Du betrachtest gerade Barbie und der Wow-Effekt

Den Themen „Puppen als Seelenverwandte“ oder “Puppen als gesellschaftliche Vorbilder” widmete sich bereits ein Beitrag im Blog des UniWehrsEL. In diese Reihe passt „Barbie“. An ihr scheiden sich die Geister. Als Spielzeugpuppe von vielen kleinen Mädchen heiß begehrt, als Sammlerobjekt gleichermaßen geschätzt, wurde sie nun durch Magot Robbie im gleichnamigen Film zum Leben erweckt. Greta Gerwig, bislang eher durch kleinere Indie-Filme und anspruchsvolles Drama bekannt, hat bereits zwei Oscarnominierungen eingeheimst für „Lady Bird“ und „Little Women“. “Barbie” galt als sicherer Tipp, hatte er doch bereits insgesamt acht Oscar-Nominierungen erhalten, darunter für den besten Film. Neben “Ken”-Darsteller Ryan Gosling erhielt auch America Ferrera eine Nominierung als beste Nebendarstellerin. Letztlich blieb es bei Barbie nur bei dem Oscar für den besten Song von Billie Eilish und Finneas O’Connell. Ein UniWehrsEL-Leser verrät uns seine Meinung zum Film – dafür herzlichen Dank!

Liebes UniWehrsEL,

gestern habe ich den Sommerhit des Jahres 2023 im Stream gesehen: den Film Barbie. Dieser Film löst bei mir den Wow-Effekt aus. Der Wow-Effekt beschreibt beispielsweise die Fähigkeit eines E-Commerce, seine Nutzer zu überraschen und sie zu Fans des Shops oder der Marke zu machen.

In der ersten Szene des Films sehen die Zuschauer Mädchen mit Puppenbabys spielen. Dann erscheint aus dem Nichts eine riesige Barbiepuppe. Es ist wie der Urknall. Fortan können Mädchen mit Barbies spielen. Diese Puppen sind flexibel und eignen sich nicht nur für potentielle zukünftige Mütter. Eine Barbiepuppe kann alles sein, wovon ein Mädchen (warum eigentlich nicht auch Junge?) träumen kann; Astronautin, Präsidentin, Richterin, das kann beliebig fortgesetzt werden.  

Als aufmerksamer Lesender ist Ihnen bei der von mir beschriebenen Anfangsszene, Stichwort „Urknall“, sicherlich etwas aufgefallen. Stimmt!  Das Szenario mit dem Urknall erinnert stark an die Anfangsszene aus dem Film 2001 von Stanley Kubrick. Es leutet eine neue Aera ein, ein Stück Zeitgeschichte, in der Menschheitsträume wahr werden können. Eingespielt wird die Melodie „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauß zu Beginn, und genau dies passiert auch bei Barbie am Anfang des Films. Es ist ein schöner Verweis auf den Kultfilm 2001.

Irgendwie aber logisch, weil sich Barbie selbst als Kult ansieht und als Teil der Popkultur. Der Wow-Effekt stellt sich auch deshalb beim Zuschauer ein, weil er mit Barbie ein eher konservatives amerikanisches Frauenbild verknüpft. Ich denke dabei an die „Stepford Wifes“, auch ein Film, bei dem Frauen des Ortes auffällig schön und in jeder Hinsicht zu perfekt sind.  

Barbie wohnt in einem Traumhaus in der Vorstadt und ist seit über 50 Jahren mit dem gleichen Typen zusammen, aber unverheiratet. Barbie ist keine Mutter. Sie altert nie. Sie trägt sehr schöne Kleider und hat einen wunderbar proportionierten Körper. Der Körper entspricht dem Idealbild der Frau. Für gewöhnlich ist Barbie eine Weiße, die gerne rosa trägt. Sie ist blond und hat ein Lächeln auf den Lippen. Sie schaut nie streng.

Zu ihr gehört die Puppe des Ken. Ein muskelbepackter Typ. Ebenso weiß wie Barbie. In einem Statement sagt Barbie, diese Blonde ‚sie‘ sei ein Stereotyp. Es geht um Vorurteile, die in Barbie bedient werden, zwischen Wirklichkeit und Witz. Natürlich gibt es noch andere Barbies, die anders aussehen, z.B. mit schwarzen Haaren, aber im Zentrum der Geschichte und des Interesses steht die oben beschriebene ‚Musterbarbie‘.

