Du betrachtest gerade Kommentar zu “Othello” – Diskreminierung, Eifersucht, Rache – die Angst vor dem Fremden

Die Oper „Othello“ wurde hier im UniWehrsEL vor einiger Zeit besprochen. Interessant ist, dass die Kommentare und Reaktionen auf Othello und Desdemona, wenn man sich eingehender mit dieser Figurenkonstellation beschäftigt, je nach Herkunft, Land, Alter, persönlichen und gesellschaftlichen Erfahrungen ganz unterschiedlich ausfallen können. Während junge Leute besonders den Charakter des dunkelhäutigen Kriegshelden als eher männlich, faszinierend und inspirierend empfinden könnten, sind die Wahrnehmungen in Bezug auf Zeitgeist, aber auch das eigene Älterwerden, kritischer. Scheint doch seine Liebe zu Desdemona, dem Inbegriff „Weißer Weiblichkeit“, zunehmend deutlich Othellos „Schwarze Hypermaskulinität“ (Christine Platt) eher negativ zu kontrastieren. Oder geht es vielleicht um eine generelle Angst vor dem Fremden oder um die Unvereinbarkeit der interkulturellen (ehelichen) Beziehung?

Warum Othello dem Zuschauer als Warnung vor dem Fremden giltEin Leserbrief

In Othello steht am Ende der Mord. In Shakespeares Othello, wie in den anderen Stücken, steckt immer auch eine erkennbare Moral für den Zuschauer: In Othello heißt diese Moral: du sollst keine Menschen aus anderen Kulturkreisen heiraten. Denn wie das Beispiel Othello zeigt, lassen sich die Unterschiede in den Sitten und Gebräuchen fremder Länder nicht überbrücken.

Solche Unmöglichkeit interkultureller Ehen wird auch in anderen Shakespeare Stücken angedeutet. Im „Kaufmann von Venedig“ darf z.B. der Prinz von Marokko die schöne Portia nicht gewinnen. Shylocks Tochter Jessica darf zwar mit dem Fremden vor dem Vater fliehen. Jedoch muss der Zuschauer sich die Klage über die Flucht von Shylock minutenlang anhören. Dort wird wieder gegen eine solche Verbindung geredet. Das prägt sich bei Zuhörer ein. Lediglich im „Sturm“ ist so eine interkulturelle Ehe möglich. Die norditalienische Prinzessin Miranda heiratet den südländischen Prinzen Ferdinand. Dies ist in einer Phantasiewelt, die fernab von der Zivilisation und europäischen Sitten liegt, möglich.

An dem Stück Othello lassen sich musterhaft die Nachteile einer interkulturellen Ehe aufzeigen. Die Ehepartner sind sich durch Herkunft, Erziehung und Lebenserfahrung total verschieden. Desdemona ist eine gutbehütete höhere Tochter. Othello ein Krieger. Dazu kommt ein großer Altersunterschied den Othello selbst vor dem Konzil der Stadt Venedig anspricht. Dieser Altersunterschied macht Othello anfällig für die Einflüsterungen von Jago. Bei Shakespeare begehrt Jago Desdemona ebenfalls. Daher ist es ihm ein Vergnügen, Othello zu verunsichern.

Jago lenkt Othellos Aufmerksamkeit auf Cassio. Dieser ist in Othellos Augen alles was Othello nicht ist. Jung, schön mit der richtigen Herkunft. Daher ist es für Jago ein leichtes Spiel, in Othello Ängste und Selbstzweifel zu schüren. Besonders als Desdemona beginnt, sich für Cassios Begnadigung einzusetzen, weckt dieses Verhalten das Misstrauen von Othello. Seine Eifersucht ist geschürt. Othello möchte Desdemona allein besitzen.

Es ist diese Mischung aus Leidenschaft, Liebe, Eifersucht die Jago in Othello entfachen kann. Jagos Motiv für seine Taten ist die Rache. Er hasst Cassio, weil er die Beförderung erhalten hat, die ihm, Jago, zugestanden hätte. Er hasst Othello wegen seiner schönen Ehefrau Desdemona, und dass Othello es trotz seiner, aus Jagos Sicht niederen, Herkunft zum Heerführer gebracht hat. Jagos Rache kann nur befriedigt werden durch eine Opferung Desdemonas.

