Du betrachtest gerade „Das schlaue Füchslein“ – ein „Tschechischer Sommernachtstraum“

Auf dem Spielplan der Deutschen Oper in Berlin steht einmal mehr das heiter-melancholische Werk um eine schlaue Füchsin. Das Werk, führe, so kann man dort nachlesen, nicht umsonst den Beinamen „Tschechischer Sommernachtstraum“, weil hier Figuren der Tier- und der Menschenwelt zu einer Allegorie über den Kreislauf von Leben und Tod verknüpft seien. Katharina Thalbachs detailverliebte Inszenierung unterstütze dabei den zauberhaften Charakter dieses Werkes. In unserem Seminar „Flanieren durch den Märchenwald“ stellt uns Herr Trebitz, dessen Beiträge im UniWehrsEL ich sehr schätze wie beim “Storytelling”, dieses zauberhafte Werk vor. Dafür herzlichen Dank!

Das schlaue Füchslein – ein Beitrag von Winfried Trebitz

ist eine Oper von Leoš Janáček, die er 1923 vollendete und die ím November 1924 in Brünn uraufgeführt wurde. Entstanden ist diese parabelartige Oper wirklich alltäglich: Und zwar gibt Leoš Janáceks Haushälterin den Ausschlag. Die ist ganz hingerissen von einer ganz bestimmten Fortsetzungsgeschichte, eigentlich ein richtiger Comic in einer Brünner Zeitung. Vor allem die Zeichnungen begeistern sie. Diese illustrieren die Abenteuer einer Füchsin. Die Haushälterin liebt die Texte, die Bildunterschriften voller Humor, witzig, geistreich. Da verhalten sich Tiere wie Menschen! Und Menschen wie die Tiere. Eines Tages muss sie so laut lachen, dass Leoš Janáček seine Komponiererei unterbricht, um sie nach dem Grund des Lachanfalls zu fragen. Also zeigt die Haushälterin ihrem Arbeitgeber den Comicstrip, von dem sie nicht genug bekommt. Er habe doch auch ein Faible für Tiere, genauso wie für die Natur? Vielleicht wolle er ja eine Oper daraus machen, meinte sie.

Und ob er das will. Er brütet eine Partitur aus, die er im Nachhinein für seine beste hielt. Die Oper ist nicht allzu lang, je nach Inszenierung ca. eineinhalb bis knapp zwei Stunden, neun Bilder, fünf davon spielen im Wald. Unterteilt ist sie in ein Tableau einzelner Episoden, die durch orchestrale Zwischenspiele miteinander verbunden sind. Es geht darin unter anderem um Gefangenschaft, Liebesheirat und Tod. Das sind die Stationen im Leben eines Tieres – und auch die im Leben eines Menschen.

Die Fabel (Beispiel für eine weitere Fabel ist “Animal Farm“) in Grundzügen:

Ein Förster fängt das junge Füchslein Schlaukopf. Und nimmt es mit nach Hause. Das Füchslein wächst heran wird zu einer ausgewachsenen Füchsin. Des Försters Dackel will sich ihr unangemessen nähern und seine Söhne finden Gefallen daran, die kleine Füchsin zu quälen. Sie wehrt sich, sie beißt die Kerle. Des Försters Frau ist davon nicht begeistert. Sie setzt durch, dass die Füchsin nur noch angeleint über den Hof geführt werden darf. Die Füchsin sieht sich natürlich ihrer Freiheit beraubt und sehnt sich wieder in den Wald zurück. Nachdem sie auf dem Hof Hahn und Hennen getötet hat, kann sie sich befreien und in den Wald fliehen.

Im Wald wird sie von den anderen Tieren freudig begrüßt. Da sie keine Wohnung mehr hat, vertreibt sie erst mal einen alten, grauen Dachs aus seinem Bau und zieht dort ein. Bald darauf lernt sie einen wunderschönen, stattlichen Fuchs kennen. Das ist Liebe auf den ersten Blick. Sie heiraten. Alle Tiere des Waldes nahmen an der Hochzeit teil. Sie leben glücklich miteinander und bekommen viele Kinder. Als sie jedoch den Wilderer und Geflügelhändler Háraschta überlisten will, muss sie dafür mit dem Leben bezahlen.

