You are currently viewing Jack Londons „Ruf der Wildnis“ – Waldwildnis, Goldrausch, Kapitalismuskritik

Die Sehnsucht nach Natur ist vielschichtig. In modernen Kulturen ist es zum Massenphänomen geworden, seine Freizeit draußen in den Bergen, am Meer oder in den Wäldern zu verbringen. Wodurch ist diese Sehnsucht motiviert? Dieser Frage geht, mit Blick auf aktuelle Trends in der Freizeitkultur, der Naturphilosoph Thomas Kirchhoff im Sachbuch „Sehnsucht nach Natur“ anhand zahlreicher interdisziplinärer Beiträge nach. Seine Thematik griffen wir im Seminar “Alltagskultur und Natursehnsucht” auf. In unserem laufenden Seminar „Flanieren durch den Märchenwald“ erweitern und ergänzen wir einige Erkenntnisse und fokussieren besonders auf den Themenbereich „Waldwildnis“, die schon zu Zeiten des Schriftstellers Jack London als „Ort der Freiheit“ oder „Möglichkeitsraum für Authentizität“ (vgl. Kirchhoff, 2017) verstanden wurde. Dem Kulturbotschafter des UniWehrsEL fiel bei der Ankündigung dieses Themenbereichs in unserem Seminar “Flanieren durch den Märchenwald” spontan der Roman „Ruf der Wildnis“ ein, der sowohl verfilmt wurde, als auch als Theaterstück auf der Polarität zwischen Kultur und Natur gründet. Waldwildnis wird dabei als Ort der Bewährung und Reifung von „Buck“, einem 140 Pfund schweren Schäferhund-Bernhardiner- Mischling beschrieben.

Liebes UniWehrsEL,

Zum Thema “Natur bzw. Natursehnsucht” fällt mir gerade eine Inszenierung aus 2017 am Staatstheater Darmstadt ein. Das Staatstheater Darmstadt brachte die Bühnenfassung von Jack Londons Abenteuerroman “Der Ruf der Wildnis” heraus. Der Clou an der Geschichte ist, dass die Story aus Sicht des Hundes Buck erzählt wird. Bucks Abenteuer beginnt damit, dass er aus besten Verhältnissen in Kalifornien nach Alaska entführt wird. Dort muss sich Buck als Schlittenhund verdingen.

Alaska erlebt bei der Ankunft von Buck gerade die Zeit des Goldrausches. Es ist eine Parabel über den Überlebenskampf unter schrecklichen Verhältnissen. Der Zuschauer sieht dabei zu, wie Buck immer härter wird. Buck hört im tiefen Tal der Tränen eine Stimme in sich selbst. Der Ruf der Wildnis wird davon geprägt, dass sich Buck vor Augen führt, dass er ein anderes Leben hätte haben können. Als Bucks letzter Herr stirbt, wird er zu dem was er nie war – er wird ein Wolf, wird zum Raubtier und damit wieder zu einem Teil der Wildnis.

Der Regisseur Christian Weise denkt den Stoff des Abenteuerromans neu. Er überlegt sich die gesellschaftliche Perspektive. Daher hat die Regie die Natursehnsucht, die in dem Roman eine große Rolle spielt, herausgenommen. Die Suche des Hundes nach seiner Ursprünglichkeit in Art und Wesen. Dem Gefühl nach Natur wird in der Inszenierung von 2017 anders nachgespürt. Der Fokus der Regie liegt hier auf der Ausbeutung des Hundes als Schlittenhund und die Versklavung der Tiere durch ihren Herrn. Das erinnert an “Animal Farm” von George Orwell, indem die Tiere nicht länger nur Diener ihres Herren sein wollen.

Jack London hatte seinen Roman 1903 geschrieben. Es ging mit den Übertragungen von Londons Büchern ins Deutsche mühsam voran. Als erste übersetzte Lisa Hausmann, Ehefrau des Heidedichters Hermann Löns, 1907 ein Werk des Schriftstellers ins Deutsche. Erst fünf Jahre später übertrug mit Marie Laue erneut eine Frau einen weiteren Jack-London-Roman. Auf diesem Weg wurde die Story von Buck dem Hund sehr populär im deutschsprachigen Raum. Die Story wurde mehrfach verfilmt. In der Darmstädter Inszenierung standen die Hunde für die armen Arbeiter, die Klasse der “Working Poor“. Aufgezeigt werden sollte anhand von Buck dem Hund die dunkle Seite des Kapitalismus.

Deshalb liefen die Schauspieler auch nicht durchgängig wie Hunde aus, sondern verwandeln sich auch hin und wieder in Menschen und umgekehrt. Ein bisschen Natursehnsucht gab es dann doch zu sehen. Das Bühnenbild zeigte einen Eisbrocken. Dieser war aus der Disney-Verfilmung entlehnt. Dazu gab es viele Anspielungen auf andere Filme wie z.B. den „Wolf of Wall Street“. Einen Cowboystiefel tragenden Motivationstrainer der zwischen Englisch und Deutsch Floskeln absonderte, um die Hunde zu Höchstleistungen anzuspornen.