Diese gerät, nachdem sie dem Publikum ihren Alltag in ‘Barbieworld‘ vorgeführt hat, in eine Identitätskrise. Statt sich mit den anderen Barbies zu vergnügen, kommen ihr düstere Gedanken: werde ich bald sterben? Ein für eine Barbiepuppe sehr trübsinniger Gedanke. Dann gelingt ihr nicht mehr, den perfekten Toast zuzubereiten. Sie kann auch nicht mehr schweben aus ihrem Traumhaus.

Zu guter Letzt kann sie nicht mehr auf High Heels laufen. Deshalb besucht Barbie die ‚seltsame Barbie‘. Die Besitzerin der seltsamen Barbie hat diese verunstaltet, z.B. wurden ihr die Beine gebrochen und die Haare mit Feuer verbrannt. Sie lebt geächtet von den anderen Barbies in einer seltsamen Behausung. Keinem Haus, sondern einem Bauklotzhaus (ganz nebenbei ist diese seltsame Barbie inzwischen zum Verkaufsschlager geworden).

Diese Außenseiter werden von den schönen Barbies ausschließlich in Notsituationen kontaktiert. Die weiße Barbie hat nun Angst davor, so zu werden wie die seltsame Barbie und fragt um Rat. Diese schickt die Stereotype Barbie auf eine Reise in die reale Welt. Dort soll Barbie das Mädchen finden, was unglückliche Gedanken hat, und es trösten. Soweit die Storyline der ersten 20 Minuten.

Ist der Barbie-Film nun besonders feministisch oder zumindest frauenfreundlich? Frauen in der Realität können gerne mit Puppen nachspielen wie es ist, Richterin am obersten Gericht zu sein, ob sie den Posten in der realen Welt tatsächlich einnehmen könnten, dazu schweigt sich der Film aus. Eine Frau kann sich wie an Karneval als Ärztin kostümieren, aber trotzdem ist sie dann dauerhaft keine Ärztin. In einer Traumwelt ist alles möglich, muss nicht in die Realität transponiert werden. So steht auch im luftleeren Raum, wovon sich Barbie und Ken ihr Traumhaus finanzieren, denn Alltagsstress hat in einer Traumwelt nichts verloren. Dass Barbie vielfach die Kleider wechselt ist selbstverständlich, aber wie und wovon das bezahlt werden soll, scheint sekundär zu sein.

Traumwelt – Traumprodukte – Marketing – Merchandising

So sieht der Zuschauer nach einer grandiosen Eröffnung allerlei Produktplacement der Firma Mattel, den Herstellern der Barbie. Quasi eine Dauerwerbesendung für Puppen, als Trösterinnen, Seelenverwandte, gesellschaftliche Vorbilder. Vom feministischen Ansatz bleibt übrig, dass es Frauen schwer haben und mit Widersprüchen in der Realität leben müssen. Das ist eine Erkenntnis, für die eine Mutter mit ihrer Tochter nicht eineinhalb Stunden Zeitaufwand braucht, um die Message des Films zu verstehen. Diese Message ist: „überall wo Feministin draufsteht, müssen nicht unbedingt auch feministische Ideen drinstecken“ – frei nach einem bekannten Werbeslogan.

Der Wow-Effekt bleibt bei der gelungenen Animation des Films, dem Schwelgen in bunt-schillernden Traumweltfarben. Anders als der Anfang des Films hoffen lässt, bleiben leider, zumindest in Bezug auf feministische Themen, die wirklich tiefgreifenden neuen Erkenntnisse aus. Auch der schöne, sportliche Alleskönner Ken (Ryan Gosling) reißt das nicht raus, auch wenn er im Film nur die zweite Geige spielt, also wohl die Barbie irgendwie bestimmen soll, wo es lang geht. Es wäre natürlich dabei auch die Frage, ob dies von irgendeinem Zuschauer oder Zuschauerin erwartet oder gewünscht worden ist. Dass sich die Medien auf diesen Aspekt des Feminismus stürzen würden, bleibt letztlich ein Coup der Marketingabteilung von Mattel.

Im Abspann werden die ungewöhnlichsten Barbiepuppen als echte Puppen gezeigt, wer also noch keine Barbie sein eigen nennt, wird spätestens jetzt losziehen und eine Barbie im Laden oder Online kaufen. Übrigens hat Barbie einen Oscar für die Musik. Diese erinnert an ‚Diskopop‘ der 1970er und dazu lässt sich bestimmt auch gut tanzen.

Danke für die shoppende Barbie von Victoria auf Pixabay

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:20. Juli 2024
  • Lesedauer:9 min Lesezeit