You are currently viewing Alcinas Insel: Macht der Magie oder Magie der Macht

Über Händels wunderbare verzaubernde Opern berichteten wir schon öfter im UniWehrsEL. Als eines seiner besten Musiktheaterwerke gilt „Alcina“, eine märchenhafte Zauberoper von 1735, die gerade am Staatstheater Darmstadt zu bestaunen ist. Von der Kritik hoch gelobt, ob der herrlichen Barockarien, kann der Zuschauer und Zuhörer die gesamte Gefühlspalette von Hoffnung, Zärtlichkeit, Wut, Freude bis hin zur Sehnsucht erleben. Auch unser Kulturbotschafter des UniWehrsEL geriet da ins Schwärmen und wie immer auch ins Interpretieren, herzlichen Dank dafür!!

Liebes UniWehrsEl,

Sollte ich die Oper zusammenfassen, dann mit der Frage: Alcinas Insel, ein Matriarchat, was zerstört werden muss? Aber von Anfang an:

Sind Sie “Reif für die Insel“, wie Peter Cornelius 1981? Spaß beiseite, die Insel von der hier die Rede ist, ist zwar auch kein Märchenwald, durch den wir ja zur Zeit gemeinsam flanieren dürfen und den ich auch schon im Traumgörge aufgriff. Aber warum soll es auf der von mir heute beschriebenen Insel nicht auch in einem erweiterten Sinn einen “wilden Wald ” geben? Jedenfalls befinden sich die Zuschauer von Händels Alcina in einer märchenhaften Geschichte. Die Zauberin Alcina hat sich häuslich auf einer Insel eingerichtet. Sie herrscht über alle Wesen, die auf dieser Insel leben. Für sich hat sie ein Paradies erschaffen. Da die Frau keine Kostverächterin ist, hat sie ihre zahlreichen Liebschaften in juwelenbesetzte Wesen verwandelt. Diese müssen Alcina nun als Untertanen dienen und die Insel sauber halten. Gerade hat sich die heißhungrige Alcina einen neuen Liebhaber angelacht. Natürlich mit ihren Zauberkräften. Den Krieger Ruggiero. Er hat mittels Zauber vergessen, dass er eigentlich mit Bramante verlobt ist. Im Märchen können die Zuschauer Ruggieros Verhalten dadurch gütig verzeihen; er ist halt durch die Zauberkräfte der Alcina becirct worden.

Jedenfalls machen sich Bradamante und ihr Gefährte Melisso auf die Suche nach dem vermissten Verlobten und landen gerade auf Alcinas Insel. Bramante hat sich eine Tarnung einfallen lassen. Schließlich ist mit einer Zauberin nicht gut Kirschen essen, wenn diese erfährt, dass Bramante ihren Verlobten aus den Fängen der Zauberin wieder rausholen will. Deshalb hat sich Bramante als Mann verkleidet. Diese äußere Erscheinung begeistert Alcinas Schwester Morgana so sehr, dass sie sich flux in Ricciaro, so der Deckname von Bradamante, verliebt. Diese hat so eben ihren Liebhaber Oronte verlassen.

Oronte sucht nach seinem verschollenen Vater. Schließlich ahnt er nicht, dass Alcina den Vater in ein Schmuckstück verwandelt hat. Auf den neunen Mann und potentiellen Liebhaber von Morgana ist Oronte – wie könnte es auch anders sein – total eifersüchtig und möchte sich mit ihm einen Kampf liefern, was aber Morgana verhindert. Da er nun beleidigt von dannen ziehen muss, erfindet Oronte noch schnell für Morgana die Geschichte, der neuankommende Ricciardo sei die neue Flamme von Alcina. Das hört der Krieger Ruggierio mit an und ist seinerseits beleidigt. Alcina soll sich zu ihm bekennen. Alcina überlegt den Neuankömmling in ein Schmuckstück zu verwandeln, um Ruggierios Eifersucht zu zügeln. Die getarnte Bramante stellt sich nun in den Schutz von Morgana.

