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1941 veröffentlichte der französische Existenzialist Jean-Paul Sartre (1905-1980) in seinem Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ die totale Freiheit und Selbstverantwortung des Menschen in der Welt; ohne Gnade, ohne Reue und ohne Gott. Sartres Forderung war, der Mensch solle selbst für sich Verantwortung übernehmen, um seiner sinnentleeren Existenz entgegenzuwirken.

Dieser Leitgedanke wurde von viellen Intellektuellen in der Nachkriegszeit übernommen. Sartre erhielt 1964 den Nobelpreis für Literatur, den er aus “persönlichen und objektiven” Gründen ablehnte. Sartre verband eine intensive Beziehung mit Simone de Beauvoir (1908-1986), der wir mit “Macker raus aus Femi-Redaktionen” bereits einen Beitrag gewidmet haben.

Das Werk „Die schmutzigen Hände“ von Sartre zeigt das Schauspielhaus Frankfurt. Der Titel verweist schon auf den Inhalt: “Derjenige, der die Macht in der Politik ergreifen will, sollte sich nicht nur von seinen Idealen (dem Programm seiner Partei) trennen, sondern zudem nach Kompromissen suchen, um etwas im politischen Betrieb durchsetzen zu können”, so fasst es der Kulturbotschafter des UniWehrsEL für uns zusammen und setzt sich intensiv mit dem Theaterstück, Jean-Paul Sartre und seiner Philosophie auseinander.

Herzlichen Dank für diesen interessanten Beitrag
.

Liebes UniWehrsEL,

die schmutzigen Hände von Sartre am Schauspielhaus Frankfurt waren eine echte Herausforderung. Sartres Stück aus 1948 hat viele interessante Gedankengänge. Es geht zwar vordergründig um einen politischen Mord, doch nebenbei werden viele philosophische Fragen gestellt: wie oder was ist der Wille des Menschen, kann ich mein Schicksal selbst bestimmen? oder ist das Schicksal nur eine Anordnung des Zufalls? Ist es sinnvoll an seinen eigenen Idealen, Prinzipien immer festzuhalten oder zwingen einen die Umstände die selbstgewählten Prinzipien zu hinterfragen? Bin ich als Individuum alleine ohne eine Gemeinschaft überhaupt überlebensfähig?

Alle diese Fragen werden durch die Hauptfigur, einen Journalisten der vom Schreiber zum Mörder wird, aufgeworfen. Er selbst bringt sich in die Situation, seinen Beruf als Journalist aufzugeben und stattdessen die Aufgabe als Attentäter zu übernehmen. Er handelt nicht aus Überzeugung, sondern weil er nützlich für die Gesellschaft sein will und die braucht gerade dringender einen Mörder als einen Schreiber. Der Politiker ist ein Verführer, ein guter Redner. Der Journalist ist ein prinzipientreuer Mensch. Er glaubt an Grundsätze, die er sich selbst gegeben hat. Der Politiker ist flexibel in seinen Gedanken und Gefühlen.

Eigentlich dreht der geschickte Politiker den Schreiber um, doch als der sich dann noch an dessen Frau zu schaffen macht, sieht der Schreiber rot und tötet den Politiker wie es der Auftrag verlangt. Nach zwei Jahren Gefängnis hat sich die politische Lage verändert und die Idee des ermordeten Politikers wird in die Praxis umgesetzt. So ist der Mörder nicht mehr für die Gesellschaft nützlich. Er wird totgeschwiegen. Er möchte aber reden und seine Geschichte erzählen. Denn das Individuum braucht Selbstbestätigung. Logischerweise wird so der Mörder von einem anderen Mörder getötet.

Die Handlung spielt im Zweiten Weltkrieg. Nun hätte die Regie Kostüme aus dieser Zeit wählen können, z.B. Männer in Uniformen. Das war der Regie aber offenkundig zu militant. Deshalb wählt sie Kostüme aus den 1980er Jahren, wo es Glam-Rock-Bands gab. So wird die Story kostümmäßig etwas wie West Side Story, wo es im Kern um einen Bandenkrieg geht. So zanken sich zwei rivalisierende Rock-Bands statt Soldaten. Die Kostüme könnten jedoch auch an die russische Band Pussy Riot erinnern, die mit solchen Kostümen auf Festivals auftritt. So wären die Kostüme ein Verweis auf den Russland-Ukraine Konflikt. Auch diese Deutung ist möglich.

