Die Geisha Cio-Cio-San, genannt Madame Butterfly, verliebt sich in Leutnant Pinkerton. Er will sie nach japanischer Sitte heiraten, aber ohne dauerhafte Verbindung. Butterfly bekommt ein Kind von ihm und wartet auf die Rückkehr des Lieutenants. Pinkerton kommt mit seiner neuen amerikanischen Ehefrau zurück, um das Kind abzuholen. Da erdolcht sich Butterfly. Im Meininger Staatstheater inszenieren Hendrik Müller und sein Ausstattungsteam Puccinis Tragödie „Madama Butterfly“ mit ironischer Übertreibung, klarer USA-Kritik und einer trostlosen Bühne als „Lost Place“. Über die Inszenierung schreibt der Kulturbotschafter des UniWehrsEL.
Liebes UniWehrsEL,
am 26.05. habe ich die Vorstellung Madame Butterfly am Theater Meiningen besucht. Die Oper basiert auf dem Schauspiel „Madame Butterfly A Tragedy of Japan“ (1900) von David Belasco. Komponist der Oper ist Giacomo Puccini. Die Inszenierung in Meiningen ist von Hendrik Müller. In 2017 hat Müller für die Oper Frankfurt „Rigoletto“ inszeniert. Ab der Spielzeit 2024/25 wird Hendrik Müller Operndirektor am Schleswig-Holsteinischen Landestheater.
Aus heutiger Sicht auf die Oper Madame Butterfly ist diese nicht historisch korrekt oder realistisch gezeichnet, sondern hat Klischees beschrieben. Puccini hat weder Amerika noch Japan bereist. Die Oper basiert also nicht auf eigenen Erlebnissen der japanischen oder amerikanischen Gesellschaft. Es sind Reiseberichte und das Schauspiel von Belasco, auf dem die Oper ihr Setting entwickelt.
Es wird also ein Japan-Märchen von Puccini erzählt. Japan bot dem Komponisten einen Stoff auf die Bühne zu bringen, der exotisch war und mit dem das europäische Publikum im Alltag nicht in Berührung kommt. Der ‚Japonismus‘ war gerade in der europäischen Kunst angesagt. Künstler besuchten bei der Entstehung der Oper Ausstellungen, in denen japanische Holzschnitte gezeigt wurden und ließen sich von diesen Werken zu eigene Kunstwerken anregen. Diese Art der Anregung wird im Moment kritisch beleuchtet, unter dem Stichwort „Cultural Appropriation“ zu deutsch kulturelle Aneignung von zumeist Europäern an anderen Kulturen.
Daher hat die Inszenierung von Hendrik Müller kein Bühnenbild mit einem Japan von 1900 gewählt, sondern ein farbenfrohes Bühnenbild und Kostüme aus der Comic- und „Animewelt“. Hierbei werden die Figuren plakativ wie aus zwei Welten USA und Japan gegenübergestellt. Auf der einen Seite der Barbie Ken – Lebensgefährte der Spielzeugpuppe Barbie; als Vertreter der USA und männliche Hauptfigur brilliert „Pinkerton“, auf der Gegenseite agiert „Cio Cio San“ genannt Butterfly, als japanische Animefigur.
Die Bühne ist ein sogenannter „Lost Place“ zu Deutsch „verlorener Ort“, der von der Natur zurückerobert wird, weil er vom Menschen verlassen worden ist bzw. sich sein Erhalt nicht lohnt. Lost Places sind verlassen Städte oder Industrieanlagen, die mehr und mehr verfallen, weil sich niemand um sie kümmert. In Japan (und genauso in Deutschland wie wir im “Projektlabor Überlebenskunst” recherchierten), sind solche Orte heute Touristenattraktionen oder auch Geheimtipp unter “Urbexern”. Die japanischen Touristen glauben dann, das ursprüngliche Japan zu entdecken und verklären den Verfall zur ursprünglichen Natur. Ein Ziel der Inszenierung ist, auf diese Widersprüche aufmerksam zu machen.
Die Meininger „Madame Butterfly“ mutet wie ein schillerndes Traummärchen an. Sie lebt an einem Ort der langsam verschwindet. Ein Ort des Übergangs. Wir kennen dies beispielsweise von unserem Seminar “Willkommen und Abschied“. Das passt gut zur Figur der Madame Butterfly, denn während des zweiten Aktes hindurch wartet sie auf die Rückkehr von Pinkerton.
Insgesamt sind bereits drei Jahre zwischen erstem Akt mit ‘Fake-Hochzeit’ und dem zweiten Akt – alleine in der japanischen Villa – vergangen. Nicht nur der Ort scheint von seinem Eigentümer vergessen worden zu sein, auch die Person Madame Butterfly. Das erinnert fast an das europäische Märchen „Dornröschen“, wo die Titelheldin für 100 Jahre in Tiefschlaf fällt. Auch Madame Butterfly wird unsanft aus ihrem Dornröschenschlaf aufgeweckt.
