Du betrachtest gerade Einführung zu meinen Seminaren im Wintersemester 24_25 an der U3L in Frankfurt (Main) – Themen “Staunen” und “Forschung zur Lust an Extremen”

Das Sommersemester 2024 geht in die Endrunde. Mein herzlicher Dank gilt wie so oft den Studierenden, den Referierenden, den Beitrag schreibenden im UniWehrsEL, die unsere Seminare mit ergänzenden Themen so trefflich bereichert haben. Ihre Begeisterung und Ihr Engagement tragen unbedingt zum Gelingen der Veranstaltungen bei. Nachlesen können Sie das Eine oder das Andere hier im UniWehrsEl rund um unsere Thematiken bezogen auf Musik, Film, Kunst oder auch bei Überlegungen zur Kommunikation. An dieser Stelle auch besonderen Dank an Dr. Stieß-Westermann. Gerne denke ich an das Highlight des „Interdisziplinären Gesprächs“ zum Thema „Wohin mit meiner Wut“. 

Wie wird es nun im Wintersemester 24_25 mit meinen Veranstaltungen an der U3L weitergehen? Es wird wieder zwei Seminare geben. Gerne möchte ich Ihnen an dieser Stelle einige Ideen und Ausgangsüberlegungen zunächst zu meinem Mittwochsseminar geben, indem sich alles um das Staunen drehen wird.

Zunächst führt das Mittwochsseminar über das Staunen zu einer Reise zum Ursprung der Philosophie, wie es die Literaturwissenschaftlerin Nicola Gess versteht und deren Buch zur Poetik des Staunens wir im Seminar als Grundlagenliteratur lesen wollen. Bei Gess erfährt man wie das Staunen, in der Herausbildung der philosophischen Ästhetik des 18. Jahrhundert als grundlegende Emotion für die sinnliche Erkenntnis, neu interpretiert und aufgewertet wird, quasi als Brücke fungiert zwischen der aisthesis, der sinnlichen Wahrnehmung und cogitio, unserem Denkvermögen. Staunen ist demnach die Grundlage zu einer (neuen) Erkenntnis, erweitert sich nach einem Moment des Innehaltens zu Erstaunen, Verwunderung und schließlich Bewunderung oder Ablehnung. Schon Descartes machte sich Gedanken über das kurzfristige Innehalten, ein Verharren im Staunen, um es einfach zu genießen, bis hin zur Erkenntnis oder auch einem „Verstehen des Verstehens“. Staunen hat in diesem Sinne sehr viel auch mit dem Thema der “Zeitlichkeit” zu tun.

Da wäre zunächst einmal die Überlegung, was uns eigentlich ins Staunen versetzen kann. Und hier würde ich mich wirklich über Ihre Ideen und Anregungen sehr freuen!

Ist es die Kunst der Artisten, sind es die Wunder der Natur, sind es menschliche Errungenschaften, sei es in der Kunst, der Medizin oder Architektur? Die denkbaren Wunder, die uns zum Staunen anregen, sind nahezu unbegrenzt. Aber warum ist das Staunen eigentlich für unsere Gegenwartskultur von Bedeutung? Wie lässt sich Staunen erschließen? Staunen wir alle über unterschiedliche Themen? Gehört es zur Grundausstattung menschlicher Emotionen? Was hat Staunen eigentlich mit dem Wahn zu tun? Und wann ist das Staunen und unsere Überraschung so groß, dass wir einen WoW-Effekt erleben? Welchen Einfluss darauf haben moderne Medien? Diesen Fragen geht Gess in ihren Überlegungen nach, und es wird uns auch in unserem Seminar interessieren.

