„Die Laborantin“ ist in aller Munde. Eine Dystopie, die bald Wirklichkeit werden könnte und zu Wachsamkeit gegenüber wissenschaftlichem Fortschritt aufruft. Politische Veränderungen könnten dabei ein Übriges tun. Es geht dabei um einen Bluttest, der Lebenserwartung und mögliche Krankheiten ermittelt und das Ergebnis in Zahlen ausdrückt. Damit einher geht als Folge, die Frage nach sozialem Status und persönlichem Handlungsspielraum. Ella Road spielt in ihrem Debüt-Roman mit dem Gedanken der Kontrolle durch Ermittlung des genetischen Profils per Bluttest und dessen Folgen.
Als Gastspiel vom Schauspiel Hamburg oder auch im Staatstheater Mainz als Gastspiel von Luxemburg, knüpft das Stück an aktuelle Fragen an: Gibt es das Ideal des makellosen Menschen 10,0 auf der Ratingskala, und wie weit würden wir gehen, um im Ranking mithalten zu können? Welche Auswirkungen hätten solche Tests auf mich persönlich? Will ich als Patient überhaupt von einer Krankheit im Vorfeld wissen? Wer darf über Patientenakten verfügen? Was ist mit Fehltests? Sollte ein Gesundheitswesen jeden behandeln oder nur den Patienten mit den besten Überlebenschancen? Dazu ein interessanter Leserbrief mit herzlichem Dank!
Liebes UniWehrsEL,
ein Stück, welches ethische Fragen stellt, ist die Laborantin (Gastspiel Schauspiel Hamburg) von Ella Road (2018). Bea ist Laborantin in einer Klinik. Mit Hilfe von Bluttests kann sie Auskunft über Erbkrankheiten, Gendefekte und die Wahrscheinlichkeit von psychischen und körperlichen Erkrankungen ermitteln. Diese Bluttests sind zwar freiwillig, entscheiden aber über den Karriereweg von Menschen. Bea hat eine 7,1 und lernt bei der Arbeit Aaron kennen. Er bezeichnet sich selbst als 8,9. Er strebt eine Karriere als Jurist an.
Dafür braucht er eine hohe Bewertung. Bea hat eine Freundin Char, die erhält beim Test nur eine 2.1. Bea manipuliert den Test und teilt der Freundin ein anderes Ergebnis zu. Daraus entwickelt sich für Bea ein Geschäftsmodell und ein Nebenverdienst, weil Bea gerne in einer schönen Wohnung leben will. Aaron kommt als Anwalt nicht so weit vorwärts wie gewünscht, sondern arbeitet von unbezahltem Praktikum zu unbezahltem Praktikum.
Aufgrund seines hohen Ratings macht Aaron aus Beas Sicht dumme Sachen wie Trinken, Rauchen, Glücksspiel, als ob er sein Rating aufs Spiel setzen will. Bea lernt auf der Arbeit auch noch David kennen. Er ist der Hausmeister. Irgendwann erzählt David Bea, dass er ein Rating über 9.1 hatte. David aber keine Lust mehr auf die Verantwortung eines schwierigen Berufs wie Banker hatte und deshalb freiwillig als Hausmeister lebt. Bea kann diesen Schritt nicht nachvollziehen. Nach einer gemeinsamen Reise mit Aaron stellt Bea fest, dass sie schwanger ist. Sie will deshalb Aarons Familie kennen lernen. Aaron mauert. David erzählt Bea, dass er Aarons Familie kenne.
Der Vater sei kein High-Potential oder Snob, wie Bea sich in ihren Gedanken zurechtgelegt hat, sondern sitzt in der Psychiatrie. Bea zwingt nun Aaron einen Bluttest zu machen und stellt fest, dass er keine 8.9 ist, sondern nur 2.0. Aaron verliert nach Meldung des Ergebnisses sein Praktikum. Er ist verzweifelt und aufgebracht. Er rennt in eine U-Bahn und wird im Krankenhaus aufgrund seiner 2.0 Bewertung nicht behandelt. Er stirbt. Bea wird aufgrund der Beziehung zu Aaron von 7.1 auf 6.9 runtergestuft. Bea entscheidet sich das gemeinsame Kind abzutreiben.
In dem Stück von Ella Road wird das Bewertungssystem, welches wir z.B. bei der Schufa (Kreditwürdigkeit) her kennen, auf das englische Gesundheitswesen übertragen. Dieses Bewertungssystem wird von der britischen Regierung als ‚fair und transparent‘ in Werbeclips beworben. In der Praxis versuchen jedoch Menschen wie Bea oder ‚Life Coaches‘ sich bestechen zu lassen, um anderen bessere Ratings zuzuteilen. Bea zieht durch diese Methode von einer einfachen 1-Zimmerwohnung in ein luxuriöses Appartement.
Am Beispiel von Beas Freundin Char wird gezeigt, wie Leute gegen das Rating demonstrieren und sich engagieren, wie es vergleichbar die Klimaaktivisten tun, dass dies aber nicht das gesellschaftliche Problem löst. Char nutzt ihre verbleibende Zeit erst mit Mogeln und Anpassung ans System, später in Selbstfindungskursen und Aktivismus gegen das System.
Aaron ist sorglos und hat sein 8.9 Rating einfach erfunden, indem er es von sich behauptet. Er ist also ein gewissenloser Hochstapler. Bis zur Schwangerschaft von Bea ist er ein Spieler und Trickser. Anderseits kümmert er sich um seinen psychisch-kranken Vater, ohne Bea davon zu erzählen. Sie denkt er hat eine Affäre. Bea profitiert von dem Bluttest, ermöglicht er ihr doch potentiell ein schönes Leben mit Aaron. Am Ende trifft sie eine Entscheidung gegen die Schwangerschaft.
Wie bewerten Sie den Roman von Ella Raod? Welche interessanten Fragen wirft er für Sie auf? Erscheint das ‚Ratingsystem fürs Gesundheitswesen‘ Ihnen zu futuristisch?
Wiedermal ganz herzlichen Dank an Gerd Altmann bei Pixabay für seine Idee, das Rating darzustellen!