Der Bericht des Hundes Snoop in „Anatomie eines Falls“ hat einen UniWehrsEL-Leser dazu angeregt, einmal über bestimmte Charaktereigenschaften von Tieren nachzudenken. Über die Hunde ist er sozusagen auf „das Schwein gekommen“ und auch Schafe und Hühner sind dabei nicht ganz so gut weggekommen. Grundlage dieser Überlegungen war „Farm der Tiere“ von George Orwell.
„Auf das Schwein gekommen“
Liebes UniWehrsEL,
Höre ich den Namen George Orwell denke ich zunächst an seinen Roman 1984. „BIG BROTHER IS WATCHING YOU“ ist längst zur Metapher für totalitäre Verhältnisse geworden. Aber es gibt noch ein zweites Werk, welches mir iim Gymnasium begegnet ist: „Animal Farm“ oder zu deutsch die „Farm der Tiere“. An dieses Werk habe ich lange Zeit keinen Gedanken mehr verschwendet. Es liegt in meiner Schulzeit weit zurück. Als Klasse haben wir nicht das Buch gelesen, sondern den dazugehörigen Zeichentrickfilm angesehen. Ein liebevoller Film, an den ich gerne denke.
Warum komme ich nun auf Animal Farm zurück? Die Staatsoper Wien hat die Farm der Tiere als Oper auf die Bühne gebracht und am 02.03. diese als Livestream gezeigt.
Die Story ist im Zeichentrickfilm wie ein Märchen. Inhaltlich geht es um Tiere einer Farm, die ich von ihrem betrunkenen, ungerechten Herren lösen. Der Herr ist ein Mensch. Nach ihrer Befreiung geben sich die Farmtiere selbstverfasste Regeln. Die Wichtigste lautet: Alle Tiere sind gleich! Doch selbstgewählten Regeln werden alle nach und nach gebrochen.
Schauen wir uns die Tiere einmal der Reihe nach genauer an:
Die Schweine bestechen durch Intelligenz, auf der Farm kann jedes von ihnen lesen und schreiben, gehört also im übertragenen Sinne dem Bildungsbürgertum an. Nach Vertreibung des Menschen, Mr. Jones, übernehmen die Schweine das Kommando auf der Farm der Tiere.
Die anfänglich noch drei Hunde namens Glockenblume, Jessie und Zwickzwack haben Tendenz dazu, sich instrumentalisieren zu lassen. Ihnen ist wichtig, die Herrschaftsregeln der Schweine, die sogenannten „Sieben Gebote“, zu befolgen. Die von ihren Hundemüttern getrennten Welpen erweisen sich später ihrem schweinischen Herrn „Napoleon“ gegenüber als absolut loyal. Treue scheint wohl, genau wie bei oben erwähntem „Snoop“, ein absolutes Charaktermerkmal des Hundes. Trotzdem bleiben sie anderen gegenüber durchaus Respekt einflößend.
Auf der Farm der Tiere gelten die Schafe als ungebildet, weil sie weder lesen noch schreiben können und noch weniger die „Sieben Gebote“ auswendig nachsprechen können. Sie blöken ständig den einprägsamen Einzeiler vor sich hin: „Vierbeiner gut, Zweibeiner schlecht“. Das ist auch der Slogan der Hühner, die sich auch eher als Mitläufer, denn Führungspersonen erweisen.
Den Führungskampf um die neue Ordnung gewinnt ein Schwein namens Napoleon (übigens ist es in Frankreich verboten, sein Schwein so zu nennen). Er will, dass alle Produktionsgüter in die Verteidigung gesteckt werden. Napoleons Gegner Snowball will stattdessen die Farm modernisieren. Er möchte eine Windmühle bauen.
Napoleon macht seinem Namen alle Ehre. Er ermordet seinen Rivalen und schafft die selbstgesetzten Regeln – Tiere schlafen nicht in Betten, Tiere treiben keinen Handel, Tiere töten keine anderen Tiere – im Laufe des Stücks ab. Aus der Regel „Alle Tiere sind gleich“ wird am Ende, „aber manche sind gleicher“. Am Ende gibt es nur ein Happyend für die Gruppe um Napoleon.
Die Revolutionäre der ersten Stunde sind nach und nach verstorben. Die Revolution frisst ihre Kinder. Die böse Pointe des Stücks ist, gegen die Menschen kämpfenden, um Gleichheit und Gerechtigkeit bemühten Tiere, werden allmählich selbst zu brutalen Typen. So steht das Schwein Napoleon für einen Herrschertypus wie Stalin, der keinen Widerspruch duldet.
Die Oper ist ein Auftragswerk der Staatsoper Wien. Der Regisseur Michieletto verlegt die Handlung von einer Farm in ein Schlachthaus. Zwar tragen die Sänger am Anfang des Stücks Tiermasken, doch diese fallen nach und nach. So kommen Menschen zum Vorschein. Die Inszenierung überzeugt, weil sie keine plumpen Aktualisierungen vornimmt, sondern in der Welt der Tiere Orwells bleibt. Das Stück ist gerade deshalb aktuell, weil es die gegenwärtigen Ängste, Befürchtungen, Bedrohungen andeutet. So kann jeder Zuschauer sich ein eigenes Bild machen.
Der Komponist der Oper ist der Exil-Russe Alexander Raskatov. Er setzt ein spannendes Instrumentarium für die Oper ein, z.B. Cowbells, Konzertpercussion-Musikinstrumente, Flöten, E-Gitarren.
Orwell schrieb Animal Farm als Satire auf die Illusion des Westens, mit der Sowjetunion entstünde ein sozialistisches Wunderreich im Osten. Es war untypisch, dass ein linker Autor wie Orwell gegen die unkritische Bewunderung der Sowjetunion anschrieb. In der DDR war schon der Besitz des Buches verboten.
Frage an die UniWehrsEL-Leser: Würden Sie „Farm der Tiere“ eher als Märchen einordnen oder als Fabel? Dazu gibt es eine interessante Schulausgabe mit der Erklärung: „Die Botschaft von George Orwells eindrucksvollem Roman „Farm der Tiere“ ist zeitlos: Macht korrumpiert und jede Revolution kann eine neue Diktatur hervorbringen. Für diese Schulausgabe hat Manfred Mai den Text übersetzt und bearbeitet. So finden auch schwächere Leser ab Klasse 7 einen Zugang zu der berühmten Fabel.“
Danke für den (inneren) „Schweinehund“ auf Pixabay, den es ja zuweilen zu überwinden gilt, gerade auch beim Beitrag schreiben Ihrerseits! Toll, dass es Ihnen so oft gelingt, und wir deshalb so ein „weites Feld“ bei näherer Betrachtung erschließen können!