Ebenfalls ist auf der Bühne ein Herz zu sehen. Es steht vielleicht für das Herz, dass sich die Hauptfigur fasst um einen Mord zu begehen? Sartre hätte diese Inszenierung wohl gefallen, denn sie wirft mehr Fragen auf, als sie eindeutig beantwortet und genau das ist es, was den Philosophen ausmacht; interessante Fragen aufzuwerfen, sodass sich der Besucher auf die Suche nach eigenen Antworten machen kann. Wer gerne einen Abend mit viel Selbstreflektion erleben will, ist bei dem schmutzigen Händen bestens aufgehoben.

Hättest du Lust an solch einem Gedankenexperiment teilzunehmen?

Als Nachgang zu dem Stück die schmutzigen Hände beschäftige ich mich mit Sartre.

Er gilt als Existenzialist. Was ist das? Da steckt das Wort Existenz drin. Gilt auch als Begriff für das menschliche Dasein. Ökonomisch betrachtet ist die Existenz die wirtschaftliche Lebensgrundlage eines Menschen also z.B. sein Beruf. Die Existenzgrundlage des Hauptdarstellers Hugo in „die schmutzigen Hände“ ist also sein Beruf als Journalist für eine Parteizeitung. Doch seinen Beruf empfindet Hugo als sinnlos. Er möchte etwas Bedeutendes schaffen. Dieses Hinterfragen der eigenen Existenz bringt ihn dazu, statt eines Journalisten lieber ein berufsmäßiger Mörder zu sein.

Beim Stichwort ‚berufsmäßiger Mörder‘ denken die Zuschauer nicht an Hugo sondern an Brechts Räuber Mackie Messer (siehe meine Anmerkung). Der hat schließlich Spaß daran, andere um die Ecke zu bringen. Doch hat Hugo seinen Entschluss, ein Mörder zu werden, wirklich frei getroffen oder ist er in die Situation hineingeraten, vielleicht sogar froh zum Mörder zu werden, weil er seine Existenz als sinnlos ansieht? Schließlich befindet sich Hugo mitten im Zweiten Weltkrieg und es ist deshalb schon ungewiss, ob er diesen Krieg überleben wird. Also warum nicht als Mörder zum Helden für die gute Sache der Partei werden. Einen Ehrenplatz bekommen in der Erinnerung der Anderen.

Sartre geht davon aus, dass alle unsere Entscheidungen die Menschheit zusammenführen und binden. Dies bedeutet eine gewisse Verantwortung, die wir nicht nur für uns selbst haben, sondern auch für die Gesamtheit tragen. Wenn ich etwas Gutes oder Schlechtes tue, wirkt sich mein Verhalten auch immer auf andere Menschen aus.

Wenn also der Journalist zum Mörder an dem Berufspolitiker Hoederer wird, wirkt sich das auch auf die Partei und eventuell auf die Menschheit insgesamt aus. Denn der Politiker will Frieden schließen mit seinem Gegner. So könnten viele unschuldige Menschenleben verschont werden, die sonst im Krieg sterben müssten. Mit einer Einigung der Kriegsgegner werden also Menschen gerettet. Diese Schlussfolgerung muss der Journalist bei seiner Entscheidung mitberücksichtigen, wenn er die Entscheidung trifft, ob er den Politiker tötet oder sich seiner Sache anschließt.

Es geht also um eine Gewissensfrage des Journalisten. Doch weitere Aspekte sind zu berücksichtigen, bei der Entscheidung über das Leben des Politikers. Was wird aus Jessica, der Frau von Hugo? Natürlich wird die Entscheidung den Politiker zu töten auch ihr weiteres Leben beeinflussen. Daher schlägt sie Hugo vor, seinen Plan aufzugeben und sich mit dem Politiker zu verbinden. Doch das ist die Idee seiner Frau, nicht Hugos Lösung. Hugo trifft die finale Entscheidung jedoch laut Sartre nicht rational, sondern emotional. Als er sieht wie der Politiker seine Frau küsst, drückt er die Waffe ab. Ist Hugo durch seine Tat schuldig geworden?

Ja er ist zum Täter geworden. Doch der Mord war seine Aufgabe. Um nun herauszufinden, ob er richtig gehandelt hat im Sinne der Partei, wird er zum Gesinnungstest geladen. Diesen Test besteht Hugo nicht, weil er nicht begreift, dass sich die Meinung der Partei innerhalb von zwei Jahren Haft geändert hat. Der Mord ist nicht mehr nützlich in der Logik der Partei. Daher müsste sich Hugo, um zu überleben, von der Tat distanzieren. Doch das kann er nicht, weil er nicht zurück in seine Existenz als Journalist zurückkehren kann, nach der Erfahrung eines Mörders. Die Existenz des Mörders wird jedoch nicht gebraucht. Folglich muss Hugo sterben, weil seine Existenz den Frieden bedroht. Denn der Plan des Politikers wurde umgesetzt, und es herrscht Frieden.

