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In Saarbrücken gibt es ein Forschungskolleg, dessen Ziel es ist, eine Wissens- und Kultur­geschichte von Traum­darstellungen in unter­schiedlichen Medien wie Literatur, Film, bildende Kunst, und Musik darzulegen. Für unser Seminar des „Nachterlebens“ an der U3L bekommt in diesem Kontext ein Gastvortrag von Arne Stollberg besondere Bedeutung. Bei ihm geht es um den Traum der Kaiserin, ein Orchesterzwischenspiel, um Hugo von Hofmansthal und Richard Strauss in der Oper „Die Frau ohne Schatten. Weiter gedacht und recherchiert hat dazu der Kultur-Botschafter des UniWehrsEL.

Tausend Dank für die vielen interessanten Einblicke!

Hugo von Hofmannsthal (1874-19029) gilt als ein Vertreter der seit 1905 bekannten „Neuromantik“, die mit dem Symbolismus eng verbunden ist. Neuromantik interessiert sich für das Fantastische, Übersinnliche, Märchenhafte, trotzdem ist sie weniger mit der Natur verwurzelt, steht die Zivilisation des beginnenden 20. Jahrhunderts im Fokus. Diese Strömung zeigt sich auch in der Musik, der Richard Strauss folgt.

Hofmannsthals Schaffen in dieser Zeit ist gekennzeichnet durch Ballette, Pantomimen, auch Filmdrehbücher und vor allem die Oper. Für Richard Strauss (1864-1949) schreibt er zahlreiche Opernlibretti wie „Der Rosenkavalier“, „Ariadne auf Naxos“, „Die Frau ohne Schatten“. Gerade bei der letztgenannten Oper spielt die Inspiration durch Sigmund Freud eine Rolle. Gemeinsam mit Max Reinhardt (1873-1943) begründete er in dieser Zeit auch die Salzburger Festspiele. Dramatisch war sein Tod im Juli 1929 am Tag der Beerdigung seines Sohnes, der Selbstmord begangen hatte.

Die Frau ohne Schatten, ein Kunstmärchen, erzählt als Parabel über Liebe und Ehe, über Geschlechterkampf und Fruchtbarkeit. Die Oper Frankfurt liebt die Inszenierung von Christof Nel, unter der musikalischen Leitung von Sebastian Weigle, besonders und führt die Wiederaufnahme 2022 zum fünften und letzten Mal auf. Dazu die Kurzübersicht des Inhalts:

„Auch ein Jahr nach ihrer Vermählung wirft die Kaiserin keinen Schatten; sie ist unfruchtbar und muss deshalb zurück ins Geisterreich, von dem sie einst in die Menschenwelt ausgezogen war. Geplagt und voller Angst überredet sie die arme Färberin dazu, ihr ihren Schatten zu verkaufen. Das Leid und Unglück jedoch, das sie im Leben der einfachen Frau auslöst, kann sie nicht aushalten. Lieber verzichtet sie auf eigene Erfüllung. Im Verzicht wird ihr Erlösung zuteil.“

Dazu ein Leserbrief, der auch den Versuch einer Deutung wagt. Herzlichen Dank dafür!

Liebes UniWehrsEL

ich war gestern in Frankfurt in der Oper Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss. Es ist eine Märchenoper. Wie du weißt haben Märchen oft einen wahren Kern. Es geht um zwei Paare. Das eine Paar ist der Kaiser und seine Kaiserin. Sie war eine Gazelle, die sich durch einen Zauber in eine Frau verwandelt hat. Deshalb hat sie keinen Schatten und ist Namensgeberin der Oper. Dass es ihr nicht gelungen ist, einen eigenen Schatten zu bekommen hat Folgen. Es wird ihr von einem Falken geweissagt, wenn sie nicht binnen drei Tagen einen Schatten erhält, verwandelt sich ihr Gatte zu Stein.

Das zweite Paar ist ein Färber und seine Frau. Die Kaiserin will sich mit Hilfe Ihrer Amme deren Schatten kaufen, indem sie die Färberin mit Geld besticht. Durch den Verzicht auf den Deal mit der Färberin, aus Mitleid mit dem Färber, wird die Kaiserin letztlich nach weiteren Verwicklungen mit einem Schatten belohnt und darf fortan unter den Menschen leben. Soweit der Inhalt des Märchens.

Nun meine Interpretation des Stoffes: Der Schatten steht für die Fruchtbarkeit (das Kinderkriegen) der Frau. Die Kaiserin kann, trotz guter Beziehung zu Ihrem Mann und stabilen sozialen Verhältnissen, keine Kinder bekommen. Deshalb sucht sie mit Hilfe ihrer Amme eine jüngere sozial schwächer gestellte Frau auf, um diese zu bestechen, auf ihren Schatten (Fruchtbarkeit) zu verzichten, für die Aussicht auf materiellen Wohlstand.