Mit dem Goldrausch lässt sich die Gier des Menschen deutlich aufzeigen. Im Zweifel entscheidet er sich nicht etwa für den Naturschutz, sondern für den Reichtum. Er ist rücksichtslos und vernachlässigt sich selbst und seinen Hund. So ergeht es Buck bei seinem Lieblingsherren John Thornton. Dieser vergisst die Versorgung seines Tiers über die Entdeckung von Gold. Sein Kopf ist nur noch mit Gold beschäftigt und nicht mehr mit seinem Gefährten, dem Hund Buck.

Im Buch wird Buck nach dem Tod von John Thornton, seinem Lieblingsmenschen, wieder ganz zum Raubtier. Buck verwildert und wird am Ende des Romans, nach einem harten Kampf mit anderen Tieren, zum Anführer eines Wolfsrudels. Anders in der Darmstädter Fassung. Hier geht Buck, der arbeitende Hund, an seinem Kampf um einen Platz im Kapitalismus zu Grunde.

Aufgrund des großen Erfolgs von Buck als Titelheld im Ruf der Wildnis schrieb Jack London weitere Wolfsromane wie z.B. “Wolfsblut” oder den “Seewolf”. Jack London verfasste einen politischen Essay, indem er von seinen harten Erfahrungen in seiner Kindheit berichtete, und dass er häufig mit den unteren Schichten der Gesellschaft zu tun hatte. Deshalb sei er offen für den Sozialismus. Seine Erfahrungen schrieb er auch in seinen Abenteuerromanen wie etwa der Ruf der Wildnis nieder. Der Abenteuerroman Ruf der Wildnis gilt als eines seiner besten Werke. Tiergeschichten und so genannte “Kanada-Geschichten” “erfreuten sich beim Leser besonderer Beliebtheit.

In dem Buch gibt es viele Naturbeschreibungen, z.B. über die Wildnis im Norden und die harten Lebensbedingungen der Menschen. Sie träumen vom Gold und einem besseren Leben mit Reichtum in einer freundlicheren Welt. Jack Londons Roman ist in sieben Kapitel aufgeteilt, wobei die ersten fünf Bucks Reise von Kalifornien bis in die Hände des unfähigen Abenteuers erzählen. Die letzten zwei berichten von der Zeit mit John Thornton und schließlich Bucks Aufnahme in das Wolfsrudel. Der Roman folgt den Regeln eines Abenteuerromans und lässt Buck immer neue Aufgaben lösen. Die Natur ist niemals nur idyllisch, sondern wird im Norden lebensfeindlich. Nach und nach wird der Schwierigkeitsgrad der Prüfungen, die sich Buck stellen muss, immer größer. Der Leser soll den Roman aus der Perspektive eines Hundes kennen lernen. Dabei soll der Hund nicht allzu menschliche Züge tragen. Das ist eine Gradwanderung. Gerade die Inszenierung am Staatstheater Darmstadt wählte den anderen Weg und hat die Menschen nicht zu ‘süßen’ Hunden in Kostümen gemacht, sondern sie bleiben Menschen mit menschlichen Sorgen und Nöten.

In dem Roman geht es auch um das wilde Wesen des Hundes, das lange in ihm schlummert. Gerade weil er bei so vielen mit Menschen lebt ist Buck domestiziert. Erst mit dem Tod seines Lieblingsmenschen wird er wieder ganz Hund. In dem Roman verarbeitet Jack London auch die Evolutionstheorie von Charles Darwin. Abseits der Zivilisation gilt für Mensch und Tier das Recht des Stärkeren, das “Gesetz von Knüppel” und “Fangzahn”. Nicht nur die körperliche Überlegenheit und Ausdauer sichert ein Überleben in der Wildnis, sondern es ist die Tatkraft, der Wille, der Einfallsreichtum und die Anpassungsfähigkeit die Buck diese Reise überleben lässt. Wer diese Eigenschaften nicht besitzt, so die Botschaft von Jack London, wird scheitern. Verlierer in diesem Überlebenskampf ist, wer nicht oder wenig lernfähig ist.

Amerika erlebte in seiner Geschichte drei große Goldräusche. Diese wurden erst durch die Erschließung der Eisenbahn und des Telegrafennetzes ermöglicht. Der in dem Buch beschriebene Goldrausch von 1897 in Alaska, am Klondike und am Yukon River, war der dritte Goldrausch. Dieser folgte nach Kalifornien und Colorado. Die Nachricht sorgte dafür, dass sich viele Abenteurer, Gangster und Verzweifelte auf den Weg nach Alaska begaben, um dort reich zu werden.

Mit freundlichen Grüßen und dem Wunsch, Ihnen viele Anregungen gegeben zu haben,

Ihr Kulturbotschafter des UniWehrsEL

Danke für das Naturbild Alaskas von Kai Vogel auf Pixabay!