Doch vielleicht hat Hugo den Mord weniger aus eigennützigen Motiven, als aus dem Befehl heraus begangen? Hugo glaubt an die Parteiprinzipien. Mit einem Friedensvertrag sind nach Ansicht von Hugo diese Prinzipien verraten worden. Er trifft für sich die Entscheidung, nicht Pragmatiker zu sein, sondern für sein Seelenheil Idealist zu bleiben. Der Idealist will das Maximum herausholen für sich und die Gesellschaft, weil er glaubt dass Ideale wichtiger sind als Kompromisse. So gesehen trifft Hugo doch eine bewusste Entscheidung, als er Hoederer erschießt.

Dann müsste er nach Sartre auch die Konsequenzen für sein Handeln tragen. Mit der Möglichkeit, dass er vorher ertappt wird, hatte sich Hugo bereits mit Jessica ausgetaucht. Er wäre fast beim ersten Versuch, beim Waffenschmuggeln von den Wachleuten des Politikers, ertappt worden, hätte Jessica nicht zu seinen Gunsten die Waffe an einem anderen Ort versteckt. Daher muss sich Hugo der Möglichkeit bewusst gewesen sein, dass er bei dem Versuch des Mordes bereits sterben könnte. Da er sich im Zweiten Weltkrieg befindet besteht die Möglichkeit getötet zu werden, anders als in Friedenszeiten, immer. Hugo wählt also nur den Todeszeitraum selbst aus, indem er handelt – den Mord begeht. 

Aus all diesen Entscheidungen zieht Sartre den Schluss, dass der Mensch dazu verurteilt ist, frei zu sein. Der Mensch ist Freiheit. Diese Annahme begründet Sartre damit, dass der Mensch sich nicht selbst erschaffen hat und somit nicht wählen kann, ob er leben möchte oder nicht. Von der Natur wurde der Mensch zum Leben gezwungen und ist deshalb zur Freiheit verurteilt. Freisein heißt laut Sartre auch, die schwere Last der Verantwortung zu tragen. Folglich musste Hugo, egal welche Entscheidung er getroffen hätte, sei es den Politiker zu töten oder auch leben zu lassen, die Verantwortung für sein Handeln übernehmen.

Zusammengefasst bringt Sartre Hugo also zu einer Entscheidungsfreiheit, anhand deren der Autor dem Zuschauer das Grundprinzip des Existenzialismus erläutert. Hugos Gewissenskampf ist also nur eine Möglichkeit Sartres, seine philosophischen Grundsatzgedanken mit dem Zuschauer zu diskutieren.

Mein erster Eindruck:

Sartres Stück „Die schmutzigen Hände“ verarbeitet einen Grundkonflikt, den schon Friedrich Hebbel in der biblischen Titelfigur „Judith“ interessierte. Es geht dabei um die psychologischen Konflikte nach einer Tat. Judith, die zu dem Feldhauptmann Holofernes vordringt, um ihr Volk vor der Vernichtung zu bewahren, ist von ihm und seiner Selbstsicherheit fasziniert. Sie versucht ihn zu überzeugen, die Belagerung der hebräischen Stadt Bethulien druch die Truppen Nebukadnezars aufzugeben, Holofernes aber vergewaltigt sie und Judith schlägt ihm aus Rache den Kopf ab. Das Heer bricht zwar daraufhin die Belagerung ab und Judith wird als Heldin gefeiert, sie selbst ist aber eine gebrochene Frau, die weiß, ihr eigentliches Motiv, die Errettung des Volkes hat sie verraten und stattdessen, das persönliche Motiv der Rache gewählt. Sie gibt ihr künftiges Schicksal in die Hände der Retter.

Anmerkung zu Mackie Messer:

den Existenzkampf, das Unglück und die ‘glückliche’ Rettung des Straßenräubers Macheath, genannt Mackie Messer, schildert Bertold Brecht in der „Dreigroschenoper“ mit dem bekannten Song von Kurt Weill (1900-1950) „Die Moritat von Mackie Messer“, über die Einschätzung, einfach ein Räuber mit Spaß am Töten zu sein, wird im Seminar “Erst das Fressen und dann die Moral” noch ausgiebig zu sprechen sein.

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:20. Februar 2023
  • Lesedauer:12 min Lesezeit