Der Färber setzt seine Frau unter Druck, Kinder zu bekommen, weil dies aus seiner Sicht Ihre Aufgabe ist. Während er für die Versorgung der Familie (seine drei Brüder, die Frau und die fiktiven Kinder) mit harter körperlicher Arbeit aufkommt, wird die Färberin ihrer zugedachten Rolle in seinen Augen nicht gerecht. Sie unternimmt eine Ausbruchversuch aus Ihrem Alltag, indem sie zunächst auf das Angebot der Kaiserin eingeht. Die Kaiserin (Titelfigur) will letztlich niemanden anderen ins Unglück stürzen, um selbst mit Ihrem Partner und den späteren Kindern glücklich zu sein. Für dieses Verhalten wird sie belohnt, indem sie auch einen Schatten erhält.

Was auffällt an dieser Oper ist, dass partnerschaftliches Glück nur erreicht werden kann mit vielen Kindern. Der Kinderwunsch steht im Fokus dieser Geschichte. Ein freiwilliger Verzicht auf Kinder wird als ein fehlgeleitetes Verhalten angesehen. Strafe erhält letztlich nur die Amme, welche den Plan ausgeheckt hatte, die Färberin zum Verzicht zu verführen. Dafür muss sie von nun an als “Geist” (Metapher für gesellschaftlich isoliert) unter den Menschen leben.

Hugo von Hofmannsthal verwendet für seine Storyline das Motiv des Schattens nach C.G. Jung. „Der Schatten repräsentiert nach der analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung die “dunkle Seite” unserer Persönlichkeit. Dieser Archetyp steht für die unterdrückten, sozial unerwünschten und negativen Persönlichkeitszüge: Egoismus, unangenehme Instinkte und das unerlaubte Selbst, das der bewusste Verstand ablehnt, und das wir in den tiefsten Abgründen unseres Seins verbergen.“

Weitere Inspirationsquelle ist Adalbert von Chamisso „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Auch hier geht es um den Verkauf des eigenen Schattens, was sich aber nicht als Glück bringend herausstellt.  

Um sich in das Stück besser einfühlen zu können habe ich an Mozarts Zauberflöte gedacht:  

Bei der Frau ohne Schatten bringt ein Bote eine schlechte Nachricht, beziehungsweise stellt der Heldin, der namenlosen Kaiserin, eine Aufgabe. Auch bei der Zauberflöte musst der Prinz Tamino eine Aufgabe lösen, um die Prinzessin Pamina vor dem vermeintlichen Bösewicht Sarastro zu retten.

Nach der Botschaft muss die Kaiserin in die Welt hinaus. Ganz wie es auch der Prinz Tamino muss. Zur Seite steht der Kaiserin ihre vertraute Amme, während Tamino von seiner Bekanntschaft Papageno begleitet wird.

Nun hat das Stück zwei Paare, die Kaiserin und ihren Mann sowie die Färberin und ihren Gatten. Das ist eine Viererkonstellation wie bei der Zauberflöte: Tamino muss mit Pamina in die Prüfung, Papageno muss seine Papagena wiederfinden.

Eine andere Thematik führt mich zur Oper des Fliegenden Holländers, die ja an Richard Wagner und Heine erinnert und in Frankfurt auch immer wieder aufgeführt wird. In der Frau ohne Schatten muss die Kaiserin ihren Schatten in einer bestimmten Frist erwerben, weil sonst ihr geliebter Kaiser zu Stein wird. Das erinnert mich wiederum an den „Fliegenden Holländer“, der binnen einer Frist eine Frau finden muss, die ihn vor dem Fluch weitere sieben Jahre über die Meere zu fahren, bewahrt.

Zum Schluss noch einige grundlegende Gedanken zur Oper der Frau ohne Schatten. Sind die in der Oper anklingenden “klagenden Stimmen der Ungeborenen” eigentlich noch zeitgemäß? Ist der Makel der unfruchtbaren Frau nicht reaktionäres Gedankengut?  Verständlicher wird dies, wenn man versteht, dass sowohl von Hofmannsthal als auch Richard Strauß ein Lebensthema miteinander teilen: Die Verwandlung. Deutlich wird dies an den Gedanken der „Menschwerdung“, in dem sich auch Erschütterungen des Ersten Weltkriegs widerspiegeln: kann es in einer solchen Katastrophenwelt überhaupt noch Nachkommen geben?

Letztlich scheint mir diese alles durchdringende Geister-, Tier- und Menschenwelt in der Frau ohne Schatten wie in einem Traum, in dem eben alles möglich ist und in dem das Gute siegt. Eine Oper der Superlative, die Frankfurts Ruf als „Oper des Jahres“ mitbegründet hat.

Mit lieben Grüßen
Vom UniWehrsEL-Kulturbotschafter

Herzlichen Dank an Roi Buttoi auf Pixabay für die Notenblätter mit Schatten.