You are currently viewing Zwischen Liebe und Hass

An Weihnachten wollen wir alle Liebe. Tatsächlich gehen wir aber oft sehr lieblos mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen um. Manche lehnen sich gegen dieses Bedürfnis auf, andere hassen sich selbst sogar dafür. Aber gerade weil das Bedürfnis nach Liebe zu einem Verhängnis werden kann, gibt es Menschen, die sich selbst und andere gefährden. Ihr Unruhe stiften liegt darin begründet, so beschreibt es der Psychoanalytiker Arno Gruen, sich selbst aus einer als hoffnungslos empfundenen Lage zu befreien. Diese Menschen spüren ihre Lebendigkeit nur dann, wenn sie destruktiv und tödlich sind. Hass lässt sie sich selbst spüren. Das knüpft auch unmittelbar an die von Freud deklarierte Grundspaltung des Menschen zwischen Eros und Thanatos an.

Terrorismus ist auch wieder am Ende des Jahres 2022 ein großes Thema. Einer, der sich schon im Jahr 2003 zu dieser Problematik in „Verratene Liebe-Falsche Götter” Gedanken gemacht hat, ist der Schweizer Psychoanalytiker und Buchautor Arno Gruen.

Er sieht den Terrorismus sowohl als Folge kulturpolitischer Ideologien, als auch wirtschaftlicher Ausbeutungsverhältnisse oder militanter Organisationen. Aber noch viel entscheidender als eine Folge misslungener Persönlichkeitswerdung. Erziehung sei der eigentliche Entstehungsmoment gesellschaftlich-autoritärer Strukturen. Sie reproduzierten sich in der Kindererziehung und erzeugten somit auch die Gewaltbereitschaft, die den terroristischen Anschlägen zugrunde liege.

Für Gruen ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts eine des „ungeheuren Schmerzes und dessen Verleugnung“. Damit sei die Unmöglichkeit verbunden, noch lieben zu können, weil sie sich gegenseitig bedingen würden, die Liebe und der Schmerz. Wechselseitig miteinander verbunden seien sie durch die empathische Fähigkeit, die unsere Menschlichkeit bestimme und erst möglich mache.

„Es ist bereits kurz nach zwölf. Die Welt steht wieder am Persischen Golf erneut vor einer Katastrophe, deren Ausmaß dieses Mal durch den von ihr erzeugten Haß alles zu vernichten droht. Wieder geht es um verratene Liebe, wieder sind es falsche Götter und falsche Helden, die uns dahin führen. Sie maßen sich an zu wissen, was für uns alle richtig ist. Ein blutiger und demütigender Krieg wird weder den USA noch der Welt Sicherheit bringen. Er wird vielmehr die Flammen eines Hasses schüren, der nicht mehr zu tilgen ist und der den Terror endlos nähren wird. Und Terror, unter welchem politischen, ideologischen oder religiösen Deckmantel er sich auch zu tarnen versteht, ist immer das Resultat eines Hasses auf das Leben selbst. Er ist ein Bündnis mit dem Tod, weil der Terrorist glaubt, sein Leid mit dem Ausrotten des Menschlichen zu tilgen.

Es scheint mir, daß unser Hang, dem Aggressor beizutreten, der wesentlichste Aspekt unserer gegenwärtigen Lage ist. Dadurch zementieren wir den Gehorsam. Dieser fesselt den Menschen und ist zugleich die Quelle einer unendlichen Wut und der Neigung zur Gewalt. Ihm angemessen und besser entgegentreten zu können, gehört zum Anliegen dieses Buches. Denn wenn wir nicht lernen, unsere eigene Geschichte, unsere eigene Vergangenheit in die Zukunft hineinzuholen, dann wird es bald keine Zukunft mehr geben. Dann wird nur noch der Tod das Leben bestimmen. Das tut er ja schon, wenn man uns weismacht, daß das Leben durch ökonomische Ziele bestimmt werden kann. Es ist das zwischenmenschlich Gemeinschaftliche, das wir wieder zurückholen müssen. Und die Zeit läuft uns davon.“ (Gruen, 2003, S. 9-10).

