Wie erzählt man in eineinviertel Stunden die Novelle „Mario und der Zauberer“ stimmungsvoll nach? Dies scheint der Regisseurin Brigitte Dethier am Staatstheater Darmstadt bestens geglückt zu sein.
Die Handlung basiert auf dem Italienurlaub Thomas Manns im Jahr 1926. Schon öfters war dieser Autor im Mittelpunkt unserer Betrachtungen, besonders in den Schilderungen zu einem bestimmten Zeitgeist wie dem des „Fin de Siécle“, den er im „Tod in Venedig” beschreibt“. Auch in „Mario und der Zauberer“ greift Mann die von ihm erlebte Atmosphäre auf. Die Novelle erschien 1930, also drei Jahre vor der Machtergreifung Hitlers. Diese besondere Stimmung, die aufgrund der faschistischen und nationalistischen Strömungen herrschte, die sich zunächst in Italien und schließlich auch in Deutschland etablierten, wurde von Thomas eindringlich erlebt und beschrieben. Im Bühnenstück des Staatstheaters wird diese Atmosphäre auf eine ganz besondere Art und Weise wieder aufgegriffen.
Dass dieses sehr gelungen ist, beweist nicht nur die ansprechende Kritik in der FR, sondern auch ein Leserbrief an das UniWehrsEL, der uns dieses Stück wärmstens ans Herz legt.
Herzlichen Dank für diese Anregung!
Liebes UniWehrsEL,
am Sonntagnachmittag habe ich mir das Stück Mario und der Zauberer von Thomas Mann am Staatstheater Darmstadt angeschaut. Die Novelle von Thomas Mann wird in ein Schauspielstück umgearbeitet. Die Geschichte spielt in einem italienischen Badeort und beruht auf persönlichen Erfahrungen von Thomas Mann. Es beschreibt das Unbehagen einer deutschen Familie, kurz nachdem in Italien der 1920er Jahre die Faschisten die Regierung übernommen haben. Es liegt eine subtil aggressive Grundstimmung in der Luft.
Die Familie wird von Edda Wiersch und Bela Milan verkörpert. Die Frau hat sich schick gemacht, spricht gebrochen italienische Worte. Der Mann trägt kurze Hosen. So stellt sich der Zuschauer die typischen Deutschen vor. Die Kinder sind nicht zu sehen, sondern werden von zwei Schauspielerinnen gesprochen, die auch die lärmenden Italiener spielen werden.
Die Deutschen werden kritisch betrachtet. Die Familie verliert ihr Zimmer im Hotel, weil die Tochter krank geworden ist und das Hotel Angst hat, dass sich andere Gäste – eine Gräfin – anstecken könnten. So sollen die Deutschen aus dem sichtbaren Bereich des Hotels ins unsichtbare Nebengebäude ziehen. Die Familie fühlt sich beleidigt und zieht aus dem Hotel in eine Pension. Auch dort treffen sie auf eine national gesinnte Einstellung der Vermieterin, die sich in der Verehrung einer Filmschauspielerin ausdrückt, die von der Regierung ein Staatsbegräbnis erhalten hat und die neuen Tugenden der Frau quasi in Filmen darstellt.
Am Strand kommt es zu Auseinandersetzungen mit den Italienern. Mal wird die Musik zu laut aufgedreht. Mal geraten die Kinder in Streit mit anderen national eingestellten Kindern. Die Familie löst einen Skandal aus, nachdem das Mädchen nackt ihren Badeanzug im Meer gewaschen hat und dabei beobachtet worden ist. So muss die Familie auf die Polizeiwache und eine Geldstrafe zahlen. Dies sind einige Beispiele, warum sich der Urlaub als kolossaler Flop erweist. Kurz vor dem Ende des Urlaubs begegnet die Familie, durch Plakate bereits angezeigt, dem Zauberer Cipolla. Die Kinder überreden die Eltern einer Vorführung seiner Künste beizuwohnen. Er ist Hypnotiseur, Hochstabler und Faschist.
In Darmstadt wird seine Rolle nicht durch einen Schauspieler dargestellt, sondern durch eine lebensgroße Puppe, die von zwei Schauspielerinnen Hannah Elischer und Mia Lehrnickel geführt wird. Die Puppe sieht gruselig aus und ist sehr groß. Gezeigt wird ein dürrer Mann mit einem unheimlichen Gesicht. Er trägt einen schlacksigen schwarzen Anzug. In der vermeintlichen Zaubershow geht es, wie sich herausstellt nicht um Magie, sondern darum, wer den stärksten Willen hat.
Mario ist einer der Teilnehmer dieses Spiels um den freien Willen. Der Zauberer erweist sich als stärker als Mario. Mario wird von dem Zauberer gedemütigt. Seine Reaktion ist, er erschießt den Zauberer auf offener Bühne. Dies könnte sich der Zuschauer als grausame Tat vorstellen. Es ist durch die Puppe jedoch ganz anders. Die Puppe wird zu seinem Bündel aus Kleidern und dem Puppenkörper. Das Böse, das gerade noch den Zuschauer in seinen Bann gezogen hat entpuppt sich als ein bedeutungsloses Nichts. Von der Persönlichkeit des Zaubers bleibt nichts übrig. Der Spuk ist zu Ende. Die Show ist vorbei.
Auch Mario ist kein Held, sondern ein Durchschnittstyp. So endet das Stück mit dem Tod des Zauberers und dem Gedanken, ob und wie sich ein Einzelner gegen das Böse, und käme es nur in Gestalt einer Puppe daher, stellen und somit – vielleicht – die Welt besser machen könnte.
Die Kostüme sind in den 1920ern angelegt. Der Bühnenraum spielt am Strand. Später zeigen Vorhänge das Zelt des Magiers an. Dazu gibt es musikalische Untermalung durch eine Drehorgel.
Das Stück ist für Menschen, die für den Zeitgeist besonders empfänglich sind, besonders geeignet und dauert rund 70 Minuten.
Danke für den “Zeitgeist” von Gerd Altmann auf Pixabay.