Die Einen staunen bei Filmen wie „Interstellar“ des Regisseurs Christopher Nolan, 2014, in dem es um eine intergalaktische Reise geht. Da sind es wohl die überraschenden Effekte der Technik, die auch schon früher zu “Aha-Rufen” Anlass gab. Schon viel früher staunte die Welt über Automaten (E.T.A. Hofmann) oder auch über die Wunder der Magie. Daseinsfragen erfordern zuweilen überraschende Antworten. Wer erinnert sich nicht an „Die Antwort ist 42“, ein Zitat aus der mehrfach verfilmten Roman- und Hörspielreihe Per Anhalter durch die Galaxis des englischen Autors Douglas Adams.

Für Gess ist das Staunen ein Analyseinstrument, zwischen Sinneseindruck und Erkenntnis, das verrät sie dem Deutschlandfunk Kultur. Ihre Fragen gelten der Meinung berühmter Kulturkritiker wie Walter Benjamin, Bertold Brecht oder auch Ernst Bloch zum Potential des Staunens. Staunen bedeutet demnach auch Irritation, die aus dem Alltagstrott reißt, politische Utopien ermöglicht. Heute, so betont Gess, geht es zu zudem um mediale Aufmerksamkeit – um ein Buhlen um den sogenannten „Wow-Effekt“.  

Staunen ist nicht nur Wellness meint Gess, sondern kann auch nachhaltige Irritationen hervorrufen. „… Dass das, was ich da lese oder wahrnehme, nicht so leicht integriert werden kann in mein vorheriges Mindset. Dass es einen tatsächlichen Bruch bedeutet mit dem zuvor Bekannten ..“. Das kann natürlich auch zuweilen unbequem und anstrengend sein.

Und was geschieht im Donnerstag-Seminar?

Im Donnerstagsseminar wird es sich um neuere Forschungen handeln, die sich mit der Thematik der neuen Lust an Extremen und der Sehnsucht nach Grenzüberschreitungen beschäftigen. In der Schnittmenge zu den Seminaren „Staunen“ und „Exzesse, Ekstase, Askese“ finden wir die Thesen des bekannten Philosophen Franz Josef Wetz. Nicht nur, dass er zu beiden uns interessierenden Thematiken die passenden gleichnamigen Fachbücher geschrieben hat, er erklärt uns die Welt auch anhand sehr anschaulicher Beispiele in einer recht humorvollen Art und Weise. So stellt er etwa die Frage: „Was hat Staunen mit Gemüse zu tun?“ Die Antwort findet er in einem Gleichnis. Stellen Sie sich vor, sie gehen in einen Laden und bitten um „Gemüse“. Alle vom Verkäufer dargebotenen Sorten wie Lauch oder Brokkoli lehnen sie entschieden ab, denn sie wollen eben „Gemüse“. Sie merken worauf er hinauswill? Es gibt so viele Sorten von Gemüse, wie es eben Anlässe zum Staunen oder auch zur Suche nach dem „Sinn des Lebens“ geben kann – je nachdem wie offen wir dafür bleiben.

Auch zum Themenbereich der „Exzesse“ hat er durchaus spannende An- und Einsichten zu bieten, die wir für uns im Alltag oder an unseren „Festtagen“ nutzen können. Zunächst steht für ihn fest, dass sich die „Nachtseite des Menschen“ nicht ausschalten lässt und der Mensch seine „dunklen Leidenschaften“ auch ausleben sollte. Allerdings brauche es „Bremsmechanismen“, um sich nicht in der Sucht zu verlieren. Visionen eines irdischen Paradieses wie sie Hieronimus Bosch schon im Bild „Der Garten der Lüste“ darstellte, seien durchaus legitim. „Schlaraffische Exzesse“ in Form ‚kulinarischer Drogen‘ oder gelegentlicher Völlerei, seien ausdrücklich gestattet, weil sie uns aus dem „Basislager des Alltags in den Himalaya der Lust entführen können, wie es Wetz trefflich formuliert. Es brauche der “Intensifikatoren“, wie Wetz sie nennt, wie Clubsetting, entgrenzende Musik und Abtanzen (gerne mit „Apero“), denn diese gewähren die notwendige „Energieabfuhrführ“, um die zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft einzudämmen– „denn wer tanzt, tötet nicht.“  