Seine These liegt darin begründet, Kinder würden sich mit Autorität identifizieren, weil sie Angst haben. Wer in einer Gesellschaft aufwächst, die Gehorsamkeit verlangt, in Gesellschaften aufwächst, in der sich Autoritäten weiterpflanzen, in der autoritäre Strukturen immer wieder hergestellt werden, der kann Freiheit nicht mehr leben und ist unfähig sich selbst zu lieben.

Nicht nur in islamischen, sondern in allen Gesellschaften, gäbe es Menschen, die durch diese autoritäre Gehorsamkeitserziehung, kein eigenes Selbst entwickeln können. Ihre Identität basiert dann auf der Identifikation mit autoritären Figuren. Identitätslose Menschen müssen, um sich stark zu fühlen, einer Ideologie beitreten. Und Heldentaten ausführen, um zu fühlen, dass sie stark sind. Armut in der Dritten Welt, Entwürdigung und Demütigungen, tun ihr Übriges. Menschen müssen ein würdevolles Leben für sich aufbauen können. Ein Nährboden, der auf Armut, auf Entwürdigung, auf Sinnlosigkeit gründet, liefert dem Terrorismus die Grundlagen, weil diese Menschen dann für einen Moment das Gefühl haben, dass sie jemand sind.

Das Legitimieren dieser Handlungen in autoritären Gesellschafen durch politische und ökonomische Eliten, die selbst eine autoritäre Erziehung erfahren haben, erweitert durch eine Propaganda, die gezielt Fehlinformationen medienwirksam zu heldenhaften Leitfiguren inszeniert, führt zum Scheitern demokratischer Erziehungsziele. Immer weiterführendes Wachstum, Profitgier und Machtstreben brauchen ein Gegengewicht, das Menschen, die sich nur mit den Autoritäten identifizieren können, nicht aufbringen, so Gruen. Oder Im Sinne Marcel Prousts.: “Wie haben wir den Mut, in einer Welt zu leben, in der wir versuchen, unsere Schmerzen, das heißt unsere Verletzungen, von denen gemildert zu haben, die uns die Schmerzen und Verletzungen beibrachten.

Christoph Burger, der die Ausführungen Gruens im Deutschlandfunk nachvollzieht, kommt zu dem Ergebnis, dass es aber durchaus auch Hoffnung im Ansatz der negativen  Folgen autoritärer Erziehung gäbe.

So meint Gruen:

„Nicht alle Menschen fallen da rein. Wir reden über Gesellschaften. Ich denke vom Statistischen her, und ich beschreibe das in meinen Büchern, das ungefähr ein Drittel der Menschen bei uns autoritäre Kindheiten erleben. Das meint Kindheiten, wo Liebe gar nicht so wichtig ist. Im Gegenteil. Wahre Liebe wird unterdrückt, Zärtlichkeit wird unterdrückt, und diese Menschen, vom Statistischen her, zeigen sich dann als autoritär, als Menschen, die dauernd Feinde haben müssen, um sich aufrecht gehend als Menschen zu erleben. Dann gibt es ein Drittel, die weniger sind und dann gibt es ein Drittel, die sehr viel menschliche Zuwendung und Liebe schon als Kind erlebt haben. Die sind anders. Das Problem ist, dass diejenigen, die von Autorität so tief geformt sind, sind auch diejenigen, die am meisten Propaganda für sich machen. Deswegen denken wir immer, die wieder spiegeln die Mehrheit.“

Und Burger folgert daraus:

„Arno Grüns Forderungen danach, die wahren Bedürfnisse des Menschen anzuerkennen und in einer emanzipatorischen Pädagogik umzusetzen, mag angesichts fortdauernder Gewalt, Krieg und Terrorismus etwas emphatisch klingen. Doch rezipiert der Autor damit die wichtigste historische Erfahrung des 20. Jahrhunderts, nämlich dass wahre Demokratie nur dann existieren kann, wenn sie individuell erlernbar und als Handlung praktizierbar ist. Die antiautoritäre Erziehung von Kindern ist dafür nach wie vor der entscheidende Zugang. Die Bücher Arno Grüns ermutigen dazu, sich darauf einzulassen“.

Seine Gedanken zur Autonomie, kann man auch in einem weiteren hoch-brisanten Werk Gruens nachlesen: Verrat am Selbst. „Die Angst vor der Autonomie bei Mann und Frau“ nachlesen.