Kennen Sie das Märchen von einem verspotteten jungen Mädchen, das in der Asche leben muss? Richtig: Aschenbrödel oder auch Aschenputtel wird sie lieblos genannt. Aber bekanntlich bekommt sie s schließlich doch ihren Prinzen. Wer Opern mag, der kommt nicht um diesen wunderbareren Opernstoff um Liebe, Verrat und Happy End, herum. Aber was ist das? In der Rossinis Oper “La Cenerentola” geht es weder um Magie noch um verlorenen Pantoffel. Kann das denn überhaupt dann erfolgreich werden? Unser Kulturbotschafter des UniWehrsEL macht sich so seine Gedanken.
Liebes UniWehrsEL,
große Ereignisse werfen bekanntlich ihre Schatten voraus. In der nächsten Spielzeit zeigt das Staatstheater Darmstadt endlich „La Cenerentola“ von Rossini. Bereits im März präsentierte der „Musikalische Nachmittag“ – wir berichteten über diese Veranstaltung im Beitrag “Tiere sind auch nur Menschen” – durch die Chorleiterin des Staatstheaters und Chormitgliedern einen Ausschnitt aus der wohl ‚italienischsten‘ aller Opern: Cenerentola oder zu Deutsch: Aschenputtel. Ein Opernmärchen ohne Magie und Pantoffel schien zuerst zum Scheitern verurteilt. Wie schreibt BR-Klassik so trefflich darüber: “Rom, 25. Januar 1817. Gioacchino Rossinis Oper “La Cenerentola” wird uraufgeführt. Alle Ausführenden sind nervös, ihre Herzen schlagen, als wollten sie die Brust sprengen – und tatsächlich, das Schlimmste tritt ein. Die “Cenerentola” wird gleich an diesem Abend, bei ihrer Uraufführung ausgepfiffen. Und wie. Fast nichts gefällt.”
Zu dieser Oper habe ich eine ganz besondere Beziehung. Meine erste selbst gekaufte Opern-CD war in 1996 Cenerentola mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle. Auf dem Plakat sah man Cecilia Bartoli mit weißer Haube und Besen in den Händen. Damals hing ein lebensgroßes Plakat von Cecilia Bartoli im CD-Laden in der Innenstadt von Darmstadt. Einfach unübersehbar. Die CD basierte auf einer Aufführung vom „Theatro alla Scala“ in Mailand. Es bezeichnet sich selbst als das beste Opernhaus der Welt. Die Einspielung mit Cecilia Bartoli gilt als eine der besten Einspielungen von Rossinis Opern. Bartoli ist eine der besten „Angelinas“ (Name der Titelpartie) aller Zeiten. Umso glücklicher war ich, als Cecilia Bartoli 1998 am Opernhaus Zürich diese Rolle sang. Diesmal ohne Besen, aber als Schachfigur auf einem lebenden Schachbrett. Es ist mir einfach unvergesslich.
Viele Jahre später in 2004 kam die märchenhafte Inszenierung von Keith Warner an der Oper Frankfurt heraus. Diese war beim Publikum sehr beliebt und wurde in wechselnden Besetzungen bis Oktober 2022 gespielt. Cenerentola gilt als eines der beliebtesten Märchen der Welt. Der Inhalt der Oper basiert auf dem Märchen Cendrillon (Aschenputtel) aus der Sammlung Charles Perraults, woraus jedoch alle Elemente von Phantastik und Magie entfernt wurden. Die böse Stiefmutter, die in anderen Fassungen des Märchens bereits durch einen Stiefvater ersetzt wurde, ist hier ein verarmter Adliger. Die Rolle der Fee übernimmt der Lehrmeister des Prinzen, Alidoro. Der vom Prinzen zu suchende Pantoffel wurde durch einen Armreifen ersetzt. Hinter dem Titel Cenerentola verbirgt sich hier die äußere, aschebeschmutzte Erscheinung eines, von allen übersehenen, Mädchens. Es wird von dem bösen Schwiegervater und deren Töchtern schikaniert. In der Inszenierung von Keith Warner spürte der Regisseur dem Wesen, dem Inneren einer jungen Frau nach, die sich trotz aller Widrigkeiten auf die Suche nach der Frage „Wer bin ich?“ begibt und im Verlauf von (immerhin drei Stunden!) eine passende Antwort findet. Die Vertonung durch den Komponisten Rossini in 1817 am römischen „Theatro della Vale“ war ein großer Publikumserfolg.
