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Längst zum geflügelten Wort geworden, ist und bleibt das „ich weiß nicht, was soll es bedeuten …“ so populär, dass es stets mit Heine verbunden wird, wie wir auf Nachfrage in unserem gestrigen gleichnamigen Seminar feststellen konnten. „Selbst die Nazis durften nicht wagen, das Lied des jüdischen Melancholikers zu verbieten“, weiß eine Studierende der U3L.

Die Frage, warum wir eigentlich so traurig sind, lässt sich nicht alleine mit Kälte und Lichtmangel und dem daraus resultierenden Weltschmerz erklären. Und doch scheint es so, als wäre für viele Deutsche das Glas immer halb leer. Die deutsche Seelenlage umschrieb der Dichter Heinrich Heine 1824 mit den Worten „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin …“. Dass die von Clemens Brentano erfundene Kunstsage „Loreley“ solche Verbreitung fand, verdankt es neben Heines Text auch der von Friedrich Silcher 1837 komponierten Melodie, die als Ausdruck der Rheinromantik gilt.

In der Ballade steuert ein namenloser Bootsführer seinen Kahn gegen Felsenriffe, weil er sich vom Gesang, dem goldenen Haar und dem Geschmeide der Jungfer Loreley betört und geblendet fühlt. Den Ich-Erzähler (Heine?)  beschleicht eine tiefe Traurigkeit, weil er ahnt, dass diese Sache nicht gut ausgehen wird; ja sogar immer und zu allen Zeiten wiederholbar ist und sein wird. In der durchweg im Präsens gehaltenen Sprachform zeigt sich die Aktualität des Geschehens an, männliches Versagen im Angesicht weiblicher Schönheit ist kein Phänomen des 19. Jahrhunderts.

Heine liebte Märchen, die im Allgemeinen dafür bekannt sind, gut auszugehen, wie beispielsweise „Die Gänsemagd“, der er in „Deutschland. Ein Wintermärchenebenfalls ein ewiges Denkmal gesetzt hat. Wiederum auf einem Märchen, diesmal der Gebrüder Grimm, beruhend, wird erzählt, wie die Gänsemagd – in Wahrheit eine Königstochter, die von ihrer Kammerjungfer zur Magd degradiert wird – am Ende doch noch Gerechtigkeit erfährt.  In „Deutschland. Ein Wintermärchen“ finden sich im Kaput XIV fünf Verse, in denen er „Von der Königstochter erzählte, / Die einsam auf der Heide saß / Und die goldenen Haare strählte“. Ihr Schicksal erzählen die Brüder Grimm märchenhaft-poetisch im zweiten Band ihrer „Kinder- und Hausmärchen“, der 1815 erscheint.

Von dieser Gänsemagd und ihrem Einfluss auf Heinrich Heine schrieb auch der bekannte Psychoanalytiker Bruno Bettelheim im Kontext seiner Deutungen der Kinder- und Hausmärchen. In „Kinder brauchen Märchen“ beschreibt er, das Märchen führe das Kind aus dem frühen ödipalen Stadium in die nächste Phase, in der das Wunschdenken einer richtigen Sicht der wahren Situation des Kindes weiche. Jedes Kind sei von dieser Geschichte stark beeindruckt, weil es auf vorbewusster Ebene begreife, dass sie von ödipalen Problemen handelte, die es selbst beträfen.

Der sehr beeindruckte Heinrich Heine berichte nämlich im Wintermärchen:

Wie pochte mein Herz, wenn die alte Frau
Von der Königstochter erzählte,
Die einsam auf der Heide saß
Und die goldnen Haare strählte.
Die Gänse mußte sie hüten dort
Als Gänsemagd, und trieb sie
Am Abend die Gänse wieder durchs Tor,
Gar traurig stehen blieb sie.

Verstanden hat Heine wohl aus der Sicht Bettelheims, „daß ein Elternteil, und sei er so mächtig wie eine Königin, die Entwicklung seines Kindes zur Reife nicht gewährleisten kann. Um seine Persönlichkeit zu verwirklichen, muß das Kind die Schwierigkeiten seines Lebens selbst überwinden; es kann sich nicht darauf verlassen, daß Vater oder Mutter es vor den Folgen der Schwäche schützen. Dass was ein Elternteil seinem Kind an irdischen Gütern geben kann, hilft wenig, wenn das Kind nicht sinnvoll damit umzugehen versteht.“  (vgl. Bettelheim, S. 160-161).

Letztlich ist es ein Märchen über eine starke Mutter-Tochter-Beziehung, über den Ablösungsprozess , über Entmachtung und Aufbruch in die Fremde, über Gerechtigkeit und Gerichtbarkeit, die durchaus Parallelen zu Heines Lebensweg aufzeigt.

Heine machte deutsche Märchen, Balladen und Mythen nicht nur in Deutschland, sondern  im europäischen Ausland bekannt. Sein „Buch der Lieder“ und auch seine „Reisebilder“ lernte auch Richard Wagner kennen. 1834 erschien Heinrich Heines Erzählung „Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski”, darin das 7. Kapitel mit der Sage des Fliegenden Holländers. In Heines Erzählung sieht Schnabelewopski das Stück vom Fliegenden Holländer in einem Theater in Amsterdam. Während auf der Bühne das Ideal der Treue bis in den Tod dargestellt wird, sucht Schnabelewopski den intimen Kontakt zu einer schönen Holländerin. Mit ihr verlässt er das Theater und verpasst daher den zweiten Akt des Stückes.

Richard Wagner (1813-1883) war von Heines „eigentümlicher Anwendung“ der Sage vom fliegenden Holländer begeistert. Er hatte sie aus dem Munde eines Matrosen bestätigt bekommen, als er im Sommer 1839 an Bord eines Segelschiffs, welches ihn nach London bringen sollte, ein Seeabenteuer aus eigener Anschauung erleben konnte. Daraus entstand eine Romantische Oper „Der fliegende Holländer“, in drei Aufzügen, uraufgeführt am 2. Januar 1843, Königliches Hoftheater Dresden, die auch in der Oper Frankfurt mit sehr großem Erfolg aufgeführt wurde.

Und wenn Sie jetzt Lust auf Heine und mehr bekommen haben, dann können Sie sich im „Der Kanon. Erzählungen. Die deutsche Literatur: 10 Bände und 1 Begleitband“ mit einer Einführung und mit Kommentaren von Marcel Reich-Ranicki umtun.