Es gibt eine weitere Person, die Terynka. Sie taucht zwar nie in der Oper auf. Verdreht aber allen Männern den Kopf. Dem Förster, dem Lehrer und auch der Pfarrer kämpft übermenschlich gegen seine unkeuschen Gefühle für Terynka an.

Als dann der Förster sieht, dass Háraschta seine zukünftige Frau, eben diese Terynka mit einem neuen Fuchspelz geschmückt hat, realisiert er in seiner Traurigkeit, dass eine neue Epoche begonnen hat. Auf dem Weg nach Hause beobachtet er ein kleines Füchslein, das seiner Mutter, dem Schlaukopf, wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Das versöhnt den Förster mit der Welt. Er erkennt, dass Tiere und Menschen sterben, unberührt davon bringt die Natur immer wieder neues Leben hervor.

Der Wald spielt eine zentrale Rolle in Leoš Janáčeks Oper “Das schlaue Füchslein”. Die Natur, insbesondere der Wald, dient als Kulisse für die Handlung und trägt wesentlich zur Atmosphäre und Thematik des Stücks bei. In der Oper wird der Wald als ein Ort der Ruhe, der Freiheit, der Geheimnisse und der Veränderung dargestellt. Die verschiedenen Charaktere interagieren mit dem Wald auf vielfältige Weise und finden darin sowohl Trost als auch immer wieder neue Herausforderungen.

Durch die Darstellung der Natur als lebendige und transformative Kraft unterstreicht die Oper die Bedeutung des Waldes in Bezug auf menschliche Erfahrungen und Emotionen. Der Wald oder auch „die Natur“, steht im Kontrast zur Zivilisation und symbolisiert eine Welt, die im Einklang mit den natürlichen Abläufen existiert. Der Wald wird auch als Ort der Verwandlung dargestellt, denn die Charaktere entwickeln sich im Laufe der Handlung immer weiter und gewinnen immer wieder neue Einsichten. Darüber hinaus wird der Wald als Ort der Geheimnisse und der Magie präsentiert, und gibt damit der Oper eine märchenhafte Atmosphäre.

Die Musik von Leoš Janáček interpretiert den Wald, indem sie natürliche Klänge und Motive einbezieht, die die Stimmung und die Charakteristik des Waldes einfangen. Und das dank Leoš Janáčeks eigener Kompositionstechnik. Er ist ein perfekter Beobachter und Zuhörer, er wird zum Stenographen seiner Umgebung.

Er persönlich schwärmt von der Technik des Protokollierens:

„Lauter Noten, lauter Melodiefetzen von erlauschten Tonfällen und Gesprächen. Da wird so mancher staunen, dass ich ihn wahrgenommen habe!“

Diese Fragmente gelebten Lebens werden nicht nur gesungen, sondern finden sich in den langen Instumentalstrecken wieder. Die verschiedenen Instrumentationen und musikalischen Texturen spiegeln die Vielfalt und Schönheit der Natur wider und verstärken somit die emotionale Tiefe der Handlung. Leoš Janáček war immer schon davon überzeugt, dass es eine metaphysische Verbindung „zwischen Mensch und Tier“ gibt. Was dem einen geschieht, geschieht auch dem anderen. Ein Daseinskampf hier wie dort, „Fressen und Gefressen werden“.