Melisso hat ebenfalls Zauberkräfte und bricht den Bann, unter dem der Krieger Ruggierio steht. Nun kann er sich wieder an Bramante erinnern und plant seine Flucht von Alcinas Insel. Das Ende lässt sich so zusammenfassen. Ruggiero und Bradamante finden wieder zu einander und verlassen die Insel. Oronte findet einen Löwen, der sich als sein verzauberter Vater herausstellt. Die zwei sind wieder vereint. Morgana verschwindet aus der Erzählung und spielt keine Rolle mehr in der Storyline. Alcina bleibt allein auf der Insel zurück.

Was lernen wir aus Alcina?

Alcina erleidet im Verlauf der Handlung einen Kontrollverlust, da Bramante und Melisso immun gegen Alcinas Verlockungen sind. Am Schluss steht Alcina einsam und allein da. Alcinas Reich basiert auf Zauberei, nicht auf Vertrauen in die Bewohner der Insel. Nur durch die Zauberei kann sie die Menschen um sich halten. Sie bleiben nicht aus freiem Willen. Die Insel auf der Alcina lebt, ist eine Festung. Eine in sich abgeschlossene Welt. Es ist eben immer etwas ganz besonderes auf einer Insel zu leben, wie wir es schon am Beispiel Sara Maitland erfahren haben. Das Bühnenbild nimmt einen Bezug auf das Paradies. Es soll einen Sehnsuchtsort darstellen, z.B. eine Felsenlandschaft. Es hat sich aber auch von einem Stufenbrunnen aus Indien und Eschers Treppenlabyrinth anregen lassen. Alcina verwandelt ihre abgelegten Liebhaber in der Inszenierung und legt sie wie Gegenstände ab. Sie verwandelt sie in Schmuckstücke. Dabei haben sich die Kostümbildner an Modedesignern wie Maison Martin Margiela und Alexander McQueen anregen lassen. Das sorgt für elgante Farben und exquisite Materialien. Die Masken des Chors und der Statisten sind juwelenbesetzt.

Händel scheint auch ein “Mann für alle Fälle”, wenn es um die großen Gefühle geht. Auch hier ging es ihm sicher auch um das Thema Liebesverrat. Dass man jemand anderes Vertrauen gewinnt und dieses Vertrauen missbraucht für eigene Pläne. Morgana vertraut dem schönen vermeintlichen Mann Ricciario. Das ist schon eine perfide Masche. Morgana ist also das Mittel, um an Ruggierio heranzukommen. Bradamante ist es egal, ob Morgana leidet, wenn sie erkennt, dass sie betrogen wurde. Sie ist in den Augen von Bradamante nur ein Objekt. Folglich verhält sich Bradamante ganz ähnlich wie Alcina. Diese verwandelt ihre Liebhaber in Objekte. Bradamante behandelt Morgana wie ein Objekt. Ist Alcina sogar humaner als Bradamante? Alcina verwandelt ihre Spielzeuge nach Gebrauch in Tiere. Sie sind ihres menschlichen Willens beraubt. Sie müssen der Alcina gehorchen. Sie sind entmenschlicht. Bradamante behandelt Morgana ebenfalls wie Alcina als ein Spielzeug um ihren Willen die Rückeroberung des Ruggierios durchzusetzen.

Anders als Alcina gewinnt Bradamante am Ende den Liebhaber zurück. Doch hat dieses Happyend nicht auch Spuren in dem Charakter von Bradamante hinterlassen? Hat sie durch das Abenteuer mit Alcina nicht gelernt wie man trickst, lügt und betrügt. Sind das die Eigenschaften, auf denen man eine vertrauensvolle Beziehung mit Ruggierio aufbauen kann? Was war eigentlich Alcinas Fehler? Vermutlich, dass Alcina glaubte, die totale Kontrolle über die Insel und ihre Bewohner zu haben, weil sie durch Zauberei Macht ausüben konnte. Alcina wurde nicht um ihrer selbst willen geliebt, sondern durch die Macht der Zauberei. Wie der Zuschauer lernt kann Zauberei mit Zauberei besiegt bzw. gebrochen werden.

