Unser Beitrag zu Georg Büchner regte zum Weiterdenken an. Immer wieder werden durch Büchners „Woyzeck“, Bergs Oper „Wozzeck“, Schillers „Don Carlos“, Verdis „Don Carlo“ in Oper und Schauspiel in Frankfurt spannende psychologische und politische Themen aufgegriffen. Sowohl Friedrich Schiller als auch Georg Büchner setzen sich in ihren Werken zudem mit historischen Persönlichkeiten im Spannungsfeld von Anpassung und Aufbegehren auseinander.
Friedrich Schiller ließ sein Werk im Jahr 1568 spielen; von den historischen Persönlichkeiten Don Karlos und seinem Vater, dem spanischen König Philipp II. inspiriert. Sich dabei dramaturgische Freiheiten nehmend, beruht das Stück auf dem realen Vater-Sohn-Konflikt, sowie der Auseinandersetzung Spaniens mit den Niederlanden. Das Drama Don Carlos, Infant von Spanien dreht sich um die beiden Königskinder Don Carlos von Spanien und Elisabeth de Valois von Frankreich, die kein Paar werden können. Der König selbst nimmt die Verlobte seines Sohnes zur Frau, um Frieden zwischen Frankreich und Spanien zu ermöglichen.
Giuseppe Verdi fand die Vorlage mit den Themen wie Freiheit und Demokratie spannend und verband sie mit seinen eigenen Visionen um ein gespaltetes Verhältnis zur katholischen Kirche, zudem geht es um den Spagat zwischen persönlichem Glück und der gesellschaftlich-politischen Verantwortung.
An dieser Stelle ein Leserbrief, der sich mit Büchner, Schiller Macht und Freiheit auseinandersetzt. Dafür herzlichen Dank!
Liebes UniWehrsEL,
Danke für Ihren Beitrag von Georg Büchners. Ich schätze ihn sehr und beurteile ihn als wachen, illusionslosen, kämpferischen Freigeist, der gleichzeitig einen resignierten Blick auf persönlich erlittenes, sowie gesellschaftlich-politisches Unrecht wirft.
Schiller setzt sich mit dem Problem der Legitimität von historischem Handeln auseinander, er verarbeitet dieses Grundproblem in allen seinen Dramen, so auch im 1787 erschienenen Don Carlos. Ein schwacher Prinz ist Thronanwärter in einem auf Misstrauen und Repression begründeten Regime. Marquis Posa hätte die moralische Qualität und das persönliche Charisma, um Spanien aus der politischen Finsternis herauszuführen, ihm fehlt aber jede Legitimation. Seine Ideen kann er dem Prinzen nicht vermitteln, weil dieser schwach und unentschlossen ist.
Es erscheint mir, dieser Kronprinz ist ein Traumtänzer, ein liebesbedürftiger Hitzkopf, ein Sanguiniker, der seine Gefühle nicht im Griff hat.
Ich war gespannt darauf, wie die Oper Frankfurt diese Gedanken umsetzen kann. Hier meine neuen Erkenntnisse:
Gestern saß ich nun in der alten Inszenierung von Don Carlos aus 2007 an der Oper Frankfurt. Die Inszenierung ist ganz traditionell mit Kostümen aus der Zeit, in der Don Carlos wirklich spielt. In mir kam die Frage auf, was für einen großen Einfluss die Politik auf das Leben der Bürger hat. Dies wurde mir an einer Stelle der Aufführung besonders deutlich.
In dieser Szene werden auf Befehl des Königs, die Andersdenkenden als Ketzer verbrannt. Eine Meinungsfreiheit gibt es nicht. Wer nicht der Meinung des Königs ist, wird verfolgt und verbrannt. Der König erklärt seine harte Hand in einer Szene mit dem Grafen Marquis Posa so, dass nur durch strenge Regeln das große Reich Spanien zusammengehalten werden kann. Der König erwartet von Posa seine Zustimmung zu seiner Ansicht. Jedoch antwortet Posa, dass der König nicht über ein friedliches Reich herrschen würde, sondern über einen Friedhof.
Wieder einmal wirft Don Carlos in mir die Frage auf, wer die Politik bestimmt? Der König oder die Kirche. In einem dramatischen Gespräch erinnert der Großinquisitor den König, dass er nur ein Mensch ist und Gott somit über dem König steht. Denn der König will schließlich nicht sein Seelenheil verspielen. Später gibt es einen Aufstand, angeführt von Don Carlos gegen den König. Nur durch die Macht der Kirche, also des Großinquisitors, kann der König den Aufstand beenden. Denn der Großinquisitor hat mehr Einfluss auf die Menschen als der Herrscher.
Das Stück zeigt, dass Autorität auch auf Vertrauen basiert. Durch seinen Ruf als Unantastbarer kann der Großinquisitor seinen Willen durchsetzen.
Durch viele, in der Öffentlichkeit ausgetragene, Skandale hat die Kirche als moralische Instanz an Einfluss verloren. Die Bildung an die Kirche nimmt in Deutschland ab.
Die Oper Don Carlos zeigt jedoch deutlich, was für einen starken Einfluss die Kirche in Europa mal hatte. Zwar scheint die Macht der Kirche in Deutschland kleiner zu werden. Der Einfluss und die Macht der Politik scheint jedoch ungleich stärker zu sein.
Das Beispiel des Autodafe (öffentliche Verkündigung des Urteils eines Inquisitionsgerichts und feierliche Durchführung dieses Urteils -meist Verbrennung von Ketzern) zeigt, was für ein schmaler Grat zwischen Toleranz der Mehrheitsmeinung gegenüber der Minderheitsmeinung besteht. Je polarisierter eine Gesellschaft ist, desto weniger toleriert sie anscheinend die abweichende Meinung.
In Zeiten, in denen um die Mehrheitsmeinung gerungen wird, ist so ein Blick auf Don Carlos durchaus nützlich. Die Oper zeigt deutlich was passiert, wenn die Mehrheitsmeinung, die Minderheit unterdrückt.
Folglich sind Don Carlos und auch Woyzeck mit ihren freiheits- und meinungsliebenden Autoren vielleicht aktueller denn je. Was meinen Sie dazu?
Sie können die Oper in Frankfurt am 04. November 23 zum letzten Mal in dieser Spielzeit erleben. Woyzeck | Marie nach Motiven von Georg Büchner in Mainz gibt es noch am 3.11.2023, 21.11.2023, 7.12.2023