Bei Desdemonas Ermordung geht Othello äußerst planvoll vor. Er hört sich bei Shakespeare ihren Widerspruch zum angeblichen Betrug an. Er konfrontiert sie mit dem Betrug, um als ihr Richter und Henker schließlich ein Urteil zu fällen. Bei Verdis Othello-Bearbeitung gibt es diese Aussprache nicht. Es gibt keine Verhandlung. Othello trifft in der Oper seine Entscheidung ohne einen Prozess. In Shakespeares Ende begeht Othello Selbstmord in Front der Gesellschaft. Bei Verdi ist der Selbstmord eine Privatsache. Othello tötet sich im Schlafzimmer neben der Leiche von Desdemona. Othello begeht den Selbstmord, um seine Ehre wiederherzustellen. Bei Shakespeare stellt er im Anschluss an den Mord von Desdemona fest, dass er einer Intrige aufgesessen ist. Dies ist für ihn unerträglich. So findet die interkulturelle Ehe ein blutiges Ende. So dient Othello als Abschreckung für ein solches Ehebündnis. Mit Othello zeigt Shakespeare also auf, dass so ein interkulturelles Ehebündnis an den Unterschieden der Eheleuten scheitern muss.

Ein Aspekt der in Othello gerne übersehen wird, ist der heitere Charakter des Stücks. In dem Ehebetrug liegen auch Elemente der „Commedia del Arte“ zu Grunde. Ein Ehemann der feststellt, dass seine Frau ihm untreu ist, bietet für den Zuschauer auch Stoff für lustige Momente. Wenn der alte Ehemann den jungen Liebhaber mit der Gattin erwischt, führt das zum Schmunzeln beim Zuschauer. Warum ist das bei Othello anders? Das liegt wohl an dem Mord, den Othello am Ende begeht. Diese bildliche Umsetzung ist für den Zuschauer so einprägsam, dass er die heitere Tonart, die z.B. in der Taschentuchszene, wo Jago Othello überzeugt Desdemona habe das gemeinsame Liebespfand an Cassio verschenkt, übersieht.

Boito, der Librettist von Verdis Othello, hat die Anfangsszene, wo Othello bereits vor dem Konsulat in Venedig erste Zweifel an Desdemona hat, weggelassen. Stattdessen zeigt er am Anfang der Oper ein totales Liebesglück. Dieses Glück scheint autark zu sein. Also so stark, dass es Einflüssen von außen trotzt. Trotz der Stärke der Beziehung scheinen Desdemona und Othello blind für einander. Othello, der Held, ist zu sehr auf sich bezogen. Desdemona ist bei Verdi zu passiv. Das führt dazu, dass Othello nicht auf sie hört, und Desdemona aktiv auch nichts zur Klärung der Intrige gegen sie beiträgt.

Daher birgt diese „blinde Liebe“ bereits den Kern der Katastrophe in sich selbst. Es gibt keine gemeinsame Sprache der Eheleute. Sie leben aneinander vorbei. Jago dringt in Verdis Oper in diesen sprachlosen Raum der Eheleute vor. Jago der Sprachkünstler ist ein guter Demagoge. Sein Geschwätz füllt die Lücke des Schweigens in der Beziehung Othello und Desdemona.

Das Drama wird also hier von außen an das Paar herangetragen. Die sichtbaren Unterschiede, welche Shakespeare als Argumente gegen die interkulturelle Ehe aufzeigt, werden in Verdis Oper zurückgenommen. Othello ist ein großer Held. Desdemona eine tadellose Ehefrau. Nur der teuflische Jago schafft es dieses Powerpaar zu trennen. Desdemona wird also mit dem Geschwätz des Jagos in der Vorstellung von Othello zu einer schlechten Partnerin, einer Betrügerin. Der Blick von außen ist Othello wichtiger, als der Blick ins Innere der Beziehung.

Othello hält sich bei Verdi für unwürdig von Desdemona geliebt zu werden. Sie tut dies nur aus Mitleid, meint er. Mit dieser Sprache wird Desdemona zur Heiligen, die Mitleid spendet. Sie ist keine echte Partnerin mehr, sondern erlebt eine starke Überhöhung durch Othello. Das zeigt wie sich das Frauenbild im 19. Jahrhundert gewandelt hatte. Die Frau muss tugendhaft sein. Der Mann ein Held. Beides übergroße Ansprüche der Männer und Frauen an sich selbst.

Bleibt die Frage: Lotet Othello als eine der ersten interkulturellen Liebesgeschichten, die vielen Komplexitäten solcher Beziehungen aus?  Lesen Sie dazu auch Die Macht des Unbewussten – Interview mit Christine Platt, die sich mit der Thematik des offenen Rassismus in Verdis Othello beschäftigt.

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  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:31. Mai 2024
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