Angeregt durch Hermsens Buch und die Diskussionen im Seminar beginnen meine UniWehrsEL-Leser ganz offensichtlich weiterführend Reflexionen zu unseren Themen, wie die der menschlichen Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach Liebe und der “Todessehnsucht” im Kontext der Melancholie, zu entwickeln. Das freut mich ungemein und ich kann nur Danke sagen, weil es mich ganz nachhaltig anregt und mir neue Ideen und Eindrücke verschafft.
Danke vor allem an diesen innovativen Briefschreiber!
Antworten Sie ihm doch gerne unter Kontakt.
Liebes UniWehrsEL,
Freud hatte unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges in Aufsätzen dargelegt, wie das Kräftespiel von Eros und Thanatos, das er am Seelengrund seiner Patienten gefunden zu haben glaubte, seine Fortsetzung im Weltgeschehen finde. Danach geriet seine Theorie lange in Vergessenheit. Heute erscheint mir aber gerade dieser Kampf im inneren des Menschen durch die äußeren Bedingungen um Hass und Gewalt so aktuell wie nie. Dazu einige von mir recherchierte Fakten und meine Gedanken:
In „Jenseits des Lustprinzips“ (Freud 1920) beschreibt Freud die fundamentalen Triebe Eros und Thanatos als Liebes- und Todestrieb, die miteinander im inneren des Menschen ringen. Während Eros uns zu Liebe zu den Mitmenschen drängt und uns dadurch auch oft in Schwierigkeiten stürzt, fordert Thanatos Ruhe, Rückzug und endgültigen Frieden. Eros sucht ungeduldig nach Glück und birgt gleichzeitig die Sehnsucht zu sterben. Aber diese todbringende Reise wird nach Freud durch das Hindernis der Liebe verlängert.
Thanatos sucht die Zerstörung, aber gleichzeitig ist in ihm eine destruktive Ungeduld, Lust zu genießen. Nach Freud ist der Urgedanke des Melancholischen, einen fundamentalen destruktiven Trieb gegen sich selbst in Gang zu setzen. Er begeht etwas, von dem er weiß, dass dieses Begehren ein Vergebliches ist.
Schon die antiken Stoiker begriffen, wer nichts mehr begehrt, sondern das annimmt, was er bekommt, der wird aufhören zu leiden. Der Melancholische aber muss weiter begehren, weil Eros ihn stets stimuliert und bezaubert. Er erlangt nie Befriedigung, weil sein Ich sich ihm entgegenstellt und ihn blockiert. Da die Ungeduld nach Befriedigung immer größer wird, der Eros ihn immer weiter motiviert, voranzuschreiten, der Thanatos aber eisern Wache hält, bleibt am Ende nur die Selbstzerstörung.
Übrigens noch ein kleiner Exkurs zur Melancholie bei Freud, der in dem 1917 erschienenen Aufsatz “Trauer und Melancholie” den melancholischen Zustand als einen typisch weiblichen beschreibt, eine psychosomatische Reaktion, die dadurch entstehe, wenn der Verlust eines geliebten Objektes unbewältigt bliebe. Frauen scheinen danach die Trauer weniger zu überwinden, sondern eine andauernde Störung bis hin zum Verlust des “Ich selbst” zu erleben.
Einen anderen Blick auf die Kräfte, die in unserem inneren wirken, hat der Philosoph Arthur Schopenhauer. Er schreibt vom „gierigen Willen”, der uns durch die Welt hetzt und seinen Ausdruck in den Trieben nach körperlichen Bedürfnissen findet und uns wie in einer Tretmühle dazu antreibt, immer neue Befriedigung zu suchen. Dieser äußert sich auf verschiedene Arten. Hunger, Durst, Geschlechtstrieb, Ehrgeiz sind z.B. seine Ausflüsse, die uns durch die Welt hetzen lassen. Wie in einer Tretmühle müssen wir schuften, um all diese Begehren zu befriedigen. Das Leben, so spricht der Kaufmannssohn Schopenhauer, ist ein Geschäft, das die Kosten nicht deckt.
Naheliegend wäre der Selbstmord, für Viele aber schon allein deshalb nicht gangbar, weil der “Wille”, unser „Überlebenstrieb“ und die damit zusammenhängende Angst vor dem Tod und die dahinter sich versteckende „Lebensgier,“ kette uns an “dieses entsetzliche und eigentlich nicht lebenswerte Dasein”. Ein “wahres” Argument gegen Selbstmord sei aber der ewige Kreislauf der „Wiedergeburt“: Wenn ein Lebewesen stirbt, bringt der gierige “Wille” sogleich ein anderes hervor, das seinen Platz einnimmt, und damit einen neuen leidenden Sklaven.
Daraus ziehe ich die Lehre: Wenn also das Leben an sich, zumindest für den Melancholiker, schon Mühsal und Kampf gegen Triebe und Willensschwäche ist, bei dem die weiblichen Melancholiker nach Ansicht berühmter Psychologen ihr Selbst verlieren würden, dann tröstet doch, dass die intellektuelle Schwermut von Philosophen wie Nietzsche oder Schopenhauer in eine ganz andere Richtung lief. Zum (männlichen) Genie gehörte, sich durchaus melancholisch zu fühlen, aber durchaus nicht melancholisch zu sein.
Meiner Meinung nach und jetzt auch noch gefördert durch mediale Bilder, die zu Trübsinn führen, erleben wir eine zunehmende Spaltung zwischen Realität und Fiktion oder dem, was wir fühlen, weil es uns wirklich anrührt, und dem was wir fühlen sollten, weil es gerade Trend ist. Darüber würde ich gerne mit den UniWehrsEL-Lesern diskutieren!Es grüßt Sie ganz herzlich
Ein weniger melancholischer als nachdenklicher Leser und Zuhörer