Die Masken, welche der Chor trägt, können als schönes Accessoire gedeutet werden oder auch als Masken hinter denen sich Menschen tarnen, verstecken, weil sie Angst vor der Macht Alcinas haben. Masken stehen auch für Künstlichkeit. Für ein Verbergen von Gefühlen. Vielleicht ist die Inselwelt von Alcina auch einfach nicht zauberhaft, sondern erstarrt. Dann wäre Bradamante die Revolution gegen eine erstarrte Inselgesellschaft. Doch sie kommt nicht in Frieden. Bradamante zerstört die Insel und damit das Lebenswerk von Alcina. Bei Alcinas Gefühlswelt ist eine eigene Entfremdung spürbar. Sie lebt in einer selbsterschaffenen phantastischen Welt. Sie ist abgeschirmt von den Anderen.

Deshalb auch das Bühnenbild als Festung oder Treppe die ins Nichts führt. Eine solche Welt kann lange Bestand haben. Doch sobald sie mit dem “Fremden” in Berührung kommt, löst sie sich auf.  Besonders an Alcina ist außerdem, dass die Titelheldin eine mächtige Frau ist. Sie ist schön und reich. Sie wird von einer anderen Frau, in Tarnung als Mann, gestürzt. Nicht die Männer haben Alcinas Welt zerstört. Nicht der Krieger, sondern eine andere Frau. Bemerkenswert ist, dass in Alcinas Welt die Männer machtlos sind. Ruggierio kommt mit seinem Kriegerhandwerk nicht gegen Alcina an. Erst der Zauberer von außen kann den Bann brechen. Alcina nutzt sicher neben ihrer Schönheit auch ihre Anziehungskraft, um die Männer für sich zu gewinnen. Doch bedurfte es hierfür überhaupt einen Zauberspruch oder hätte sich der Krieger in Abwesenheit seiner Verlobten auf lange Sicht nicht sowieso in Alcina verliebt? Ist die Zauberei nur ein Mittel um die Untreue von Ruggierio zu rechtfertigen? Durch das Mittel der Zauberei wird Alcina unterstellt, sie wolle Ruggierio nicht nur für sich gewinnen, sondern auch gleichzeitig unterwerfen. Eine Liebe, die auf Zauberei basiert, kann also nicht von Dauer sein. Das ist die zentrale Botschaft der Oper.

Der Untergang von Alcinas Insel ist gleichzeitig auch die Vernichtung eines Paradieses. Die Insel muss zerstört werden, damit die alte Ordnung wiederhergestellt wird. In der alten Ordnung herrscht der Krieger über die Frau, nicht die Zauberin über den Mann. Der Krieger ist außerhalb der Insel der körperlich stärkere Partner. Durch die Zauberei wird dieses Ungleichgewicht zwischen dem Krieger und der Frau umgekehrt. Deshalb muss der Krieger die Insel und Alcinas Armee vernichten. Damit wieder das alte Kräfteverhältnis hergestellt wird. Der Krieger als Beschützer der Frau und nicht die Frau als Boss über den Mann.   

Die Oper Alcina bassiert auf Ariostes Orlando furioso. Der rasende Roland ist die deutsche Übersetzung des Versepos des italienischen Dichters Ludovico Ariosto. Alcina erzählt eine Episode aus dem Werk. Unverkennbar ist die Figur der Alcina angelehnt an die mächtige Zauberin Circe. Diese hat bekanntlich die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt. Der Opernstoff Alcina hat verschiedene Komponisten angeregt. Neben Händels Alcina gibt es z.B. Francesca Caccini (La liberazione di Ruggierio dall´isola d´Alcina) oder Guiseppe Gazzaniga (L´Isolda d´Alcina). 

Liebe Grüße und mit großer Freude über den einen oder anderen an mich weiter geleiteten Kommentar

Ihr UniWehrsEL-Kulturbotschafter