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Unser interdisziplinäres Gespräch zu Melancholie und Unendlichkeit wurde von den über 100 Zuhörenden mit großem Interesse verfolgt. Viele kannten sowohl Novelle als auch Film, hatten sich aber bislang weniger eingehende Gedanken dazu gemacht, wie wir erfahren durften. Es war Frau Dr. Stieß-Westermann und mir selbst – jetzt schon zum dritten Mal – ein ganz großes Vergnügen, dies anbieten zu dürfen.

In einer kurzen Zusammenfassung für die UniWehrsEL-Leser lässt sich dazu sagen, dass Thomas Mann sich durch Nietzsches „Geburt der Tragödie“ zu seiner Novelle „Tod in Venedig“ anregen ließ. Inhaltlich dreht es sich darum: der ordnungsliebende Protagonist Gustav von Aschenbach verfällt in einem „sterbenden“ Venedig einem dionysischen (chaotischen Liebes-)Rausch, der gleichzeitig Melancholie und Unendlichkeit in sich birgt.

Der 50jährige Aschenbach hat das, was wir heute einen ‘Burnout’ nennen würden, denn sein langer schriftstellerisch tätiger Tag hat ihn wieder alle Kraft gekostet. Er ist von klein auf gewohnt, seine Pflichten zu erfüllen, was zu zunehmender Gereiztheit und Erschöpfung führt.

Nun beschließt er in den Süden zu reisen, zunächst nach Pola, dann weiter nach Venedig. Im Grand Hotel des Bains erblickt er bei sanfter Musik einen überwältigend schönen Knaben am Nachbartisch im Kreise seiner Familie.

Eine geheimnisvolle Unruhe breite sich in der Lagunenstadt aus. Es wird nicht ausgesprochen, aber es herrscht die indische Cholera (vermehrter Fluss der gelben Galle, so wie man sich früher die Melancholie erklärte). Einer bittersüßen Melancholie erliegt auch Aschenbach, der nun verjüngt geschminkt den schönen Jüngling überall hin in Venedig verfolgt und sucht, einen seiner Blicke zu erhaschen.

Verdorbene Erdbeeren bewirken bei Aschenbach Träume rund um den „chaotisch fremden Gott Dionysos“. Am Schluss erliegt der ermattete Aschenbach seiner Schwäche, nicht ohne vor sich das Bild des im Meer ihm zuwinkenden schönen Tadzio in Badekleidung zu sehen.

Frau Dr. Stieß-Westermann erweiterte das Wissen rund um Thomas Mann und seine Bewunderung für Gustav Mahler, die sich auch in einem Briefwechsel manifestierte. Ein Denkmal setzte er Mahler, indem er Aschenbach die Züge Mahlers verlieh.

Erweitert wurde der Vortrag Stieß-Westermanns durch die Biographie Luchino Viscontis, dem italienischen Theater- und Filmregisseur, der den „Tod in Venedig“ in einen berühmten Film überführte. Unvergesslich dabei ist das „Adagietto“ (sehr langsam), aus Mahlers 5. Sinfonie, das in der Eröffnungsszene, Abschieds- und Sterbeszene in längeren Ausschnitten und auch einmal als Klavierfassung erklingt. Immer als ein Ausdruck der einsamen Suche. „Musik steht für Ambiguität, emotionale Bewegung“, lässt Stieß-Westermann die Hörenden wissen. „Das Adagietto wurde als Liebeserklärung an seine Frau Alma interpretiert“, fährt sie fort.

Ein Nachmittag mit wunderbarer Musik und zahlreichen interpretierenden Gedanken dazu, kann natürlich hier nur mit wenigen Worten wiedergegeben werden.

Dennoch möchte ich Sie zu einigen Gedankenspielen einladen:

  • Wie wirkt die Musik, warum gerade Venedig, als Stadt der Gegensätze für Buch und Film?
  • Welche Bedeutung haben die Gegensätze alt und jung in dieser Geschichte?

Und noch einige Gedanken zum Hintergrund und den dazu gewählten Motiven wie „Todesmotiv“

  • Leitmotiv angekündigt durch Todesboten und den Titel “Der Tod in Venedig”
  • Auch die Krankheit Aschenbachs (Burn-Out) ist ein Vorbote seines Todes, ebenso der Name (Asche, als Symbol des Todes; Bach, als etwas, was immer weiter fließt)
  • Im Kontrast dazu stehen das Leben und die Lebensfreude, die Aschenbach durch sein Schwärmen für Tadzio erlebt.
  • kurz vor Aschenbachs Tod wird Tadzio von Aschenbach als “Psychagog” bezeichnet (Götterbote Hermes, der in der griechischen Mythologie die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt begleitet.)

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns Ihre Gedanken dazu unter Kontakt mitteilen würden.