschauer szenisch echt was geboten, nachdem der Zuschauer bei den vorangegangenen Dialogen in den dunklen Kohlekeller starrte und die Figuren beobachtet. Soviel Action zum Schluss ist selten bei einer Elektra-Aufführung, aber Laufenberg setzt noch einen oben drauf: In der Schlussszene tanzt das Wiener Staatsballett Elektras Freudentänzchen mit. Gefühlte 20 Tänzer sind für diesen Schluss nochmal auf die Bühne gekommen.

Am Ende bleibt Chrysothemis alleine in der Dusche zurück. Elektra hat ihr Beil vergessen. Wird Chrysothemis, wie es sich für einen guten Horrorfilm, gehört nun ihrerseits Elektra ermorden?

Auf jeden Fall, so kann man in der Kritik hinterher lesen, „können derbe Buhchöre auch Hoffnung nährende Frühindikatoren sein. Sie weisen zwar schmerzhaft, aber doch darauf hin, dass eine Inszenierung „kultigen“ Status erlangen dürfte, hat sich die kollektive Premierenpsyche einmal plärrend an ihr abreagiert. Womöglich haben Regiehände ja schwer verdauliche Werkwahrheiten freigesetzt.“

Die Aufführung lohnte sich schon deshalb anzuschauen, weil die Sängerriege exzellent besetzt war und sehr textdeutlich sprach.
Ich freue mich über einen Kommentar, Ihr Kulturbotschafter des UniWehrsEL