In dieser Oper interagieren Tiere und Menschen – und alle in ähnlicher Weise. Das ist etwas Besonderes in der Geschichte des Musiktheaters: Wo sonst kommt das Personal eines Bühnenwerkes so animalisch und zugleich so human daher? Auf den melodischen und rhythmischen Duktus, der unter Menschen beim Sprechen im Alltag zustande kommt, hat Leoš Janáček schon immer geachtet, um sich für seine Kompositionen anregen zu lassen. Aus dem umgangssprachlichen Tonfall formt er seine musikalischen Motive. Für “Das schlaue Füchslein” verwertet er zusätzlich eigenhändige Notizen von Tierstimmen und Tierlauten aus der Natur. Er ist eben ein Künstler, der gewohnheitsmäßig mit Bleistift und Papier spazieren geht und daheim am Schreibtisch verwertet, was es draußen zu hören gibt. So entsteht eine Art „Freiluft-Musik“.

Hinzu kommt die Lebenserfahrung eines Siebzigjährigen. Wehmut auch. Kaum ein Instrument tritt hier mehrfach so dominant hervor wie das Englischhorn: berühmt für die Melancholie, die es klangfarblich verströmt. Die 37 Jahre jüngere Brieffreundin, die er so sehr mag, (Terynka?!) macht Leoš Janáček sein fortgeschrittenes Alter bewusst. Und so träumt er, der Verheiratete, von einer unmöglichen gemeinsamen Zukunft mit der Verheirateten. Die Hochzeitsszene zwischen Füchsin und Fuchs am Ende des mittleren Aktes deutet es an. Autobiografische Züge trägt außerdem die Gestalt des Försters, nicht zufällig ein ganz weicher Bariton. Sein großer Monolog am Schluss der Oper schließt Frieden mit dem ewigen Eros. Er singt vom Werden und Vergehen, von ständiger Regeneration, dem Kreislauf der Natur.

Und ganz nebenbei schreibt Leoš Janáček diesmal eine der beiläufigsten Sterbeszenen überhaupt. Die Füchsin wird kurzerhand erschossen, von einer Sekunde auf die nächste. Ohne sentimental Abschied zu nehmen oder in einer langen Arie auf die Tränendrüse des Publikums zu drücken. Leoš Janáček komponierte die Mutter Natur. Er machte sich ihre Perspektive zu eigen, geht unbeeindruckt über den Tod des Tieres hinweg. Dass er das fertigbringt, ist vielleicht mit dem Zeitgeist zu erklären.

Als auf Versöhnung und Harmonie bedachter Musiker lässt er es sich nicht nehmen, dass das Orchester am Ende eine wahre Hymne anstimmt. Einen Lobgesang auf das Leben, mit allem, was dazu gehört.

Dazu ein Auszug aus dem Programmheft der Oper Frankfurt vom 23. Juni 2023:

“Das schlaue Füchslein” Leoš Janáček, Winfried Trebitz, U3L, SS 2024

Quellen: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Leo š Janácek&oldid=241630634

https://operavision.eu/de/performance/das-schlaue-fuechslein

buehne-magazin.com

Kritik – Barrie Kosky inszeniert “Das schlaue Füchslein” in München „Genug Lametta“ |

News und Kritik | BR-KLASSIK | Bayerischer Rundfunk

Spielplan – Deutsche Oper Berlin – Bilder: ©2012 Bettina Stöß

Programmheft – Oper Frankfurt, 07. Juni 2023

Wie verloren, so geboren | ZEIT ONLINE von 1. Juli 2004

Anmerkungen:

Übrigens: Der Sommernachtstraum von der Dramatischen Bühne im Grüneburgpark in diesem Sommer gespielt, wird bestimmt ein Erlebnis!

Und in Ergänzung des obigen Zitats schreibt uns ein UniWehrsEL-Leser, recherchiere man ein wenig, würde schnell klar, dass das Zitat nicht von Janáček stamme, sondern einem Brief von Gustave Flaubert an seine Geliebte Louise Colet vom 14. August 1853 entnommen sei. Flaubert stelle Überlegungen zur Kunst an. Zum Nachlesen auch die von ihm angegebene Quelle:

Flaubert bei Julie Wassermann

Danke an das Bild des Füchsleins von Sunny Dave auf Pixabay!