Sowohl Wetz als auch Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter, die über „Ekstasen der Gegenwart schreiben“ stellen die Frage: Soll und darf unser Staat die restriktive Drogenpolitik aufgeben? Was ja mit der Teillegalisierung von Haschisch bereits geschehen sei. Ihr Ergebnis wäre dann, dass Erziehung weniger restriktiv sein solle, denn das Schreckgespenst oder der Slogan „Keine Macht den Drogen“ alleine genüge nicht. „Drogenmündigkeit, die eine „Ich-Stärke und eine Legitimierung einer „verabsolutierte Sinnlichkeit“ bedinge, seien Ziele im Sinne einer „maßvollen Maßlosigkeit“.

Die Psychonauten

Hanske und Sarreiter wissen aus der Praxis wovon sie berichten. Als erfahrene „Psychonauten“ – wie man die Kundschafter der Psyche mit Hilfe bewusstseinserweiternder Drogen und Meditation nenne – schreiben sie gegen eine Ausformung des Zeitgeistes der industriellen Bewusstseinsindustrie an, wie man in Zeit Online nachlesen kann: „vom Zedernholz der Räucherstäbchen umweht, dehnt er sich auf hochpreisigen Yogamatten“.

Die Autoren beschäftigen sich nicht nur mit alteingesessenen Kulturpraktiken, sondern auch mit modernen Geschäftspraktiken, die dem Leben einen neuen Sinn verleihen sollen. Geworben würde dabei mit der Begeisterung für bestimmte Produkte mit psychodelischen Wirkungen oder bestimmten Tees, für die Stars wie Miley Cyrus stellvertretend Glückserlebnisse erführen. Bedenklich sehen sie dabei die gesellschaftliche Entwicklung des erneuten Eindringens der Weißen in die Natur der Ureinwohner bestimmter Naturgebiete, die. „wie Vampire aus einer hoch technologisierten Unterwelt wieder bei den Ureinwohnern auftauchen“, um das, was für diese heilig ist, das heilige Ayahuasca beispielsweise, in Form von „Shamanic tourism“ für ihr Geschäftsmodell zu nutzen. Ekstase wird zum “Tool”, als Werkzeug zur Alltagsbewältigung eingesetzt. „Kostenpunkt“, so die Autoren, „etwa für eine Traumabewältigung durch Pilzrausch im High-End-Segment: 70.000 Euro“.

Warum immer mehr Menschen eine tiefe Sehnsucht nach mystischen und spirituellen Erfahrungen in sich spüren, erklären Sarreiter und Hanske unter anderem mit dem neuen Trend nach einem Erleben immer höherer Intensität, gesteigerter Erregung, Entgrenzung durch spirituelle Transzendenz. In einer Welt, in der die Religion in den westlichen Ländern ihre Bedeutung verlöre, bedienen diese Erfahrungen Gefühle wie Verbundenheit und Einssein mit der Welt und der Natur und der Sehnsucht nach so etwas wie dem „Göttlichen“.

Was nun der Unterschied etwa zur Flower-Power-Bewegung der 60er Jahre ist oder wie die Neudefinierung des „Sinns des Lebens“ heute geschieht (Sarreiter, Hanske), erleuchten wir in unserem Seminar genauso wie die Frage, wie kann man in unserer Gesellschaft eine „gewaltorientierte Bewirtschaftung“ oder Tendenzen zur Gewaltausschreitung sozial verträglich eindämmen. (Wetz)     

 

Sie können mich auch in den Semesterferien gerne kontaktieren und Ihre Anregungen wissen lassen! Und last but not least: Herzlichen Dank wieder einmal an unseren Webmaster, Helmut Röll, der mir diese Webseite ermöglichte und noch immer ein liebevolles Auge darauf hat!

Danke für das Bild eines Mannes, der das Leben in vollen Zügen zu genießen scheint von HANSUAN FABREGAS auf Pixabay