In der Romanvorlage wird das Mädchen Butterfly von ihrer Familie verstoßen, nachdem sich der Vater, ein Samurai, umgebracht hat. In der Vorlage verkauft die, in der Oper nicht erwähnte, Großmutter Madame Butterfly an ein Teehaus zur Prostitution. Dieser verschwiegene Hintergrund erklärt das Verhalten von Butterfly besser, warum sie am Ende des Stücks den Selbstmord wählt. Familiäres Glück und die große Liebe existieren nur in der Phantasie der Figur Butterfly. Selbst der Name „Butterfly“ ist nicht selbst gewählt, sondern eine Erfindung durch Pinkerton, weil er sich diesen Phantasienamen besser merken kann, als ihren tatsächlichen Namen.
In der Oper wird sie im ersten Akt ein zweites Mal von der Familie und der Gesellschaft verstoßen, nachdem sie den japanischen Glauben ablegt und sich selbst zur Amerikanerin ernennt. Als Amerikanerin gelten für sie in ihrer Phantasie nicht mehr die japanischen Regeln, sondern selbst gewählte eigene Regeln, die mit der neuen Rolle als Amerikanerin begründet werden.
In der Eröffnungsszene betritt Pinkerton die Bühne, wie ein amerikanischer Astronaut bei der Mondlandung in den 1960er Jahren. Mit der Fahne markiert er sein Territorium wie ein Eroberer. Dies spielt darauf an, dass die Europäer die Japaner zur Öffnung ihres Landes mit Waffengewalt gezwungen haben. Vor der Eröffnung war Japan 250 Jahre abgeschottet von anderen Kulturen und Einflüssen. Pinkerton ist ein Eroberer und dringt in diese für ihn neue Welt ein. Aus heutiger Sicht tut er dies, mit dem Blick auf Japan als unterlegene Kultur. Er fühlt sich den Japanern überlegen. Die Hochzeit mit Butterfly ist für Pinkerton ein Spiel oder Spaß.
Zwar zwingt er Madame Butterfly nicht zur Prostitution, sondern verklärt seine Handlungen zur großen Liebe, trotzdem ähnelt sein Verhalten sehr einem “Freier”, der sich eine Frau zum Vergnügen aussucht. Nur in Madame Butterflys Kopf ist Pinkerton ein liebevoller Mann, mit dem sich eine Familie gründen lässt. Pinkerton wird in dieser comicartigen Welt als “Narzisst” dargestellt.
Einer der größten Narzissten der Gegenwart ist für die Deutschen der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump. Pinkerton trägt in Meiningen die Trump Frisur und verhält sich wie diese Person. Bei Trump könnte der Zuschauer auch an einen Comicfigur denken, taucht er im Internet und TV auf, weniger im Alltag der Menschen. Dieser Bezug zu Trump ist von der Regie sicher beabsichtigt.
Im dritten Akt wechselt Pinkerton die Perücke und wird so zum bereits erwähnten „Ken“ aus dem Barbie-Universum. Ken gilt als schwach und als Anhängsel von der Hauptfigur Barbie. Die Umsetzung als Ken passt insofern, als Pinkerton Madame Butterfly nicht ins Gesicht sagen will, dass er sie verlassen hat und bereits mit einer amerikanischen Ehefrau verheiratet ist. Er kehrt nur zurück um den Sohn holen zu lassen.
In Meiningen ist der Sohn eine Puppe wie Ken. Angezogen wie diese Puppe aus Barbie. Er hat keinen Willen und ist leblos. Ein echtes Kind ist der Sohn nur in der Phantasie von Madame Butterfly. Sie erweckt ihn im zweiten Akt kurz zum menschlichen Jungen. Pinkerton ist schwach, weil er sich nicht um Madame Butterfly gekümmert hat, sonst wäre der Ort von Butterfly nicht ein Lost Place geworden. Pinkerton bedauert sich selbst in der Abschiedsarie für Butterfly. Puccini hat Pinkerton keine schönen Arien geschrieben, im Gegensatz zu Madame Butterfly. Sie ist aus heutiger Sicht ein wenig wie Pipi Langstrumpf mit dem Song „Ich mache mir die Welt wie sie mir gefällt“. Die Figur ist hoch ambivalent.
Ein Leben mit ihr wie es die Dienerin Suzuki tut, ist für das Umfeld sehr anstrengend. So stößt Madame Butterfly Warnungen aus, Suzuki und dem amerikanischen Konsul Sharpless betreffend. In Meiningen ist eine Liebesbeziehung zwischen Suzuki und Butterfly angedeutet. Drei Jahre ohne feste Bezugsperson haben Spuren bei Suzuki und Butterfly hinterlassen. Sie stützen sich gegenseitig.
Herzlichen Dank an unseren Kulturbotschafter des UniWehrsEL, der wirklich unermüdlich für uns rund um den Themenbereich der Kultur unterwegs ist.
Bild von DANG HUYNH SON auf Pixabay