In 2012 wurde die Neuverfilmung von Cenerentola gedreht und kam in die Kinos im August 2014 mit der ukrainischen Sopranistin Lena Belkina und Edgardo Rocha als Prinz. Gedreht wurde in Ballsälen, Parks und finsteren Gemäuern in der Stadt Turin. Der Film wird zum Gesellschaftsspiel mit karnevalartiger Lust an Rollenwechseln. Zu beobachten sind „Rauschzustände“ aller Art. Die Inszenierung als Live-Opern-Event soll noch bunter und aufregender für den Zuschauer sein, als ein Besuch im Opernhaus. Lena Belkina trat als Carmen und Händels Alcina später am Staatstheater Wiesbaden auf.
In 2017 habe ich Cenerentola am Nationaltheater Mannheim gesehen. Mittlerweile ist das Opernhaus geschlossen und eine provisorische Bühne eingerichtet. Am Anfang dieser Inszenierung von Cordula Däuper wurde ein großes Märchenbuch auf der Bühne aufgeblättert. Es war eine witzige Inszenierung mit comedyhaften Szenen. Gerade für ein junges Publikum war diese Aufführung sehr erfrischend. Am Anfang poliert Angelica in dieser Inszenierung die Kronleuchter. Es hat schon Anklänge an Disneys Märchen wie z.B. die Schöne und das Biest aus 1991. Das Schloss des bösen Stiefvaters ist schon reichlich baufällig und in die Jahre gekommen. Der Stiefvater träumt vom Goldesel. Herrliche Kostüme, Angelica in „Fetzen“, ein dunkler Reifrock mit Rüschen und Arbeitsschürze. Die Schwester Clorina mit rosa Reifrock und Hasenschleife auf dem Kopf. Später erscheint Cenerentola im Festsaal des Prinzen in einer rosa Traumrobe mit Rüschen. Hat sie das Kleid der Schwester gestohlen? Ein Mini-Pferd in Blau mit Kutsche ist ein Gag der Regie. Der Prinz hebt mit Pferd und Kutsche in die Lüfte. Den Schuh fest in der Hand. Die Stieffamilie trägt bei der Krönung der Cenerentola schwarzen Trauerflor und ist ganz unterwürfig.
In Cenerentola geht es um Frauenbilder. Angelina steht für die Tugend. Sie bringt das (neudeutsch) richtige „Mindset“ mit. Nur eine Frau mit tugendhaftem Verhalten ist ein Aufstieg in höhere Kreise möglich. Die zwei Schwestern müssen scheitern. Denn sie verhalten sich falsch. Sie sind stolz, herrisch und selbstverliebt. Das Gegenteil von einer tugendhaften Frau. Cenerentola ist nicht nur ein Märchen, sondern eine Anleitung für Frauen. Sie sollen sich richtig benehmen. Richtig verhalten. Dann geht der Aufstieg. Unter dem Stichwort “Cinderella-Komplex” hat Colette Dowling schon 1990 beschrieben, wie sich die Frau richtig zu verhalten hat, damit der Prinz sie irgendwann ‘abholt’.
Frauen können nur aufsteigen, wenn sie sich den Anschein der Tugend geben. Die Tugend bestimmen jedoch nicht die Frauen selbst, sondern eine von Männern dominierte Gesellschaft. Wenn also der Berater des Prinzen, der hier die Rolle der guten Fee ersetzt, sein ‚Okay‘ zur Verbindung gibt, wird der Prinz aktiv. Er bildet sich keine eigene Meinung, sondern hört auf seinen Berater. Der Prinz muss also im Gegensatz zu Angelina keine Eigenschaften mitbringen. Außer dass er der Prinz ist und seine Wahl trifft.
Der Prinz tauscht bei Rossinis Cenerentola seine Rolle als Prinz gegen die Position des Kammerdieners ein. Letztlich bleibt der Prinz aber trotz anderer Kleidung stets der Prinz. Seine royale Haltung sieht der Zuschauer unentwegt. Der Kammerdiener darf nun den eitlen Prinzen spielen. Aber er hat schließlich kein Benehmen, sodass er jederzeit vom Publikum als „unroyal“ erkannt wird.
Cenerentola vermittelt also ein klassisches Rollenbild von Männern und Frauen. Es verfestigt auch die Stände. Der Diener kann nicht Herr sein. Der Herr aber auch nicht Diener. Daher kann man schon einmal hinterfragen, ob die in Cenerentola vermittelten Bilder für unsere heutige Zeit noch passen. Wird in dieser Geschichte nicht der Herrschaftsanspruch von royalen Männern festgeschrieben? Ein Aufstieg ist abseits der ‚Blaublüter‘ für niemanden möglich. Cenerentola kann nur auf die Güte des Prinzen hoffen. Eigene Entscheidungen sind nicht vorgesehen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Beliebtheit der Figur Aschenputtel und dem Cinderella-Komplex?
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